Reinkarnation

   

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von großen Persönlichkeiten - Seite 1

Der Hauch der Ahnen

Birago Diop - von der Seite: www.afrikaroman.de/autoren/autor.a_z/autor_diop.phpErlausche nur geschwind
die Wesen in den Dingen
Hör sie im Feuer singen,
Hör sie im Wasser mahnen
Und lausche in den Wind:
Der Seufzer im Gebüsch
Das ist der Hauch der Ahnen.

Die gestorben sind, sind niemals fort,
Sie sind im Schatten der sich erhellt,
Und im Schatten der tiefer ins Dunkle fällt.
Sie sind in dem Baum der dröhnt
Und sind in dem Baum der stöhnt,
Sie sind in dem Wasser das sich ergießt
Wie im Wasser das schlafend die Augen schließt,
Sie sind in der Hütte, sie sind im Boot:
Die Toten sind nicht tot.

Erlausche nur geschwind
die Wesen in den Dingen
Hör sie im Feuer singen,
Hör sie im Wasser mahnen
Und lausche in den Wind:
Der Seufzer im Gebüsch
Das ist der Hauch der Ahnen.

Die gestorben sind, sind niemals fort,
Sie sind in den Brüsten des Weibes,
Sie sind in dem Kind ihres Leibes,
Sie sind in dem Streit der sich regt.
Sie sind nicht unter der Erde:
Sie sind in dem Brand der sich legt,
Sie sind in den Gräsern die weinen,
Sie sind in den Felsen die greinen,
Sie sind im Wald, in der Wohnung, im Brot:
Die Toten sind nicht tot.

Sie mahnen uns täglich an den Bund,
An den großen Pakt der uns bindet,
Der unser Los dem Gesetz verknüpft,
Den Taten der stärksten Wesen,
Dem Los unserer Toten die nicht gestorben:
Der Pakt der uns bindet ans Leben.
Das schwere Gesetz das uns knüpft an die Taten
Des Hauchs der sich legt im Flussbett, am Ufer,
Des Hauches der Rufer,
Der weint in den Gräsern, im Felsen sich regt.

Erlausche nur geschwind
die Wesen in den Dingen
Hör sie im Feuer singen,
Hör sie im Wasser mahnen
Und lausche in den Wind:
Der Seufzer im Gebüsch
Das ist der Hauch der Ahnen.

Birago Diop



 

Goethe über seine Empfindungen
zu Charlotte von Stein


Johann Wolfgang von Goethe - von der Seite:  http://www.literafee.deJohann Wolfgang von Goethe (1749-1832) schreibt im April 1776 an seinen Freund, den Dichter C.M. Wieland, die folgenden Zeilen über Frau Charlotte von Stein:

Ich kann mir die Bedeutsamkeit, die Macht, die diese Frau über mich hat, anders nicht erklären als durch die Seelenwanderung. Ja, wir waren einst Mann und Weib! Nun wissen wir von uns - verhüllt, im Geisterduft. Ich habe keine Namen für uns - die Vergangenheit - die Zukunft - das All.

Und drei Monate später, im Juli 1776, verfaßt Goethe das folgende Gedicht mit dem Titel

"Geheimnis der Reminiszenz"
gewidmet Charlotte von Stein

Sag, was will das Schicksal uns bereiten?
Sag, wie band es uns so rein genau?
Ach, du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau.
Kanntest jeden Zug in meinem Wesen,
Spähtest, wie die reinste Nerve klingt,
Konntest mich mit einem Blicke lesen,
Den so schwer ein sterblich Aug durchdringt...

Und von allem dem schwebt ein Erinnern
Nur noch um das ungewisse Herz,
Fühlt die alte Wahrheit ewig gleich im Innern,
Und der neue Zustand wird ihm Schmerz.

Am 2.3.1779 schließlich drückte Goethe seine
Empfindungen direkt in einem Brief an Charlotte von Stein aus:

Es ist mir fast unangenehm, daß eine Zeit war, wo Sie mich nicht kannten und nicht liebten. Wenn ich wieder auf die Erde komme, will ich die Götter bitten, daß ich nur einmal liebe, und wenn Sie nicht so feind dieser Welt wären, wollt ich um Sie bitten zu dieser lieben Gefährtin.

Johann Wolfgang von Goethe



Gesang der Geister über den Wassern

Johann Wolfgang von Goethe - von der Seite:  http://www.literafee.deDes Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen,
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,

Wie gleichst du dem Wind!

Johann Wolfgang von Goethe
(entstanden 1779, veröffentlicht 1789)



Ilmenau

Anmutig Tal! Du immergrüner Hain!
Mein Herz begrüßt euch wieder auf das beste
Entfaltet mir die schwer behangnen Äste,
Nehmt freundlich mich in eure Schatten ein.,
Erquickt von euren Höhn, am Tag der Lieb und Lust,
Mit frischer Luft und Balsam meine Brust!

Wie kehrt ich oft mit wechselndem Geschicke,
Erhabner Berg, zu deinen Fuß zurücke,
O laß mich heut an deinen sachten Höhn
Ein jugendlich, ein neues Eden sehn!
Ich hab es wohl auch mit um euch verdienet:
Ich sorge still, indes ihr ruhig grünet.

Laßt mich vergessen, dass auch hier die Welt
So manch Geschöpf in Erdefesseln hält,
Der Landmann leichtem Sand den Samen anvertraut
Und seinen Kohl dem frechen Wilde baut,
Der Knappe karges Brot in Klüften sucht,
Der Köhler zittert, wenn der Jäger flucht.
Verjüngt euch mit, wie ihr es oft getan,
Als fing' ich heut ein neues Leben an.

Ihr seid mir hold, ihr gönnt mir diese Träume,
Sie schmeicheln mir und locken alte Reime.
Mir wieder selbst, von allen Menschen fern,
Wie bad ich mich in euren Düften gern!
Melodisch rauscht die Hohe Tanne wieder,
Melodisch eilt der Wasserfall hernieder;
Die Wolke sinkt, der Nebel drückt ins Tal,
Und es ist Nacht und Dämmrung auf einmal.

Im finstern Wald, beim Liebesblick der Sterne,
Wo ist mein Pfad, den sorglos ich verlor?
Welch seltne Stimmen hör ich in der Ferne?
Sie schallen wechselnd an dem Fels empor.
Ich eile sacht, zu sehn, was es bedeutet,
Wie von des Hirsches Ruf der Jäger stillt geleitet.

Wo bin ich? ists ein Zaubermärchenland?
Welch nächtliches Gelag am Fuß der Felsenwand?
Bei kleinen Hütten, dicht mit Reis bedecket,
Seh ich sie froh ans Feuer hingestrecket.
Es dringt der Glanz hoch durch den Fichtensaal,
Am niedern Herde kocht ein rohes Mahl;
Sie scherzen laut, indessen bald geleeret,
Die Flasche frisch im Kreise weiderkehret.

Sagt, wem vergleich ich diese muntre Schar?
Von wannen kommt sie? um wohin zu ziehen?
Wie ist an ihr doch alles wunderbar!
Soll ich sie grüßen? soll ich vor ihr fliehen?
Ist es der Jäger wildes Geisterheer?
Sinds Gnomen, die hier Zauberkünste treiben?
Ich seh im Busch der kleinen Feuer mehr;
Es schaudert mich, ich wage kaum zu bleiben.
Ists der Ägyptier verdächtiger Aufenthalt?
Ist es ein flüchtiger Fürst wie im Ardennerwald?
Soll ich Verirrter hier in den verschlungnen Gründen
Die Geister Shakespeares gar verkörpert finden?
Ja, der Gedanke führt mich eben recht:
Sie sind es selbst, wo nicht ein gleich Geschlecht!
Unbändig schwelgt ein Geist in ihrer Mitten,
Und durch die Roheit fühl ich edle Sitten.

Wie nennt ihr ihn? Wer ists, der dort gebückt
Nachlässig stark die breiten Schultern drückt?
Er sitzt zunächst gelassen an der Flamme,
Die markige Gestalt aus altem Heldenstamme.
Er saugt begierig am geliebten Rohr,
Es steigt der Dampf an seiner Stirn empor.
Gutmütig trocken weiß er Freud und Lachen
Im ganzen Zirkel laut zu machen,
Wenn er mit ernstlichem Gesicht
Barbarisch bunt in fremder Mundart spricht.

Wer ist der andre, der sich nieder
An einen Sturz des alten Baumes lehnt
Und seine langen, feingestalten Glieder
Ekstatisch faul nach allen Seiten dehnt,
Und ohne dass die Zecher auf ihn hören,
Mit Geistesflug sich in die Höhe schwingt
Und von dem Tanz der himmelhohen Sphären
Ein monotones Lied mit großer Inbrunst singt?

Doch scheinet allen etwas zu gebrechen;
Ich höre sie auf einmal leise sprechen,
Des Jünglings Ruhe nicht zu unterbrechen,
Der dort am Ende, wo das Tal sich schließt,
In einer Hütte, leicht gezimmert,
Vor der ein letzter Blick des kleinen Feuers schimmert,
Vom Wasserfall umrauscht, des milden Schlafs genießt.
Mich treibt das Herz nach jener Kluft zu wandern,
Ich schleiche still und scheide von den andern.

Sei mir gegrüßt, der hier in später Nacht
Gedankenvoll an dieser Schwelle wacht!
Was sitzest du entfernt von jenen Freuden?
Du scheinst mir auf was Wichtiges bedacht.
Was ists, dass du in Sinnen dich verlierest,
Und nicht einmal dein kleines Feuer schürest?

"O frage nicht! denn ich bin nicht bereit,
Des Fremden Neugier leicht zu stillen;
Sogar verbitt ich deinen guten Willen:
Hier ist zu schweigen und zu leiden Zeit.
Ich bin dir nicht imstande, selbst zu sagen,
Woher ich sei, wer mich hierher gesandt;
Von fremden Zonen bin ich her verschlagen
Und durch die Freundschaft festgebannt.

Wer kennt sich selbst? Wer weiß, was er vermag?
Hat nie der Mutige Verwegnes unternommen?
Und was du tust, sagt erst der andre Tag,
War es zum Schaden oder Frommen.
Ließ nicht Prometheus selbst die reine Himmelsglut
Auf frischen Ton vergötternd niederfließen?
Und konnt er mehr als irdisch Blut
Durch die belebten Adern gießen?
Ich brachte reines Feuer vom Altar;
Was ich entzündet, ist nicht reine Flamme.
Der Sturm vermehrt die Glut und die Gefahr:
Ich schwanke nicht, indem ich mich verdamme.

Und wenn ich unklug Mut und Freiheit sang
Und Redlichkeit und Freiheit sonder Zwang,
Stolz auf sich selbst und herzliches Behagen,
Erwarb ich mir der Menschen schöne Gunst;
Doch ach! ein Gott versagte mir die Kunst,
Die arme Kunst, mich künstlich zu betragen.
Nun sitz ich hier, zugleich erhoben und gedrückt,
Unschuldig und gestraft, und schuldig und beglückt.

Doch rede sacht! denn unter diesem Dach
Ruht all mein Wohl und all mein Ungemach:
Ein edles Herz, vom Wege der Natur
Durch enges Schicksal abgeleitet,
Das, ahnungsvoll, nun auf der rechten Spur
Bald mit sich selbst und bald mit Zauberschatten streitet
Und, was ihm das Geschick durch die Geburt geschenkt,
Mit Müh und Schweiß erst zu erringen denkt.
Kein liebevolles Wort kann seinen Geist enthüllen
Und kein Gesang die hohen Wogen stillen.

Wer kann der Raupe, die am Zweige kriecht,
Von ihrem künftigen Futter sprechen?
Und wer der Puppe, die im Boden liegt,
Die zarte Schale helfen durchzubrechen?
Es kommt die Zeit, sie drängt sich selber los
Und eilt auf Fittichen der Rose in den Schoß.

Gewiß, ihm geben auch die Jahre
Die rechte Richtung seiner Kraft.
Noch ist bei tiefer Neigung für das Wahre
Ihm Irrtum eine Leidenschaft.
Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,
Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal;
Der Unfall lauert an der Seite
Und stürzt ihn in den Arm der Qual.
Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung
Gewaltsam ihn bald da, bald dort hinaus,
Und von unmutiger Bewegung
Ruht er unmutig wieder aus.
Und düster wild an heitern Tagen,
Unbändig, ohne froh zu sein,
Schläft er, an Seel und Leib verwundet und zerschlagen,
Auf einem harten Lager ein:
Indessen ich hier still und atmend kaum
Die Augen zu den freien Sternen kehre
Und halb erwacht und halb im schweren Traum
Mich kaum des schweren Traums erwehre."

Verschwinde, Traum!

Wie dank ich, Musen euch,
Daß ihr mich heut auf einen Pfad gestellet,
Wo auf ein einzig Wort die ganze Gegend gleich
Zum schönsten Tage sich erhellet!
Die Wolke flieht, der Nebel fällt,
Die Schatten sind hinweg, Ihr Götter, Preis und Wonne!
Es leuchtet mir die wahre Sonne,
Es lebt mir eine schönre Welt;
Das ängstliche Gesicht ist in die Luft zerronnen,
Ein neues Leben ists, es ist schon lang begonnen.

Ich sehe hier, wie man nach langer Reise
Im Vaterland sich wiederkennt,
Ein ruhig Volk in stillem Fleiße
Benutzen, was Natur an Gaben ihm gegönnt.
Der Faden eilet von dem Rocken
Des Webers raschem Suhle zu,
Und Seil und Kübel wird in längrer Ruh
Nicht am verbrochnen Schachte stocken;
Es wird der Trug entdeckt, die Ordnung kehr zurück,
Es folgt Gedeihn und festes irdisches Glück.

So mög, o Fürst, der Winkel deines Landes
Ein Vorbild deiner Tage sein!
Du kennest lang die Pflichten deines Standes
Und schränkest nach und nach die freie Seele ein.
Der kann sich manchen Wunsch gewähren,
Der kalt sich selbst und seinen Willen lebt;
Allein wer andre wohl zu leiten strebt,
Muß fähig sein, viel zu entbehren.

So wandle du - der Lohn ist nicht gering -
Nicht schwankend hin, wie jener Sämann ging,
Daß bald ein Korn, des Zufalls leichtes Spiel,
Hier auf den Weg, dort zwischen Dornen fiel;
Nein, streue klug wie reich mit männlich steter Hand
Den Segen aus auf ein geackert Land!
Dann laß es ruhn: die Ernte wird erscheinen
Und dich beglücken und die Deinen.

Johann Wolfgang von Goethe
(
3. September 1783)



Einer Hohen Reisenden

Wohin du trittst, wird uns verklärte Stunde,
Die leuchtet Klarheit frisch vom Angesicht,
Vom Auge Gutheit, Lieblichkeit vom Munde,
Aus Wolken dringt ein reines Himmelslicht.
Der Ungeheuer Schwarm im Hintergrunde,
Er drängt er droht, jedoch er schreckt dich nicht,
Wie du mit Freiheit unbefangen schreitest,
Das Herz erhebst und jeden Geist erweiterst.

So wandelst du, dein Ebenbild zu schauen,
Das majestätisch uns von oben blickt,
Der Mütter Urbild, Königin der Frauen,
Ein Wunderpinsel hat sie ausgedrückt.
Ihr beugt ein Mann, mit liebevollem Grauen,
Ein Weib die Knie, in Demut still entzückt;
Du aber kommst, ihr deine Hand zu reichen,
Als wärest du zu Haus bei deinesgleichen.

Doch schreite weiter, was auch hier sich finde,
Zum Lande hin, dem doch kein andres gleicht,
Wo uns Natur befreit, wie Kunst auch binde,
Der Geist sich stählt, wenn sich das Herz erweicht,
Vor stillem Schaun so Zeit- als Volksgewinde
Zum Abgrund wallt, zur Himmelshöhe steigt:
Dorthin gehörst du, die du schaffend strebest,
Die Trümmer herstellst, Totes neu belebest.

Führ uns indes durch blumenreiche Matten,
Am breiten Fluß durchs wohlbekannte Tal,
Wo Reben sich um Sonnenhügel gatten,
Der Fels dich schützt vor mächtigem Sonnenstrahl;
Genieße froh der engen Laube Schatten,
Der reinen Milch unschuldig würdges Mahl,
Und hier und dort vergönn, an deinen Blicken,
An deinem Wort uns ewig zu entzücken!

Johann Wolfgang von Goethe



"Mich läßt der Gedanke an den Tod in völliger Ruhe,
denn ich habe die feste Überzeugung,
daß unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur;
es ist ein fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Es ist der Sonne ähnlich,
die bloß unsern irdischen Augen unterzugehen scheint,
die aber eigentlich nie untergeht,
sondern unaufhörlich fortleuchtet. "

Goethe zu Eckermann 1824

 

Geheimnis der Reminiszenz
aus der Gedichtesammlung "An Laura"


Friedrich Schiller - von Seite:  www.jena.deAuch Goethes Zeitgenosse Friedrich Schiller (1759-1805) schreibt im Jahre 1782 die folgenden Zeilen an die Stuttgarter Hauptmannswitwe Frau Vischer, denen er gleichfalls die Überschrift "Das Geheimnis der Reminiszenz" gab.

Waren unsre Wesen schon verflochten?
War es darum, daß die Herzen pochten?
Waren wir im Strahl' erloschner Sonnen,
In den Tagen lang verrauschter Wonnen,
Schon in Eins zerronnen?

Ja, wir waren's - Innig mir verbunden
Warst du in Äonen, die verschwunden;
Meine Muse sah es auf der trüben
Tafel der Vergangenheit geschrieben:
Eins mit deinem Lieben.

Friedrich Schiller

 

 

Schliemann Heinrich - von Seite:  www.usu.eduVon Heinrich Schliemann (1822-1896) ist die folgende Notiz an seine Gattin überliefert, die er kurz vor seinem Tode auf Altgriechisch verfaßte:

Und beim Zeus! Ich verspreche Dir
für das nächste Leben wiederum die Ehe.

Schliemann Sophia - von Seite:  robertarood.files.wordpress.comHeinrich Schliemann
berühmter Entdecker der versunkenen Städte Troja und Mykene, der überzeugt war, einst selbst bei der Schlacht um Troja mitgekämpft zu haben

 

 

An die Königin von Preussen
zur Feier ihres Geburtstages, den 10. März 1810


Heinrich von Kleist - von der Seite: http://hgl.brsma.deErwäg' ich, wie in jenen Schreckenstagen
Still Deine Brust verschlossen, was sie litt,
Wie du das Unglück mit der Grazie Tritt
Auf jungen Schultern herrlich hast getragen,
Wie von des Kriegs zerrißnem Schlachtenwagen
selbst oft die Schar der Männer zu dir schritt,
Wie trotz der Wunde, die dein Herz durchschnitt,
Du stets der Hoffnung Fahn' uns vorgetragen:
O Herrscherin, die Zeit dann möcht ich segnen!
Wir sah'n dich Anmut endlos niederregnen -
Wie groß du warst, das ahndeten wir nicht!
Dein Haupt scheint wie von Strahlen mir umschimmert;
Du bist der Stern, der voller Pracht erst flimmert,
Wenn er durch finstre Wetterwolken bricht!

Heinrich von Kleist

Das berühmte Gedicht des Heinrich von Kleist,
das er Königin Luise von Preußen
an ihrem 34. Geburtstag, ihrem letzten, überreichte.
(immerhin war eine enge Verwandte des Dichters,
Marie von Kleist, eine der Hofdamen Luises).

 

 

"Siddhartha" Ausschnitt

Hermann Hesse - von der Seite: http://www.udo-lindenberg-stiftung.de"Siddhartha schwieg und blickte ihn mit dem immer gleichen, stillen Lächeln an. Starr blickte ihm Govinda ins Gesicht, mit Angst, mit Sehnsucht. Leid und ewiges Suchen stand in seinem Blick geschrieben, ewiges Nichtfinden.

Siddhartha sah es und lächelte.
"Neige dich zu mir!" flüsterte er leise in Govindas Ohr. "Neige dich zu mir her! So, noch näher! Ganz nahe! Küsse mich auf die Stirn, Govinda!"
Während aber Govinda verwundert, und dennoch von großer Liebe und Ahnung gezogen, seinen Worten gehorchte, sich nahe zu ihm neigte und seine Stirn mit den Lippen berührte, geschah ihm etwas Wunderbares.

Während seine Gedanken noch bei Siddharthas wunderlichen Worten verweilten, während er sich noch vergeblich und mit Widerstreben bemühte, sich die Zeit hinwegzudenken, sich Nirwana und Sansara als Eines vorzustellen, während sogar eine gewisse Verachtung für die Worte des Freundes in ihm mit einer ungeheuren Liebe und Ehrfurcht stritt, geschah ihm dieses:

Er sah seines Freundes Siddhartha Gesicht nicht mehr, er sah statt dessen andre Gesichter, viele, eine lange Reihe, einen strömenden Fluß von Gesichtern, von Hunderten, von Tausenden, welche alle kamen und vergingen, und doch alle zugleich dazusein schienen, welche alle sich beständig veränderten und erneuerten, und welche doch alle Siddhartha waren. Er sah das Gesicht eines Fisches, eines Karpfens, mit unendlich schmerzvoll geöffnetem Maule, eines sterbenden Fisches, mit brechenden Augen - er sah das Gesicht eines neugeborenen Kindes, rot und voll Falten, zum Weinen verzogen - er sah das Gesicht eines Mörders, sah ihn ein Messer in den Leib eines Menschen stechen - er sah, zur selben Sekunde, diesen Verbrecher gefesselt knien und sein Haupt vom Henker mit einem Schwertschlag abgeschlagen werden - er sah die Körper von Männern und Frauen nackt in Stellungen und Kämpfen rasender Liebe - er sah Leichen ausgestreckt, still, kalt, leer - er sah Tierköpfe, von Ebern, von Krokodilen, von Elefanten, von Stieren, von Vögeln - er sah Götter, sah Krischna, sah Agni - er sah alle diese Gestalten und Gesichter in tausend Beziehungen zueinander, jede der andern helfend, sie liebend, sie hassend, sie vernichtend, sie neu gebärend, jede war ein Sterbenwollen, ein leidenschaftlich schmerzliches Bekenntnis der Vergänglichkeit, und keine starb doch, jede verwandelte sich nur, wurde stets neu geboren, bekam stets ein neues Gesicht, ohne daß doch zwischen einem und dem anderen Gesicht Zeit gelegen wäre - und alle diese Gestalten und Gesichter ruhten, flossen, erzeugten sich, schwammen dahin und strömten ineinander, und über alle war beständig etwas Dünnes, Wesenloses, dennoch Seiendes, wie ein dünnes Glas oder Eis gezogen, wie eine durchsichtige Haut, eine Schale oder Form oder Maske von Wasser, und diese Maske lächelte, und diese Maske war Siddharthas lächelndes Gesicht, das er, Govinda, in eben diesem selben Augenblick mit den Lippen berührte. Und, so sah Govinda, dies Lächeln der Maske, dies Lächeln der Einheit über den strömenden Gestaltungen, dies Lächeln der Gleichzeitigkeit über den tausend Geburten und Toden, dies Lächeln Siddharthas war genau dasselbe, war genau das gleiche, stille, feine, undurchdringliche, vielleicht gütige, vielleicht spöttische, weise, tausendfältige Lächeln Gotamas, des Buddha, wie er selbst es hundertmal mit Ehrfurcht gesehen hatte. So, das wußte Govinda, lächelten die Vollendeten.

Nicht mehr wissend, ob es Zeit gebe, ob diese Schauung eine Sekunde oder hundert Jahre gewährt habe, nicht mehr wissend, ob es einen Siddhartha, ob es einen Gotama, ob es Ich und Du gebe, im Innersten wie von einem göttlichen Pfeile verwundet, dessen Verwundung süß schmeckt, im Innersten verzaubert und aufgelöst, stand Govinda noch eine kleine Weile, über Siddharthas stilles Gesicht gebeugt, das er soeben geküßt hatte, das soeben Schauplatz aller Gestaltungen, alles Werdens, alles Seins gewesen war. Das Antlitz war unverändert, nachdem unter seiner Oberfläche die Tiefe der Tausendfältigkeit sich wieder geschlossen hatte, er lächelte still, lächelte leise und sanft, vielleicht sehr gütig, vielleicht sehr spöttisch, genau, wie er gelächelt hatte, der Erhabene."

Herman Hesse
Hermann Hesse (1877 bis 1963) Nach seiner Indienreise 1911 spielt die Reinkarnation in seinen Romanen
eine herausragende Rolle, sie wird zum Motor
von Lebensgeschichten und Schicksalen.
Ausschnitt aus "Siddharta" von 1922

 

 

Brief an die Nichte Stella Rydholm
2. Januar 1925

Selma Lagerlöf - von Seite:  www.phil-fak.uni-duesseldorf.deSelma Lagerlöf (1858-1940), bekannte sich in einem Brief an ihre Nichte Stella Rydholm (2. Januar 1925) zum Glauben an die Reinkarnation:

Ich würde freilich wünschen, daß sie
(die Menschen) an Stelle dessen
(des Christentums) sich auf die Reinkarnation verlassen könnten, aber es dauert wohl lange, ehe das ein allgemeiner Glaube wird.
(Zitiert nach Bock, Übersetzer nicht bekannt.)

Selma Lagerlöf, Selma Ottiliana Lovisa
schwedische Schriftstellerin

 

 

Der Fall des Polizisten Lanfranco Davito

Der Polizist Lanfranco Davito* (12.12.1902) erkannte 1939 spontan einen Mann, der ihn vor sehr langer Zeit in einem Stammeskrieg mit einer Keule getötet hatte. Dadurch wurden auch viele weitere Detailerinnerungen an diese urtümliche Inkarnation ausgelöst. Auch andere Vorleben waren ihm erinnerlich:
  • als Geheimkämmerer von Ramses II. Auf Betreiben der Priester wurde er lebend eingemauert
  • als Häuptlingssohn in Kleinasien, der in einer römischen Arena von wilden Tieren getötet wurde
  • als Begleiter von Kolumbus auf dessen erster Amerikafahrt (1492)
  • als Franzose (um 1700) in Bordeaux, der auf der Flucht wegen Totschlags in einem Schneesturm in den Alpen umkam.
Quellen: Muller, Schmidt
gefunden auf der Seite: www.christian-reincarnation.com
von Jan Erik Sigdell



 

Auszug aus dem Mathnawi von Rumi

Dschalal ad-Din Rumi - von WikipediaDie mystische Interpretation der Sufis zeigt sich einigermaßen unverschleiert in der (insbesondere persischen) klassischen Literatur der islamischen Welt. So findet sich beispielsweise im Buch Mathnawi (das auch als der „persische Quran“ bezeichnet wird) des persischen Dichters und Sufi-Meisters Dschalal ad-Din Rumi (1207-1273), genannt Moulana („unser Meister“), auf dessen Lehren der Mevlevi-Derwischorden zurückreicht, folgendes Gedicht:

„Ich starb als Mineral und wurde Pflanze,
Ich starb als Pflanze und wurde Tier,
Ich starb als Tier und wurde Mensch.

Warum soll ich mich fürchten?
Wann wurd ich weniger durch einen Tod?

Noch einmal werd ich sterben als ein Mensch,
Nur um dann aufzusteigen mit der Engel Segen.

Doch auch vom Engelsdasein muss ich weitergehen…“

Dschalal ad-Din Rumi
persischer Dichter und Sufi-Meister
Quelle:
Wikipedia-Reinkarnation

Das Lied der Liebe

Wie eine Woge kommt mein Körper an und geht.
Schau ganz genau hin:
eine Million Wellen, eine See.

Rumi

 

 

Immer wieder steigst du hernieder

Manfred Kyber - von der Seite:  felix-eberhard.atImmer wieder und wieder steigst du hernieder
in der Erde wechselnden Schoß,
bis du gelernt im Licht zu lesen,
dass Leben und Sterben eins gewesen
und alle Zeiten zeitenlos.

Bis sich die mühsame Kette der Dinge
zum immer ruhenden Ringe in dir sich reiht -
in deinem Willen ist Weltenwille.
Stille ist in dir - Stille - und Ewigkeit.

Manfred Kyber

deutscher Schriftsteller, Theaterkritiker, Dramatiker,
Lyriker und Übersetzer deutschbaltischer Herkunft,
der vor allem durch seine ungewöhnlichen
Tiergeschichten bekannt geworden ist.



 

Jeder Jäger wird einmal ein Hase

Dschalal ad-Din Rumi - von WikipediaJeder Jäger wird einmal ein Hase, früher oder später, denn die Ewigkeit ist lang.

Wilhelm Busch
(1832-1908) Zeichner und Dichter
Spruchweisheiten und Gedichte


 

nicht ein Hauch von Seele wird vergehen

Khalil Gibran - von der Seite:  crescentknits.blogspot.comNicht ein Atom des Körpers wird vergehen
und nicht ein Hauch von Seele.
Sobald der Nordwind
den Saum des Geistes zusammenrafft,
wird sich der Ostwind erheben
und ihn entfalten.


Khalil Gibran
(1883-1931) libanesisch-amerikanischer Maler,
Philosoph und Dichter.
aus: sämtliche Werke



 

Ich liebe mein Leben

Rainer Maria Rilke - Foto von der Seite:  www.firstscience.com
Ich liebe mein Leben in wachsenden Ringen
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn


ich kreise um Gott, den uralten Turm
ich kreise jahrtausende lang;
und ich weiß noch nicht:
bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang

Rainer Maria Rilke
Schriftsteller

 

Angeline

Emile ZolaZola Emile
(1840 - 1902 Paris) Französischer Schriftsteller und Journalist.

Zola gilt als einer der großen französischen Romanciers des 19. Jahrhunderts und als Leitfigur der gesamteuropäischen literarischen Strömung des Naturalismus.

Eines Tages - es ist schon fast zwei Jahre her - fuhr ich mit dem Fahrrad bei Orgeval in der Nähe von Poissy entlang. Plötzlich sah ich am Wegesrand ein Haus, mit dem ich in dieser einsamen Gegen nicht gerechnet hatte. Ich stieg ab, um es näher zu betrachten.

Unter einem grauen Novemberhimmel, im alten Wind, der die toten Blätter vor sich herwehte, stand inmitten eines großen Gartens mit vielen alten Bäumen ein schlichter Ziegelbau. Am Haus selbst war nichts Ungewöhnliches zu bemerken; was mir jedoch sofort auffiel und was jeden Betrachter unangenehm berühren musste, war der Zustand der Verwahrlosung, in dem sich das Anwesen befand. Einer der beiden Flügel des Gartentors war aus den Angeln gehoben und lehnte am Zaun. Jemand hatte die Worte "Zu verkaufen" auf ein riesiges, vom Regen verwaschenes Schild geschrieben. Das machte mich neugierig, und ich trat trotz des leisen Unbehagens näher.

Das Haus musste schon seit dreißig, wenn nicht vierzig Jahren unbewohnt sein. Die Ziegel der Gesimse und Einfassungen hatten sich unter der Schneelast vieler Winter gelockert; in den Löchern wuchsen Moos und Flechten. Mehrere Risse durchzogen die Fassade und ließen das solide, aber ungepflegte Gebäude vorzeitig alt und verrunzelt aussehen. Der Frost hatte die Stufen der Freitreppe gespalten, und in den Zwischenräumen wucherten Brennesseln und Brombeerbüsche - wer diese Schwelle übertrat, befand sich schon mitten in der traurigsten Verlassenheit.

Der Eindruck der Trostlosigkeit rührte aber vor allem von den Fenstern her: Sie waren ohne Vorhänge, nackt und von glaugrüner, verwaschener Farbe; die Scheiben, die vorbeikommende Lausbuben zerschmettert hatten, gaben den Blick auf die leeren, öden Zimmer frei. Sie sahen wie tote, offene Augen in einem leblosen Körper aus.

Der große Garten, der das Haus umgab, war völlig verwildert. Pflanzen schossen überall ins Kraut, so daß man die Abgrenzungen der Blumenbeete kaum noch sah; eingesäumte Wege waren unkenntlich, Wäldchen so groß wie Urwälder geworden. Das ganze wirkte wie ein verwahrloster Friedhof, von hundert Jahre alten Bäumen überschattet, zwischen denen der raue, heulende Herbstwind das Laub hin und her trieb.

Ich weiß nicht, wie lange ich das stand und mich der dumpfen, mit Angst gepaarten Melancholie hingab, die das haus in mir wachrief. Schließlich siegte in mir ein gewisses Mitleid für den armseligen Zustand des Gebäudes und der Wunsch, mehr über das Anwesen und seine einstigen Besitzer zu erfahren. Ich trat auf die Straße und erblickte gegenüber an einer Weggabelung eine Art Gasthaus, wo ich wohl etwas zu trinken bekommen konnte. Ich war entschlossen, die Leute dort zum Sprechen zu bringen.

Im Lokal war nur die Wirtin, eine alte Frau. Sie stellte ein Glas Bier vor mich hin und klagte über das schlechte Geschäft. Ihr Wirtshaus sei so abgelegen, jammerte sie, dass am Tag kaum zwei Radfahrer vorbeikämen. Sie redete und redete. Sie erzählte, dass sie Madame Toussaint heiße, aus Vernon komme und vor vielen Jahren zusammen mit ihrem Mann diesen Gasthof übernommen habe. Das Geschäft sei eine Zeitlang gut gegangen, aber seit ihr Mann nicht mehr lebe...

Als ich sie in einer kleinen Atempause auf das nahegelegene Grundstück ansprach, wurde sie misstrauisch; sie starrte mich an, als wollte ich ihr ein unanständiges Geheimnis entlocken.

"Ich verstehe, Sie meinen das verwilderte Haus da drüben, das Spukhaus, wie es hier in der Gegend genannt wird... Darüber kann ich Ihnen leider nicht viel sagen, mein Herr, das war vor meiner Zeit. An Ostern bin ich dreißig Jahre hier, aber diese Dinge haben sich schon vor fast vierzig Jahren ereignet. Das Haus sah schon verwahrlost aus, als wir herzogen. Sie wissen ja, wie das so ist - ein Winter folgt auf den anderen, niemand kümmert sich, und das einzige, was sich da noch bewegt, sind die losen Dachziegel..."

"Aber warum verkauft man das Grundstück dann nicht?" fragte ich. "Warum? Was weiß ich... es wird so viel geredet."

Vielleicht machte ich einen vertrauenerweckenden Eindruck auf sie; auf jeden Fall brannte sie darauf, den Klatsch loszuwerden. So erzählte sie mir zunächst, dass kein Mädchen aus dem Ort sich nach Einbruch der Dämmerung in das alte Haus wage, denn angeblich spuke es dort. Ich erwiderte, ich sei erstaunt, dass sich so nahe an Paris solche Gerüchte halten könnten. Die Wirtin zuckte mit den Schultern, als sei ihr die ganze Geschichte gleichgültig, aber ich merkte, dass sie im Grunde ebenfalls Angst hatte.

Sie fuhr fort: "Vielleicht spukt es ja wirklich dort. Tatsache ist jedenfalls, dass es für das Haus schon viele Interessenten gab, und die waren alle schneller wieder draußen, als sie gekommen sind. Man sagt, sobald jemand das Haus betritt, geschehen seltsame Dinge: Die Türen fallen krachend ins Schloß, als ob sie ein unsichtbarer Wind zugeschlagen hätte, aus dem Keller dringt ein Schreien, Stöhnen und Schluchzen; und wenn man genau hinhört, kann man eine Stimme so verzweifelt "Angeline! Angeline!" rufen hören, dass einem das Blut in den Adern friert. Sie glauben mir nicht? Sie können fragen, wen Sie wollen. Jeder wird Ihnen das bestätigen."

Allmählich interessierte mich die Sache, und ich bekam selbst eine Gänsehaut. Ich fragte: "Und wer war diese Angeline?"

Sie antwortete: "Ach, wissen Sie, das führt zu weit. Außerdem weiß ich, wie gesagt, nicht viel darüber."

Schließlich erzählte sie mir dann doch, was sie wusste: "Im Jahre 1858, mitten im Zweiten Kaiserreich, als Napoleon III, seine Triumphe feierte, starb die Frau des Herrn von G., der ein wichtiges Amt in der Staatsverwaltung innehatte, und hinterließ eine etwa zehnjährige Tochter namens Angeline, ein Wunder an Schönheit und ein Ebenbild ihrer verstorbenen Mutter. Zwei Jahre später heiratete Herr von G. wieder, und zwar die Witwe eines Generals, ebenfalls eine berühmte Schönheit. Seit dem Tag der Hochzeit soll eine erbitterte Feindschaft zwischen Angeline und ihrer Stiefmutter bestanden haben. Die eine war gekränkt darüber, dass ihr Vater ihre Mutter so schnell vergessen und durch diese fremde Frau ersetzen konnte; der anderen war es ein Greuel, ständig das Ebenbild ihrer Vorgängerin vor sich zu sehen und auf Schritt und Tritt mit ihr verglichen zu werden.
Das Haus gehörte der zweiten Frau von G.; angeblich hat sie eines Abends, als ihr Mann seine Tochter leidenschaftlich umarmte, in ihrer grenzenlosen Eifersucht der jungen Angeline einen solchen Schlag versetzt, dass sie mit gebrochenem Nacken tot zu Boden sank. Aber es kam noch schlimmer: Um seine zweite Frau vor einer Anklage zu bewahren, vergrub der Vater Angeline im Keller des Hauses; dort ruhte sie jahrelang, während man vorgab, sie sei zu einer Tante gefahren. Ein Hund, der immer an der gleichen Stelle den Boden aufkratzte, hat dann angeblich eines Tages die Leiche des Mädchens entdeckt, aber das Verbrechen wurde aus innenpolitischen Gründen lange vor der Öffentlichkeit geheimgehalten. Und heute? Herr und Frau von G. sind längst eines natürlichen Todes gestorben, aber Angeline spukt, so heißt es, immer noch jede Nacht im Haus herum, weil die düstere Stimme aus dem Jenseits nicht aufhört, sie zu rufen.

Ich bin überzeugt davon, dass die Geschichte wahr ist", beendete Madame Toussaint ihre Schilderung, "so sicher wie zwei und zwei vier ist."

Stumm und mit wachsendem Staunen hörte ich zu, ungläubig - und doch fesselte mich das Seltsame, Gewalttätige an diesem dunklen Familiendrama. Ich erinnerte mich dunkel, den Namen des Herrn von G. schon einmal gehört zu haben, und es war damals auch von einer zweiten Heirat und von irgendeinem familiären Unglück die Rede gewesen.

War das Ganze also wahr? Es klang wie eine klassische Tragödie, voller Leidenschaften bis hin zum Wahnsinn: das schöne Mädchen, die böse Stiefmutter, das grausame Verbrechen, der Vater, der seine Tochter wie einen Hund im Keller verscharrt. All die Emotionen, der Horror - fast zu schön, um wahr zu sein. Ich musste unbedingt weiter nachforschen. Andererseits: Was hatte es für einen Sinn, die Geschichte anzuzweifeln? Ob wahr oder nicht, sie war als volkstümliches Schauermärchen eindrucksvoll genug.

Als ich wieder auf mein Rad stieg, sah ich noch einmal zum Spukhaus hinüber. In der Abenddämmerung sah es mit seinen leeren Fenstern wie ein Totenschädel aus, und die alten Bäume stöhnten im Herbstwind.

II

Ich weiß nicht, warum; aber die Geschichte ließ mich nicht mehr los. Ich musste bei Tag und Nacht daran denken - das wurde mir geradezu zum intellektuellen Problem. Vergeblich sagte ich mir, dass dergleichen Legenden auf dem Land überall erzählt werden und dass die ganze Sache mir eigentlich gleichgültig sein konnte. Trotzdem verfolgte mich der Gedanke an das unglückliche Mädchen, das seit nunmehr vierzig Jahren Nacht für Nacht von einer geheimnisvollen Stimme durch die leeren Zimmer dieses verlassenen Hauses gelockt wurde.

In den nächsten zwei Wintermonaten stellte ich einige Nachforschungen an. Wenn von der Sache auch nur das Geringste nach außen gedrungen war, hatten die Zeitungen ganz sicher etwas darüber gebracht. Daher suchte ich im Zeitungsarchiv der Pariser Nationalbibliothek nach den alten Jahrgängen, aber ich fand nicht eine Zeile über diesen oder einen ähnlichen Vorfall. Dann fragte ich einige Zeitzeugen und ein paar Mitarbeiter der Staatsverwaltung, die Herrn von G. noch kannten, aber ich erhielt lauter unklare und widersprüchliche Aussagen. Schließlich verlor ich den Mut und wollte aufgeben - obwohl mir die Geschichte im Grunde immer noch keine Ruhe ließ, da brachte mich eines Tages der Zufall auf eine neue Spur.

Ich besuchte damals alle zwei bis drei Wochen den alten Dichter V., den ich mochte und dessen Werk ich bewunderte. Er starb im vergangenen April im Alter von siebzig Jahren.

Garten-Luxembourg in ParisSeine letzten Jahre verbrachte der gelähmte alte Mann in einem Lehnstuhl in seinem Arbeitszimmer in der Rue d'Assas, von dem aus man den Jardin du Luxembourg sehen konnte. Dort verbrachte er träumerisch die ihm verbleibende Zeit, so, wie sein ganzes Leben eher ein betrachtendes als ein aktives gewesen war: geliebt und gelitten hatte er vor allem in der Phantasie. Selbst sein Gesicht als alter Mann mit den weißen Löckchen und den blassen Augen hatte noch etwas kindlich Unschuldiges. Ich möchte nicht behaupten, dass er ausschließlich frei Erfundenes erzählte; aber man wusste nie so recht, wo für ihn die Wirklichkeit aufhörte und der Tagtraum begann. Mit diesem charmanten, ganz in sich selbst ruhenden Greis unterhielt ich mich gern; er sprach meine Gefühle an und ließ mich dabei oft ganz neue Einsichten gewinnen.

Eines Tages saß ich wieder einmal in seinem kleinen Zimmer am Fenster. Wir sahen aus dem gut geheizten Raum, in dem ein helles Kaminfeuer brannte, auf den frostigen, schneebedeckten Jardin Du Luxembourg hinab und tauschten unsere Gedanken aus. Ich weiß nicht, mehr, wie ich darauf kam, aber plötzlich erzählte ich ihm von dem alten Haus und seiner seltsamen Geschichte, die mich nach wie vor gefangen hielt - von der zweiten Ehe des Herrn von G., von der eifersüchtigen Stiefmutter, der hübschen Angeline, die das Ebenbild ihrer Mutter war, und ihrem schrecklichen Ende.

Der alte Dichter hörte mir ruhig und traurig lächelnd zu; als ich geendet hatte, starrte er minutenlang schweigend auf die Schneedecke des Parks hinaus. Dann lief ein leichtes Zittern über seinen Körper. "Ich habe Herrn von G. und seine Familie gut gekannt. Seine erste Frau war von einer bezaubernden Schönheit, und auch die zweite war außerordentlich attraktiv. Ich habe sie beide sehr verehrt und insgeheim leidenschaftlich geliebt. Seine Tochter Angeline jedoch war die Schönste von allen - jeder Mann wäre ihr später zu Füßen gelegen. Aber im übrigen war die Sache nicht ganz so, wie Sie glauben..."

Ich war völlig überrascht. Würde ich jetzt endlich die ganze Wahrheit erfahren?

Aufgeregt rief ich: "Mein Freund, Sie wissen gar nicht, was Sie mir für einen Dienst erweisen! Endlich komme ich wieder zur Ruhe! Schnell, reden Sie, sagen Sie mir alles!"

Aber erhörte mich nicht. Sein Blick verlor sich in der Ferne. Als er schließlich sprach, klang es wie in Trance, so, als hätte er alles, was er sah, soeben selbst erfunden.

Er sagte: "Angeline war erst zwölf, als es passierte - aber ihre Seele, ihre Gefühle waren schon die einer erwachsenen Frau. Sie war es, die eifersüchtig auf ihre Stiefmutter war. Sie konnte es nicht ertragen zu sehen, wie ihr Vater tagtäglich diese fremde Frau in den Armen hielt. Für sie war es ein schrecklicher Verrat - weniger an ihrer toten Mutter als an ihr selbst. Jede Nacht hörte sie die Stimme ihrer Mutter, die sie aus dem Grab rief; und eines Tages, als sie vor Sehnsucht nach ihrer verstorbenen Mutter ganz krank war und das alles nicht mehr ertragen konnte, bohrte sich dieses zwölfjährige Mädchen einen Dolch ins Herz."

"O Gott", entfuhr es mir, "das ist ja entsetzlich!"

Ohne meinen Ausruf wahrzunehmen, fuhr der Dichter fort: "Und nun das Frauen, mit dem der Vater und die Stiefmutter Angeline am nächsten Morgen in ihrem Bett fanden - blutüberströmt, das Messer bis zum Heft in der Brust! Sie wollten an diesem Morgen nach Italien fahren und kamen, um sich von Angeline zu verabschieden; außer ihnen war nur die alte Dienerin im Haus, die das Mädchen mit erzogen hatte. Da Herr und Frau von G. Angst hatten, der Tod ihrer Tochter könnte ihnen zur Last gelegt werden, baten sie die Dienerin zu schweigen und vergruben die Leiche mit ihrer Hilfe - aber nicht im Keller, sondern in einem Gewächshaus hinter dem Gebäude, am Fuße eines riesigen Orangenbaums. Erst als Herr und Frau von G. gestorben waren, lüftete die alte Dienerin das Geheimnis."

Der eigenartige Ton, in dem der alte Mann dies sagte, veranlasste mich, seinen Bericht zu prüfen. Ich fragte: "Halten Sie es für möglich, dass die Kleine jede Nacht, in der die mysteriöse Stimme sie ruft, als Gespenst erscheint?"

Er sah mich an und lächelte nachsichtig.

"Was heißt ‚als Gespenst erscheint'? Natürlich kann ihre Seele jederzeit wieder dort erscheinen. Das ist bei allen Menschen so. Warum sollte die Tote denn nicht mehr ihr Elternhaus bewohnen, in dem sie einst glücklich war, in dem sie aber auch so sehr leiden musste? Die Stimme, die nach ihr ruft, beweist nur, dass ihr Leben noch nicht wieder begonnen hat - denn ich bin überzeugt davon, dass alles wiederkehrt, nichts geht verloren, auch die Liebe und die Schönheit nicht. Angeline! Eines Tages wird sie wiedergeboren - von Sonne und Blumen umgeben..."

Diese poetische Sicht der Dinge war leider nicht dazu angetan, mir meine zweifel und meine Unruhe zu nehmen. Mein alter Freund V., der Dichter, phantasierte wohl mehr, als er wusste. Aber vielleicht hatte er als Dichter ja auch eine seherische Begabung...

Ich gab mir einen Ruck, lächelte und frage: "Ist das, was Sie mir da erzählt haben, wirklich die Wahrheit?"

Jetzt lächelte er auch. "Aber sicher. Ist das Unendliche nicht immer wahr?"

Garten Luxembourg in ParisEs war das letzte Mal, dass ich ihn sah. Kurz nach unserem Gespräch verließ ich Paris. Ich sehe ihn heute noch vor mir, wie er an jenem Nachmittag mit ruhigem, träumerischem Blick auf die weiße Schneedecke des Jardin du Luxembourg starrte; er war sich seiner Visionen so sicher, und da saß ich und versuchte krampfhaft, diese Geschichte zu rekonstruieren und ein Zipfelchen Wahrheit festzuhalten.

III

Achtzehn Monate gingen ins Land. Während dieser Zeit war ich beruflich viel unterwegs gewesen, hatte einigen Kummer, aber auch eine Menge Erfreuliches erlebt - stürmische Zeiten, die uns bisweilen viel zu schnell in eine unbekannte Zukunft fortreißen. Trotzdem hörte ich in regelmäßigen Abständen immer wieder von Ferne - und doch in mir selbst - den langgezogenen Schrei "Angeline! Angeline!" Die Ungewissheit über das, was damals passiert war, nagte an mir und ließ mich nicht zur Ruhe kommen.

Eines Abends im Juni radelte ich bei herrlichem Wetter zufällig wieder den abgelegenen Weg zum Spukhaus entlang. War es wirklich ein Zufall, oder hatte ich einem unbewussten Verlangen stattgegeben, als ich von der großen Straße auf diesen Weg abbog? Es war kurz vor acht Uhr, aber an einem langen Sommertag wie diesem war es noch hell. Die Luft war lau; ein Sonnenuntergang wie aus dem Bilderbuch lag über dem friedlichen, nach Bäumen und Sträuchern duftenden Land.

Als ich das Grundstück sah, hielt ich staunend an und stieg ab - sie wie damals vor eineinhalb Jahren. Zögernd trat ich näher. Das war doch nicht möglich - das konnte nicht dasselbe Grundstück sein!

Rund um den Garten waren neue Mauern hochgezogen worden, und ein schönes neues Gartentor leuchtete in der Abendsonne. Das Haus selbst, das hinter den dichten Bäumen und Büschen kaum noch zu sehen war, hatte ein junges, fröhliches Aussehen bekommen. Ich dachte nach: War dies die vom Dichter prophezeite Auferstehung? Hatte Angeline die klagende Stimme, die nach ihr rief, erhört? War sie auf die Welt zurückgekehrt?

Minutenlang stand ich da und überlegte, was das alles wohl zu bedeuten hatte. Plötzlich hörte ich in wenigen Metern Entfernung schlurfende Schritte. Ich fuhr zusammen, aber es war nur Madame Toussaint, die Wirtin, die gerade ihre Kuh von einer nahegelegenen Kleeweide abholte.

Ich deutete auf das Haus und sagte: "Die da haben anscheinend keine Angst vor Gespenstern, was?"

Jetzt erkannte sie mich. "Guten Abend, mein Herr", sagte sie und hielt ihr Tier an. "Na ja, es gibt eben Leute, denen graut vor gar nichts. Das Grundstück da ist jetzt schon mehr als ein Jahr verkauft. Ein Künstler, der Maler B., hat es günstig erworben. Sie wissen ja, diesen Künstlern ist alles zuzutrauen." Im Weggehen meinte sie noch achselzuckend: "Mal sehen, wie die Sache endet."

Ausgerechnet der Maler B., der die hübschesten Frauen von Paris portraitierte, wohnte hier! Ich kannte ihn flüchtig; wir hatten einander schon des öfteren die Hand geschüttelt - in den Foyers der Theater, in Museen und Galerien, wo man sich eben so trifft. Und plötzlich verspürte ich das heftige Bedürfnis einzutreten, mich ihm anzuvertrauen, ihn zu bitten, mir zu sagen, was er vom Geheimnis dieses Hauses wusste.

Ohne lange zu überlegen und ohne auf meine vom Radfahren leicht verstaubte Kleidung zu achten (die ja inzwischen fast überall toleriert wird), lehnte ich mein Fahrrad an einen alten moosbewachsenen Baum und klingelte. Ein Hausdiener öffnete, ließ mich in den Garten, nahm meine Visitenkarte entgegen und bat mich zu warten.

Meine Überraschung wuchs, als ich mich umsah. Man hatte die Fassade restauriert; es gab weder Risse noch kaputte Ziegel. Die mit Rosen geschmückte Eingangstreppe war eine Zierde des Hauses und heiß den Gast willkommen. Hinter den Fensterscheiben leuchteten freundliche weiße Gardinen, der Garten war gepflegt, die Blumenbeete liebevoll hergerichtet, und die alten Bäume sahen im Glanz des Abendrots richtig verjüngt aus.

Der Diener kam zurück und bat mich in einen Salon. Er sagte, Monsieur sei in den Nachbarort gefahren, werde aber bald wieder zurück sein. Ob ich solange warten wolle? Selbstverständlich wollte ich, und wenn es Stunden dauerte!

Ich wappnete mich mit Geduld und sah mir die vornehme Einrichtung des Zimmers an. Sie bestand aus einem dicken Teppich, zwei Ledersesseln, einem breiten Sofa und schweren Vorhängen an Türen und Fenstern. Die Stoffe waren so üppig, dass ich gar nicht bemerkte, wie schnell es draußen Nacht wurde. Auf einmal war es auch im Salon dunkel; niemand brachte eine Lampe; man hatte mich wohl vergessen.

Ich weiß nicht, wie lange ich da saß und über Angelines tragisches Schicksal nachachte. War das Mädchen ermordet worden? Oder hatte sie sich tatsächlich selbst das Messer ins Herz gestoßen? Bei diesen Gedanken überkam mich alsbald eine schleichende Angst, die durch das düstere Haus und die völlige Dunkelheit des Raumes noch verstärkt wurde. Zuerst war es nur ein Schauer, ein leichtes Unwohlsein, dann Herzklopfen, und schließlich ergriff mich ein lähmendes Gefühl, das man Todesangst nennen, aber mit Worten nicht beschreiben kann.

Anfangs hörte ich nur ein leises, undeutliches Rumpeln, das aus dem Keller des Hauses kam, dann schwere Schritte, Seufzer und ein ersticktes Schluchzen. Die Geräusche kamen immer näher; es war, als würde das ganze Haus vom Keller her mit einer stetig steigenden Flut von entsetzlicher, namenloser Trauer überschwemmt.

Auf einmal drang der grausige Schrei durch Türen und Wände: "Angeline! Angeline! Angeline!" gellte es durch s Haus, und ein kühler Grabeshauch wehte mich an. Eine der beiden Türen des Salons wurde aufgestoßen; Angeline trat ein und durchquerte den Raum. Sie bemerkte mich nicht, aber ich sah sie im Schein des Lichtes, das von der Vorhalle durch die offene Tür in den Salon fiel. Es war Angeline, wie ich sie mir vorgestellt hatte - ein leichenblasses, bildhübsches Mädchen von zwölf Jahren, ganz in Weiß gekleidet, mit schulterlangen blonden Haaren. Sie lief stumm und leeren Blickes an mir vorbei und verließ den Salon durch die zweite Tür. Die Stimme rief ihr von neuem nach: "Angeline, Angeline, Angeline!" und verlor sich in der Weite.

Mit standen die Haare zu Berge, und ich war noch wie gelähmt, als endlich die Tür auf ging und der Diener mit der Lampe eintrat. Gleich darauf kam auch Herr B., begrüßte mich mit einem herzlichen Händedruck und bat mich um Verzeihung dafür, dass ich so lange auf ihn warten musste.

Ich übte mich nicht in falschem Heldentum, sondern erklärte ihm unumwunden und immer noch am ganzen Leibe zitternd, was mir soeben widerfahren war.

Zunächst war er bestürzt, dann aber lachte er herzlich und beeilte sich, mich zu beruhigen: "Ich nehme an, Ihnen ist nicht bekannt, mein Lieber, dass ich ein Vetter der zweiten Frau von G. bin. Es ist mir ein Rätsel, wie man auf die Idee kommen konnte zu behaupten, meine Kusine hätte Angeline ermordet. Sie hatte ihre Stieftochter in ihr Herz geschlossen und war über ihren Tod genauso verzweifelt wie der Vater! Das einzige, was an all den Gerüchten stimmt, ist, dass Angeline in diesem Haus gestorben ist - aber nicht, weil man sie umbrachte, und auch nicht, weil sie selbst Hand an sich legte, sondern sie starb an einem plötzlichen schweren Fieber. Ihre Eltern fassten eine tiefe Abneigung gegen dieses Haus, das ihnen soviel Unglück beschwert hatte, und zogen weg.

Für den Rest ihres Lebens stand das Haus leer, und es blieb auch nach ihrem Tod jahrelang unbewohnt, weil umfangreiche Erbstreitigkeiten seinen Verkauf hinauszögerten. Ich selbst hatte schon seit vielen Jahren ein Auge auf das Haus geworfen; ich wartete nur auf meine Gelegenheit. Wir leben nun bereits über ein Jahr hier, und ich schwöre Ihnen, wir haben bis jetzt noch keinen Geist gesehen."

"Und was ist mit Angeline?" wandte ich ein, und ein leises Schauern ergriff mich wieder. "Sie war doch eben noch hier bei mir im Salon. Eine Stimme rief nach ihr, sie kam herein, lief quer durchs Zimmer und ging dort wieder zur Tür hinaus."

Er starrte mich ungläubig an. Ich befürchtete schon, er zweifle an meinem Verstand. Aber dann lachte er wieder jenes herzliche Lachen eines glücklichen Mannes.

"Jetzt verstehe ich, mein Lieber", sagte er, "die Sache ist einfach: Ich habe eine Tochter; sie ist zwölf Jahre alt, und ihr Patenonkel, der verstorbene Herr von G., hat sie zum Andenken an seine Tochter Angeline genannt. Ich nehme an, ihre Mutter hat sie gerufen, und da ist sie eben zufällig durch dieses Zimmer gelaufen. Das ist alles."

Er ging zur Tür, offnete sie, und von ihm kam nun der Ruf: "Angeline! Angeline! Angeline!"

Da war das Kind - gesund und munter und bildhübsch stand es vor uns, ein elfengleiches Wesen im weißen Sommerkleidchen mit schulterlangen blonden Haaren, das schon die ersten Knospen holder Weiblichkeit trug und das ganze Leben noch vor sich hatte.

Ich musste an die Worte des Dichters denken: ‚Nichts geht verloren, alles kehr irgendwie wieder, auch die Schönheit und die Liebe', hatte er gesagt. Und wirklich, dieses Mädchen hier war die auferstandene, zum Leben erweckte Angeline - so, wie sich in jeder Tochter die Mutter wiederfindet, die Liebende von morgen, im ewigen Reigen der Blumen und der Sonne.

Das und kein Gespenst war der eigentliche Zauber jenes Hauses, das heute, in der Fremde des endlich wiedergefundenen Lebens, so jung aussah wie dieses Mädchen.



 

Gottes Wille ist so stille

Lorbeer Jakob - Foto von Seite : www.jesus-jehova-zebaoth.deLorbeer Jakob
(1800 - 1864) Österreich/Ungarn. Lorbeer war österreichischer Musiker und christlicher Neuoffenbarer und Visionär, der sich als „Schreibknecht Gottes” bezeichnete.

Gottes Wille Ist so stille, daß ihn Viele überhören,
Und nur Jene, die begehren Solchen zu vernehmen,
Werden nach und nach erkennen, daß sich Gottes Wille
nur in heil'ger Stille Jenem treulich offenbaret,
der mit Sehnsucht auf ihn harret.

Viele Brüder Singen Lieder. das ist schon der Bessern Sitte;
Selten doch aus deren Mitte, wird wohl Einem kaum gelingen, In die Geisterwelt zu dringen.
Darum will Ich's wagen, euch den Weg zu sagen;
Doch auch Allen wohl verkünden: Geisterwelt ist schwer zu finden.

Tief im Herzen, Wo nicht Schmerzen, liegt die Geisterwelt verborgen.
Nur durch's Beten, Fasten, Sorgen für den Geist durch's ganze Leben
Könnt ihr diesen Schleier heben; Dann wird offen werden Jedem hier auf Erden,
Daß in euch die Geister wohnen, aller Monde, Erden, Sonnen.

Gott als Sonne Ist die Wonne, haucht das Leben in die Wesen;
Doch der Geist nur kann es lesen, Er allein kann Geister sehen,
Gottes Bild in sich erspähen. Dringt in euch, ihr Alle Auf dem Erdenballe! -
Leben nur wird Leben finden, Tod die Seinen ewig binden! -

Keiner glaube, daß die Traube nur durch Sonnenkraft gedeihe.
Es bedarf da höh'rer Weihe, um dies Rätsel zu ergründen;
Nur der Geist wird's euch verkünden; daß in allen Früchten Geister, Geister richten,
Den Geschmack, Geruch gestalten, Farbe selbst wird durch ihr Walten.

All' Gebilde, Noch so milde, Ist ein Werk der Geisterheere,
Sei's auf der Erd, in Luft, im Meere, ja in allen Schöpfungsräumen
Wohnen Geister in den Keimen, - sucht, ihr werdet's finden!
Ja in euch ergründen, Welchen Weg die Geister gehen, wie sie Erden, Sonnen drehen. -

Nicht am Rande, löst die Bande, euren Geist dann zu befreien, und dem Tod das Leben weihen.
Sehet - ewig ist verloren, der im Geist nicht neugeboren;
Dieses kurze Leben muß die Zweifel heben.
Wollt ihr dieses sicher finden, müßt ihr früh den Geist ergründen.

All's Bewegen, alles Regen kommt von einem geist'gen Leben;
Ruhe selbst ist nur ein Streben zweier Kräfte nach Bewegung;
Kommt zu Einem eine Stärkung, muß die Schwäche weichen.
O ihr armen Reichen, geistig lahm und lebend Steifen, könnt auch Das ihr nicht begreifen!?

Ihr wollt leben ohne Streben nach des Geistes-Lebens Himmel ewig so in eurem Tümmel!
Merkt denn: Nur die Kraft wird siegen und dem Tod nicht unterliegen;
Die da überwunden, ewig auch entschwunden
Aus der reinen Lebensphäre, ihr Besteh'n wird zur Chimäre.

O ihr Freunde Der Gemeinde, die nach hellem Schauen ringet!
Wohl euch, Jedem, dem's gelinget In die Geisterwelt zu dringen,
Wo die Engel Weisheit singen, wo kein Denken trüget, Niemand euch belüget;
Wo der Geist im klarsten Schauen alles wird auf Liebe bauen. -

Auf zum Streite! Ich's geleite Jedem, der schon hat begonnen
Stark zu kämpfen, bald werd' kommen Ich, ein starker Held zu richten
Diese Welt, und All's zu schlichten; was da krumm auf Erden Muß gerade werden.
Berge werden alle weichen, und den Tälern völlig gleichen.

Lorbeer Jakob
aus "Psalmen und Gedichte" (017,01-11)



 

ZITATE zu Reinkarnation / Leben nach dem Tod

Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden - und nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.
Sören Kierkegaard

Dieter Duhm (*1942) zitiert in seinem Vortrag »Befreiung von der Besetzung« (2004) auch Claude AnShin Thomas (*1947)
"Ich dulde in mir keine Feindschaft mehr! Das ist meine Antwort auf all die grauenhaften Dinge, die ich gesehen habe:
Ich dulde in mir keine Feindschaft mehr, auch nicht gegenüber den Tätern!"
Claude AnShin Thomas (*1947), Veteran des Vietnamkriegs und Soto-Zen-Priester

"Je weiter man zurückblicken kann, desto weiter wird man vorausblicken ...",
Sir Winston Churchill

"Blicke in dein Inerstes... Da drinnen ist eine Quelle des Guten,
die niemals aufhört zu sprudeln, so lange du nicht aufhörst danach zu graben...",
Marc Aurel

"Es ist sehr wichtig, sich darüber klar zu werden, dass ein enormes Kraftreservoir in uns schlummert und nur darauf wartet, von uns benutzt zu werden."
Norman Vincent Peale

"Wenn wir unsere Lieben nicht in Fleisch und Blut vor uns sehen,
heißt das nicht im geringsten, dass sie nicht mehr leben.
Im Gegenteil, sie leben, ebenso wie wir für immer leben werden."
Norman Vincent Peale

"Es konnte den Anschein haben, als sei die Philosophie an die Künstler übergegangen; als gingen von ihnen die neuen Impulse aus. Als seien sie die Propheten der Wiedergeburt. Wenn wir Kandinsky oder Picasso sagten, meinten wir nicht Maler, sondern Priester; nicht Handwerker, sondern Schöpfer neuer Welten, neuer Paradiese."
Hugo Ball

"Wer sein ganzes Leben lang gewohnt war, sich selbst und andere zu täuschen, sei es bewußt oder unbewußt, bei dem nützt auch die Konfrontation mit der absoluten Wahrheit nach dem Tod nichts. Er torkelt blind weiter, von Wiedergeburt zu Wiedergeburt."
Monika Hauf

"Wir haben bereits angesprochen, daß der Unterschied zwischen dem Buddhismus und dem Christentum bereits bei der Vorstellung von Gott beziehungsweise den Göttern beginnt..."
"Aufgrund dieser unterschiedlichen Gottesvorstellung kann der Christ davon überzeugt sein, der Kreuzestod Christi habe ihn vor dem Höllenfeuer gerettet, während der Buddhist mit gleicher Sicherheit weiß, daß die einzig mögliche «Erlösung» aus ihm selbst kommen muß. Nur seine eigenen Anstrengungen befreien ihn aus dem Rad der Wiedergeburt."
Monika Hauf

"Sinn und Zweck des Todes ist es, sich in eine neue Gestalt mit einer neuen Position in Raum und Zeit «hineinzudenken»."
Deepak Chopra

"Die Wiedergeburtslehre verspricht der Glaubenskern einer «postmaterialistischen Gesellschaft» zu werden, eine kulturübergreifende Einheitsreligion, die irgendwie alles mit allem in Einklang bringt: Religion und Wissenschaft, Mystik und Aufklärung, Ost und West, gerade noch rechtzeitig zum Aufbruch ins «Neue Zeitalter». Einen «Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit» nannte schon Friedrich Nietzsche «die Lehre von der Wiedergeburt»."
Harald Wiesendanger

"Wenn man einmal den Tod erlebt hat, wie ich es getan habe, dann weiß man in Innersten: es gibt gar keinen Tod. Man geht immer nur weiter von einem zum nächsten - wie man weitergeht von der Grundschule zur Oberschule zur Hochschule."
Zitat aus Raymond A. Moody

"Die Reinkarnation und die in ihr enthaltene Gnade, alle Fehler wieder ausgleichen zu können, gibt uns die Kraft, auf dem mühsamen und oft einsamen Weg nach oben durchzuhalten."
Pieter Barten

"Geniesse die Minute, solange sie glüht!
Der Frühling verwelkt und die Liebe verblüht.""
Emanuel Geibel

"Der Augenblick ist so kostbar wie das Leben eines Menschen."
Friedrich Schiller

"Werd' ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! Du bist so schön!"
Johann Wolfgang von Goethe

"Es gibt Augenblicke, in denen eine Rose wichter ist als ein Stück Brot"
Rainer Maria Rilke

"Jeder Tag ist ein kleines Leben."
Arthur Schopenhauer

"Das Publikum beklatscht ein Feuerwerk, aber keinen Sonnenaufgang."
Christian Friedrich Hebbel

"Willst du dich am Ganzen erquicken,
so musst du das Ganze im Kleinsten erblicken"
Johann Wolfgang von Goethe

"Nie stille steht die Zeit,
der Augenblick entschwebt,
und den du nicht benutzt,
den hast du nicht gelebt."
Friedrich Rückert

"Nicht in die ferne Zeit verliere dich.
Den Augenblick ergreife. Der ist dein."
Johann Christoph Friedrich von Schiller

Ich bin von der Reinkarnation überzeugt, seit ich 26 Jahre alt war. Was einige für eine besondere Gabe oder ein Talent zu halten scheinen, das ist nach meiner Ansicht die Frucht langer, in vielen Leben erworbener Erfahrung. Wir alle werden viele Male wiedergeboren, leben viele Leben, sammeln Erfahrungen und entwickeln uns weiter. Die scheinbar intuitive Gabe ist in Wirklichkeit das Produkt langer Erfahrung aus mehreren Reinkarnationen.
Henry Ford (1863 - 1943) zur Reinkarnation

Grabspruch des Erfinders des Blitzableiters: Hier ruht der Leib des Buchdruckers Benjamin Franklin als Speise für die Würmer, gleich dem Einband eines alten Buches, aus dem der Inhalt herausgenommen und seiner Aufschrift und Vergoldung beraubt ist. Aber das Werk selbst wird nicht verloren sein, sondern es wird wieder erscheinen in einer neueren, schöneren Ausgabe, durchgesehen und verbessert von dem Verfasser.

Benjamin Franklin (1706 - 1790) zur Reinkarnation

Die moderne westliche Menschheit befindet sich auf einem Schiff, das aus so grossen Mengen von Eisen und Maschinen besteht, dass es die Nadel des Kompasses auf sich selbst ablenkt, so dass dieser den Weg nicht mehr weisen kann. In dieser Situation hilft es nicht, noch klügere Ingenieure auf die Kommandobrücke zu holen. Man muss sich nach den Menschen umsehen, die noch wissen, nach den Sternen zu navigieren.
Werner Heisenberg (1901 - 1976) zur Reinkarnation

Johann Wofgang von Goethe (1749 - 1832) zur Wiedergeburt
"Wenn einer 75 Jahre alt ist, kann er nicht fehlen, dass er mitunter an den Tod denke. Mich lässt dieser Gedanke in völliger Ruhe, denn ich habe die feste Überzeugung, dass unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur; es ist ein Fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die selbst unsern irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet."
(2.5.84 an Eckermann)

"Ich bin gewiss, wie Sie mich hier sehen, schon tausendmal dagewesen und hoffe wohl noch tausendmal wiederzukommen."
(25.1.1813 an Johann Daniel Falk)

"Jede Geburt ist Wiedergeburt."
W
ilhelm Busch

Die Lehre von der Wiederverkörperung ist weder widersinnig noch nichtssagend. Zweimal geboren zu werden ist nicht wunderbarer als einmal. Auferstehung ist das Eins und Alles der Natur." Voltaire (1694 - 1778) zur Wiedergeburt

Reinkarnation und Karma bilden einen wundervollen, ganz unvergleichlichen Weltmythos, gegen den wohl jedes andere Dogma kleinlich und borniert erscheinen muss.
Richard Wagner (1813 - 1883) zur Reinkarnation

Der ganze Frühling ist mir ein Bild der Unsterblichkeit, der Schönheit, der Auferstehung, und mein Zug dahin ist vor dem Herrn der Natur eben so untrüglich, als der Zug des wandernden Vogels, der Gang der untergehenden Sonne.
Johann Gottfried Herder (1744 - 1803) zur Reinkarnation:

Alles was mich die Wissenschaft bisher gelehrt hat, bestätigt meinen Glauben in eine spirituelle Wiedergeburt nach dem Tod. Ich glaube an eine unsterbliche Seele. Die Wissenschaft hat bewiesen, dass sich nichts in Nichts auflösen kann. Das Leben und die Seele können sich deshalb unmöglich in Nichts auflösen und sind deshalb unsterblich.
Werner Von Braun zur Reinkarnation:

Ich könnte mir gut vorstellen, dass ich in früheren Jahrhunderten gelebt habe und dort an Fragen gestossen bin, die ich noch nicht beantworten konnte: dass ich wiedergeboren werden musste, weil ich die mir gestellte Aufgabe nicht erfüllt hatte. Wenn ich sterbe, werden - so stelle ich es mir vor - meine Taten nachfolgen. Ich werde das mitbringen, was ich getan habe.
Carl Gustav Jung (1875 - 1961) zur Reinkarnation:

Bevor ich mit Sterbenden zu arbeiten begann, glaubte ich nicht an ein Leben nach dem Tod. Jetzt glaube ich an ein Leben nach dem Tod, ohne den Schatten eines Zweifels.
Elisabeth Kübler-Ross (1926 - 2004) zum Thema Reinkarnation und Sterben

Lebe so, wie wenn Du nochmals leben könntest - dies ist Deine Pflicht. Denn Du wirst in jedem Falle nochmals leben!
Friedrich Nietzsche zur Reinkarnation:

Nimmer vergeht die Seele, vielmehr die frühere Wohnung tauscht sie
mit neuem Sitz und lebte und wirkt in diesem.
Alles wechselt, doch nichts geht unter.
Der große Philosoph, Mathematiker und Astronom Pythagoras - (ca. 582 – 496 vor Christus)

Müssen wir, weil die Schildkröte einen sicheren Gang hat, die Flügel der Adler beschneiden?
Edgar Allen Poe, 1809 - 1849



 

Abschieds-Szene eines guten Geistes

Abschiedsszene eines guten Geistes von seinem Leichnam
Jakob Lorber

Vorwort.
Dieses Liedchen ist gut und wahr; daher sollte es wohl recht beherziget werden.
Es giebt zwar schon ähnliche Lieder in guten Reimen; aber es klebt ihnen noch so manches Irdische an,
darum sie auch minder zu beachten sind. Dieses aber ist geistig wahr und rein; darum soll es auch beachtet
sein von Jedermann; denn es stellt wirklich eine Abschiedsszene eines guten Geistes von seinem Leibe dar.

Ganz besonders aber sei dieses Liedchen dem Töchterchen J. Des A. H. W.
Zu ihrem Leibes=Geburtstage beschieden, damit sie in dieser Kleingabe ersehen möchte, um wie Vieles
der Geist besser ist, als der dem Tode anheimfallende Leib! Sie soll aber darum etwa nicht sterben oder
einen Tod befürchten, sondern nur daraus den hohen Wert des Geistes vor dem Leibe erschauen. Amen!

01] In armen Stübchen ruht die Leiche.
Die Freunde steh'n um sie herum und seh'n noch einmal an das bleiche Gesicht, und weinen, trauern stumm. -

02] Wohl trocknen sie die heißen Zähren, doch nicht versiegt der Wehmut Strom;
Denn bald soll'n sie gar hart entbehren Den, der da war so gut und fromm!

03] Als sie doch aus der Trauerkammer Zurück sich zieh'n in's Schlafgemach,
Und da sie hält ihr tiefer Jammer vom Schlafe los und trauernd wach; -

04] Da zuckt herab ein heller Schatten Zur Bahre hin in Mondesstrahl;
Denn eh' den Leichnam sie bestatten, will er ihn seh'n zum letzten Mal.

05] "So hab' ich dich (spricht er) verlassen, Hab' wie ein Kleid dich abgelegt;
Ich kann ja kaum die Wonne fassen, in der mein Sein sich nun bewegt.

06] "Ich - nun ein freies, rein'res Wesen, Bin leicht geflügelt, hell und klar.
Ein neu' Gewand ist mir erlesen viel hehrer, als Dies alte war. -

07] "O Tod! Wie doch so sanft gelinde Hast du im Schlummer mich entrückt,
O - wie ich mich nun seligst finde und über jeglich Maß entzückt.

08] "Wie macht mich der Gedank' nun bangen, daß nur auf eine kürz'ste Rast
Der Leib mich wieder könnt' umfangen mit seiner schweren todten Last!

09] "Wie zogst du mich zu todten Freuden, Leib, gegen meinen Willen hin,
Wie mußt' d'rum oft mit dir ich leiden für schlecht'sten Lohn, für Tod's Gewinn!

10] "Doch fühl' ich jetzt ein Mitleidsbeben und muß hier einen Dank dir weih'n;
War matt auch unser einig's Leben so konnt' ohn' dich ich doch nicht sein.

11] "Du gabst mir wohl auch manche Wonnen, so sie, die nun der Schlaf umhüllt,
Des Hauptes seelenvolle Sonnen entzückte zarter Schönheit Bild; -

12] "Wenn süße Tön' das Ohr umflossen, die Hand gedrückt des Freundes Hand,
Wenn meine Arm' ein Glück - umschlossen und selbst die Lippe Lieb' empfang. -

13] "Doch nun bist du allein geblieben, so sink' denn auch allein zur Gruft;
Denn ich hab' All's ja schöner Drüben, dort in der Himmel reinster Luft! -

14] "Nur Eins stört Meinen sel'gen Frieden und macht mir ein wehmütig Herz;
Die, welche ich beließ hienieden, ergeben sich zu sehr dem Schmerz!

15] "Ich hör' sie mächtig um mich weinen, der süße Schlaf sie stärket nicht,
Wie gern doch möcht' ich euch erscheinen umstrahlt von hellstem klarstem Licht!

16] "Wie gern möcht' ich euch All's entdecken, Welch' eine Wonne mich umfleußt!
Doch würdet ihr gar sehr erschrecken; - Ihr fürcht't ja den verklärten Geist!

17] "So will ich harren denn zur Schwelle, ganz heimlich nur nach euch hinseh'n
und fließt um euch des Schlafes Welle mit leis'sten Tritt zu euch dann geh'n!

18] "Da werd' zu eurem Haupt ich treten, umwehen es mit sanftem Hauch,
Euch segnen, liebend für euch beten, denn das ist da der Segens=Brauch."

Zu finden auch auf:
www.j-lorber.de/jl/psal/gedichte.htm

 


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