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                    Jacques 
                    Lusseyran (19241971) 
                     
                     Kurzbiografie 
                    über Jacques Lusseyran  
                     
                    Jacques Lusseyran wurde am 19. September 1924 in Paris geboren. 
                    Er erblindet im Alter von acht Jahren durch einen Unfall. 
                    Er entdeckt, ausgelöst durch diesen Unfall, das innere 
                    Licht. Er erkennt, wie man als Blinder sehend wird. Mit siebzehn 
                    Jahren gründet Jacques Lusseyran innerhalb der Résistance 
                    eine Organisation von Jugendlichen, die gegen die deutsche 
                    Besatzungsmacht arbeitet. Er gibt eine Widerstandszeitung 
                    heraus, wird verraten, 1943 verhaftet und mit seinen Freunden 
                    in das KZ Buchenwald deportiert. Inmitten von Folter und Krankheit 
                    blieb Lusseyran verbunden mit dem inneren Licht und überlebte. 
                    Er bleibt Widerstandskämpfer gegen Leid, Verzweiflung 
                    und Bosheit. Sein Buch Das wiedergefundene Licht, Die Lebensgeschichte 
                    eines Blinden im französischen Widerstand, (dtv) ist 
                    ein erschütterndes Dokument seines Weges und ein Lehrbuch 
                    für alle, die sich auf dem Weg der Kraft befinden. 
                     
                   Dieter 
                    Duhm (*1942), Mitgründer des Friedenszentrums Tamera, 
                    erwähnte in seinem Vortrag »Befreiung von der Besetzung« 
                    (2002) den außergewöhnlichen Lebensweg des Franzosen 
                    Jacques Lusseyran: 
                  Wenige 
                    Tage nach seiner Erblindung stellte Jacques Lusseyran plötzlich 
                    fest, dass er wieder sehen konnte, freilich auf eine ganz 
                    andere Art als vorher: 
                   
                    Meine Blindheit war für mich eine große Überraschung, 
                    glich sie doch in keiner Weise meinen Vorstellungen von ihr; 
                    auch nicht den Vorstellungen, welche die Menschen um mich 
                    herum von ihr zu haben schienen. Sie sagten mir, Blindsein 
                    bedeute Nichtsehen. Aber wie konnte ich ihnen Glauben schenken, 
                    da ich doch sah? Nicht sofort, das gebe ich zu. Eines Tages 
                    jedoch (und dieser Tag kam ziemlich rasch) merkte ich, dass 
                    ich ganz einfach falsch sah, dass ich einen Fehler machte, 
                    wie einer, der die Brille wechselt, weil sich sein Auge den 
                    Gläsern nicht anpassen wollte. Ich blickte zu sehr in 
                    die Ferne und vor allem zu sehr auf die Oberfläche der 
                    Dinge. Das war weit mehr als nur eine gewöhnliche Entdeckung, 
                    es war eine Offenbarung. 
                  Anstatt 
                    mich hartnäckig an die Bewegung des Auges, das nach außen 
                    blickte, zu klammern, schaute ich nunmehr von innen auf mein 
                    Inneres. Unversehens verdichtete sich die Substanz des Universums 
                    wieder, nahm aufs neue Gestalt an und belebte sich wieder. 
                    Ich sah, wie von einer Stelle, die ich nicht kannte und die 
                    ebenso gut außerhalb meiner wie in mir liegen mochte, 
                    eine Ausstrahlung ausging, oder genauer: ein Licht  
                    das Licht. Das Licht war da, das stand fest. Ich fühlte 
                    eine unsagbare Erleichterung, eine solche Freude, dass ich 
                    darüber lachen musste. Ohne Augen war das Licht weit 
                    beständiger, als es mit ihnen gewesen war. Jene Unterschiede 
                    zwischen hellen, weniger hellen oder unbeleuchteten Gegenständen, 
                    an die ich mich damals noch genau erinnern konnte, gab es 
                    nicht mehr. 
                  Ich 
                    sah eine Welt, die ganz in Licht getaucht war, die durch das 
                    Licht und vom Licht her lebte. Auch die Farben  alle 
                    Farben des Prismas  bestanden weiterhin. Für mich 
                     das Kind, das so gern zeichnete und malte  war 
                    das ein solch unerwartetes Fest, dass ich Stunden im Spiel 
                    mit den Farben zubrachte, und das konnte ich umso besser, 
                    als diese jetzt fügsamer waren. Das Licht breitete seine 
                    Farben auf Dinge und Wesen. Mein Vater, meine Mutter, die 
                    Leute, denen ich auf der Straße begegnete oder die ich 
                    anstieß, sie alle waren in einer Weise farbig gegenwärtig, 
                    wie ich es niemals vor meiner Erblindung gesehen habe. Und 
                    diese Farben prägten sich mir jetzt als ein Teil von 
                    ihnen genau so tief ein, wie es ihr Gesicht vermocht hätte. 
                    Freilich waren die Farben nur ein Spiel, während das 
                    Licht für mich der Grund des Lebens war. 
                  Jacques 
                    Lusseyran (19241971) in seiner Autobiograpgie »Das 
                    wiedergefundene Licht« (Textquelle) 
                     
                     Dieses Fortfahren am Leben gewährt uns Gott immer. 
                    Wenn wir irgendwo eine Wand, einen Verlust, ein Unglück 
                    wahrnehmen, ist es nicht Gott, der diese Wand errichtet hat, 
                    sondern unser Geist. Er ist aus der immerwährenden Schöpfung 
                    herausgetreten. Dem universellen Kraftstrom hat er gewissermaßen 
                    seinen eigenen Kraftstrom vorgezogen, und genau hier ist er 
                    stehengeblieben. 
                  In 
                    Wirklichkeit gibt es weder eine Wand noch einen Verlust. Alles 
                    wird ersetzt und geht weiter. So ist es auch mit dem Licht 
                    für die Blinden. [
] 
                  Mit 
                    den Augen aufhören zu sehen, heißt nicht, in eine 
                    Welt einzutreten, in der das Licht aufgehört hat zu bestehen. 
                  In 
                    dem Augenblick, indem ich mein Augenlicht verlor, habe ich 
                    in meinem Inneren das Licht unversehrt wiedergefunden. Ich 
                    musste mich nicht daran erinnern, was dieses Licht für 
                    meine Augen gewesen war, nicht die Erinnerung daran wach halten: 
                    Es war da, in meinem Geist und meinem Körper. Es war 
                    dort in seiner Ganzheit eingeprägt. Das Licht war da, 
                    begleitet von allen sichtbaren Formen, Farben und Linien, 
                    ausgestattet mit derselben Kraft, die es in der Welt der Augen 
                    hat, nämlich sich zu vergrößern, sich zu verringern 
                    und sich zu verschieben. 
                  Ich 
                    wiederholte: Die Erfahrung, die mir zuteil geworden ist, war 
                    nicht die der Erinnerung. Dieses Licht, das ich ohne meine 
                    Augen weiterhin sah, war dasselbe wie zuvor. Aber mein Standort 
                    hatte sich geändert: Ich war seinem Ursprung näher 
                    gekommen. 
                  Alles 
                    ging vor sich, als ob das Licht nicht mehr dieser Gegenstand 
                    der Außenwelt wäre, nicht mehr diese fremdartige 
                    Beleuchtung, nicht mehr dieses Naturphänomen, das sich 
                    zutragen kann oder nicht und worüber wir so wenig Macht 
                    haben, sondern als ob dieses Licht von nun an die Außenwelt 
                    und mich selbst mit einer einzigen Bewegung, mit einem einzigen 
                    Griff umhüllte. 
                  Meines 
                    Augenlichts beraubt, konnte ich nicht sagen, dass das Licht, 
                    da ich sah, von außen kam. Ich konnte ebensowenig sagen, 
                    dass es aus meinem Innern kam. Und wirklich: Innen, außen 
                    sind ungenügende Begriffe geworden. Als ich viel später, 
                    während meines Studiums, von dem Unterschied zwischen 
                    objektiven und subjektiven Tatsachen sprechen hörte, 
                    war ich nicht befriedigt: Ich sah zu genau, dass dieser Unterschied 
                    auf einer falschen Auffassung der Wahrnehmung fußte. 
                    [
] 
                  Und 
                    so ist alles hell in dieser Blindheit, und diese offenbare 
                    Helligkeit trägt zudem in sich auch noch eine großartige 
                    Lehre. Ich war seit meiner Kindheit durch ein Phänomen 
                    von erstaunlicher Deutlichkeit beeindruckt: Dieses Licht, 
                    das ich sah, veränderte sich jeweils nach meinem inneren 
                    Zustand. Einmal je nach meinem körperlichen Zustand wie 
                    zum Beispiel Müdigkeit, Ruhe, Spannung, Entspannung. 
                    Aber doch recht selten. Die wahren Veränderungen hingen 
                    von meinem seelischen Zustand ab. 
                  Wenn 
                    ich traurig war, wenn ich Angst hatte, wurden alle Schattierungen 
                    dunkel und alle Formen undeutlich. Wenn ich jedoch freudig 
                    und aufmerksam war, hellten sich alle Bilder auf. Groll, Gewissenszweifel 
                    versetzten alles in Dunkelheit. Ein großherziger Vorsatz, 
                    eine mutige Entscheidung schickten einen hellen Lichtstrahl. 
                    Nach und nach lernte ich verstehen, dass Lieben Sehen bedeutete 
                    und Hassen Blindheit, Nacht war. 
                  Auf 
                    diese Weise erfuhr ich, dass Moral (nicht die soziale Moral, 
                    sondern die geistige) keine bloße Summe abstrakter Regeln 
                    ist, sondern eine gefügte Ordnung, eine Ordnung von Tatsachen, 
                    wie ein Haushalten mit dem Licht. 
                  Jacques 
                    Lusseyran (19241971) in »Ein neues Sehen der Welt« 
                    (Textquelle) 
                     
                     Wie hatte ich leben können all die Zeit, ohne 
                    zu wissen, daß alles auf der Welt eine Stimme hat und 
                    sprechen kann? Nicht nur die Dinge, denen man eine Sprache 
                    zugesteht, nein, auch die anderen: die Torwege, die Mauern 
                    der Häuser, die Balken, die Schatten der Bäume, 
                    der Sand und das Schweigen. 
 Seitdem ich blind war, 
                    konnte ich keine Bewegung mehr machen, ohne nicht eine Flut 
                    von Geräuschen auszulösen. Betrat ich abends mein 
                    Zimmer, in dem ich früher niemals etwas hörte-, 
                    machte die kleine Stuckfigur aus dem Kamin den Bruchteil einer 
                    Drehung. Ich hörte ihre Reibung in der Luft, leicht wie 
                    die Bewegung einer Hand. Wenn ich einen Schritt machte, weinte 
                    oder sang der Fußboden  zweierlei Stimmen konnte 
                    ich vernehmen , und dieses Lied pflanzte sich fort von 
                    einem Brett zum nächsten bis hin zum Fenster und erzählte 
                    mir von der Tiefe des Zimmers. (S. 24) 
                  Als 
                    ich noch meine Augen hatte, waren meine Finger steif und am 
                    Ende der Hände halb abgestorben, gerade recht, die Bewegung 
                    des Greifens auszuführen. Jetzt hatte jeder von ihnen 
                    seine Initiative. Sie wanderten einzeln über die Dinge, 
                    spielten gegeneinander und machten sich, unabhängig voneinander, 
                    schwer oder leicht. 
                  Die 
                    Bewegung der Finger war sehr wichtig, sie durfte nicht unterbrochen 
                    werden. Denn es ist eine Illusion zu glauben, daß die 
                    Gegenstände starr an einen Punkt gebunden, auf immer 
                    an ihn gefesselt und in eine einzige Form gepreßt sind: 
                    die Objekte leben, selbst die Steine. Mehr noch: sie vibrieren, 
                    sie erzittern. (S. 28) 
                  Wie 
                    sollte ich zum Beispiel erklären, wie die Gegenstände 
                    sich mir näherten, wenn ich auf sie zuging? Atmete ich 
                    sie ein, hörte ich sie? Vielleicht. Was es auch war - 
                    es nachzuweisen, war oft schwer. Sah ich sie? Augenscheinlich 
                    nicht. Und doch! 
 
                  Um 
                    [die Bäume] auf diese Weise Art wahrzunehmen, mußte 
                    ich mich in einem Zustand halten, der von all meinen Gewohnheiten 
                    so sehr abwich, daß es mir nicht gelang, längere 
                    Zeit in ihm zu verharren. Ich mußte die Bäume selbst 
                    ganz an mich herankommen lassen. Ich durfte nicht die geringste 
                    Absicht , auf sie zuzugehen, den geringsten Wunsch, sie kennenzulernen, 
                    zwischen sie und mich stellen. Ich durfte nicht neugierig 
                    sein, nicht ungeduldig, vor allem nicht stolz auf meine Fähigkeit. 
                    (S. 34) 
                  Jacques 
                    Lusseyran (19241971) in seiner Autobiograpgie »Das 
                    wiedergefundene Licht« (Textquelle)  
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