Es war Sommer 1988. Ich arbeitete 
        in Herrsching am Ammersee. Während der Mittagspausen ging ich gerne 
        zum See - und genoss das leise Plätschern der sanften Wellen an den 
        Kiesstrand. Oder ich ging in eine nahegelegene Kapelle und ließ 
        die herrlich stille und feierliche Stimmung auf mich wirken, die vom Duft 
        der von den Blumen auf dem Altar herüberströmte, noch verstärkt 
        wurde. 
         
        Eines Tages ging ich wieder einmal in die Kapelle. Da fand ich auf dem 
        Pult der Holzbank, auf der ich immer saß ein kleines Heftchen. Ich 
        schlug es auf und sah eine Abbildung eines Mönchs, wie er vor einem 
        großen hölzernen Kreuz mit Jesus kniete... Eine Seite weiter 
        war ein Novize abgebildet, der ebenfalls vor diesem Kreuz kniete und wie 
        um Gnade bittend nach oben sah. Dann las ich, dass das Foto von einem 
        Freund ohne sein Mitwissen gemacht worden war. Ich wunderte mich über 
        diese Bemerkung, da ich nichts Ungewöhnliches auf dem Foto gesehen 
        hatte - und ich sah es mir noch einmal genauer an. Ich las, dass sich 
        der Novize auf seine Einweihung hatte vorbereiten wollen. 
        Als ich das Bild noch einmal betrachtete, fiel mir auf, das derselbe Jesus 
        am Kreuz von einer Seite vorher - auf dem Foto mit dem Novizen wie vom 
        Kreuz enthoben davor schwebte und dem Novizen seine Hände entgegenstreckte. 
        Sein unendlich liebevoller Blick war auf den jungen Mann gerichtet - als 
        wollte er sagen: "Siehe, ich bin frei! So bist es auch Du! Siehe, 
        ich lebe, da ich mich über das Kreuz erhoben habe! So bist auch du 
        des Kreuzes enthoben!" 
         
        Als ich dieses Bild sah, durchströmte mich unsagbarer Frieden. Ich 
        saß eine ganze Weile da in dieser winzigen Kapelle und träumte 
        selig vor mich hin. Dann legte ich das Heftchen wieder hin und ging hinaus. 
         
        Dieser Fund ließ mir aber fortan keine Ruhe mehr. Ich wusste, daß 
        jeder ein Zeichen bekommen würde, wenn er nur lange genug und mit 
        offenem Herzen darum bitten würde. 
         
        Ich hatte unweit der Kapelle einen Kreuzweg entdeckt, welchen ich ein 
        paar Mal besuchte. Da kam mir plötzlich eines Mittags die merkwürdige 
        Idee, mit einem Fotoapparat wieder hierher zu kommen und von allen Kreuzen 
        je ein Foto zu machen. Die wollte ich dann zur Entwicklung bringen und 
        sehen, was sich tat. 
         
        Gedacht - getan. Ich kam eines sonnigen Tages mit einem Fotoapparat zu 
        besagtem Ort. Ich hielt zuvor ein kurzes Gespräch mit meinem inneren 
        Jesus und fragte ihn naiv wie ein Kind, ob er mir denn auch so ein wundersames 
        Zeichen senden könnte, wie diesem Novizen aus dem Heftchen. 
         
        Das erste Foto knipste ich von der Treppe, die zum Kreuzweg hinauf führte. 
        Dann ging ich hinauf und fotografierte nacheinander alle Kreuze. Ich kam 
        mir dabei irgendwie albern vor, und gestand meine Zweifel vor einem der 
        Kreuze - wie ein Kind, das sich schämt, weil es bei der Vorbereitung 
        eines Streichs ertappt worden war. Doch was ich angefangen hatte, wollte 
        ich zu Ende bringen. 
         
        Als ich die Kreuze hinter mir hatte, machte ich am Ende noch eine Aufnahme 
        von dem schmalen Pfad, der den Kreuzweg zwischen zwei Zäunen entlang 
        wieder verließ. 
         
        Mit dieser 'Beute' in der Tasche zog ich zufrieden davon. Ich brachte 
        den Film am nächsten Tag zum Fotografen zum entwickeln. Dann wartete 
        ich eine sich scheinbar endlos hinziehende Woche lang geduldig und ging 
        wieder hin, um die Fotos abzuholen. 
        Der Fotograf begrüßte mich gleich und sagte, dass ich nicht 
        enttäuscht sein solle, da auf dem gesamten Film nichts zu erkennen 
        gewesen wäre, was sich zu entwickeln gelohnt hätte. ''Wenn ich 
        sie entwickelt hätte'', so teilte er mir mit - ''wären alle 
        Aufnahmen bis auf die ersten beiden und die letzte schwarz gewesen. Diese 
        beiden Fotos habe ich entwickelt!'' Ich bedankte mich, zahlte und gjng 
        hinaus, um mir die Bilder anzusehen.. 
         
            Das erste Foto zeigte wie 
        erwartet die Stufen zum Kreuzweg. Die zweite Aufnahme zeigte das erste 
        Kreuz von unten und die Füße des hölzernen Jesus. Und 
        das, obwohl ich meinen Fotoapparat auf das ganze Kreuz gerichtet hatte. 
        Ich war erstaunt. Die letzte Aufnahme des Films zeigte einen Weg zwischen 
        zwei Zäunen verlaufend, so wie ich das Bild aufgenommen hatte.  
        Doch darauf fand sich ein großer kreisrunder heller Fleck. Die restlichen 
        Negative waren tatsächlich ohne irgendein erkennbares Motiv. Ich 
        betrachtete eingehend das Bild mit dem Fleck. Dann ging ich wieder zum 
        Fotografen und beschwerte mich, dass er eine ätzende Flüssigkeit 
        hatte auf das Foto tropfen lassen. Er erklärte mir, dass dies nicht 
        sein könne und der Fleck nicht seine Schuld sei, da auf dem Negativ 
        das selbe zu sehen sei. Ich fand mich damit aber nicht zufrieden und meinte, 
        dass er dann eben etwas habe auf das Negativ tropfen lassen. Er erwiderte, 
        dass das nicht gut möglich sein könne, denn jede ätzende 
        Flüssigkeit hätte zur Folge gehabt, dass nur noch ein heller 
        Klecks zu sehen gewesen wäre - und nicht - wie offensichtlich durch 
        den Fleck hindurch - die Wiese, die Blumen und den Weg zeigen würde... 
         
         
            Da wurde ich stutzig, entschuldigte 
        mich und ging mit den Fotos nach draußen. Ich ging zu meinem speziellen 
        Strand, wo ich mich stets zum träumen hinsetzte und betrachtete lange 
        das Bild. Ganz langsam und leise dämmerte mir, was ich hier erlebte... 
        und während ich es sah, fühlte ich mich unwürdig und schämte 
        mich. Dann war ich erschüttert über die Größe dessen, 
        was ich da gerade erfuhr und weinte. Gleichzeitig durchströmte mich 
        eine ungeahnte Kraft und Freude. Da sprang ich wie ein Kind auf, lachte 
        und grüßte alle Menschen freundlich, so dass sie sich erstaunt 
        umdrehten...  
         
           
         Jetzt hatte ich die Botschaft verstanden: 
          
          "Suche mich nicht in den toten Dingen dieser 
          Welt, 
          denn ich bin der Anfang und das Ende - 
          Ich bin das Licht!"  
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