Der
Hauch der Ahnen
Erlausche
nur geschwind
die Wesen in den Dingen
Hör sie im Feuer singen,
Hör sie im Wasser mahnen
Und lausche in den Wind:
Der Seufzer im Gebüsch
Das ist der Hauch der Ahnen.
Die gestorben sind, sind niemals fort,
Sie sind im Schatten der sich erhellt,
Und im Schatten der tiefer ins Dunkle fällt.
Sie sind in dem Baum der dröhnt
Und sind in dem Baum der stöhnt,
Sie sind in dem Wasser das sich ergießt
Wie im Wasser das schlafend die Augen schließt,
Sie sind in der Hütte, sie sind im Boot:
Die Toten sind nicht tot.
Erlausche nur geschwind
die Wesen in den Dingen
Hör sie im Feuer singen,
Hör sie im Wasser mahnen
Und lausche in den Wind:
Der Seufzer im Gebüsch
Das ist der Hauch der Ahnen.
Die gestorben sind, sind niemals fort,
Sie sind in den Brüsten des Weibes,
Sie sind in dem Kind ihres Leibes,
Sie sind in dem Streit der sich regt.
Sie sind nicht unter der Erde:
Sie sind in dem Brand der sich legt,
Sie sind in den Gräsern die weinen,
Sie sind in den Felsen die greinen,
Sie sind im Wald, in der Wohnung, im Brot:
Die Toten sind nicht tot.
Sie mahnen uns täglich an den Bund,
An den großen Pakt der uns bindet,
Der unser Los dem Gesetz verknüpft,
Den Taten der stärksten Wesen,
Dem Los unserer Toten die nicht gestorben:
Der Pakt der uns bindet ans Leben.
Das schwere Gesetz das uns knüpft an die
Taten
Des Hauchs der sich legt im Flussbett, am Ufer,
Des Hauches der Rufer,
Der weint in den Gräsern, im Felsen sich
regt.
Erlausche nur geschwind
die Wesen in den Dingen
Hör sie im Feuer singen,
Hör sie im Wasser mahnen
Und lausche in den Wind:
Der Seufzer im Gebüsch
Das ist der Hauch der Ahnen.
Birago
Diop
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Goethe
über seine Empfindungen
zu Charlotte von Stein
Johann
Wolfgang von Goethe (1749-1832) schreibt im April
1776 an seinen Freund, den Dichter C.M. Wieland,
die folgenden Zeilen über Frau Charlotte
von Stein:
Ich
kann mir die Bedeutsamkeit, die Macht, die diese
Frau über mich hat, anders nicht erklären
als durch die Seelenwanderung. Ja, wir waren einst
Mann und Weib! Nun wissen wir von uns - verhüllt,
im Geisterduft. Ich habe keine Namen für
uns - die Vergangenheit - die Zukunft - das All.
Und
drei Monate später, im Juli 1776, verfaßt
Goethe das folgende Gedicht mit dem Titel
"Geheimnis
der Reminiszenz"
gewidmet Charlotte von Stein
Sag,
was will das Schicksal uns bereiten?
Sag, wie band es uns so rein genau?
Ach, du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau.
Kanntest jeden Zug in meinem Wesen,
Spähtest, wie die reinste Nerve klingt,
Konntest mich mit einem Blicke lesen,
Den so schwer ein sterblich Aug durchdringt...
Und von allem dem schwebt
ein Erinnern
Nur noch um das ungewisse Herz,
Fühlt die alte Wahrheit ewig gleich im Innern,
Und der neue Zustand wird ihm Schmerz.
Am
2.3.1779 schließlich drückte Goethe
seine
Empfindungen direkt in einem Brief an Charlotte
von Stein aus:
Es
ist mir fast unangenehm, daß eine Zeit war,
wo Sie mich nicht kannten und nicht liebten. Wenn
ich wieder auf die Erde komme, will ich die Götter
bitten, daß ich nur einmal liebe, und wenn
Sie nicht so feind dieser Welt wären, wollt
ich um Sie bitten zu dieser lieben Gefährtin.
Johann
Wolfgang von Goethe
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Gesang
der Geister über den Wassern
Des
Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.
Strömt
von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen,
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.
Ragen
Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.
Im
flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.
Wind
ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.
Seele
des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!
Johann
Wolfgang von Goethe
(entstanden
1779, veröffentlicht 1789)
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Ilmenau
Anmutig
Tal! Du immergrüner Hain!
Mein Herz begrüßt euch wieder auf das
beste
Entfaltet mir die schwer behangnen Äste,
Nehmt freundlich mich in eure Schatten ein.,
Erquickt von euren Höhn, am Tag der Lieb
und Lust,
Mit frischer Luft und Balsam meine Brust!
Wie
kehrt ich oft mit wechselndem Geschicke,
Erhabner Berg, zu deinen Fuß zurücke,
O laß mich heut an deinen sachten Höhn
Ein jugendlich, ein neues Eden sehn!
Ich hab es wohl auch mit um euch verdienet:
Ich sorge still, indes ihr ruhig grünet.
Laßt
mich vergessen, dass auch hier die Welt
So manch Geschöpf in Erdefesseln hält,
Der Landmann leichtem Sand den Samen anvertraut
Und seinen Kohl dem frechen Wilde baut,
Der Knappe karges Brot in Klüften sucht,
Der Köhler zittert, wenn der Jäger flucht.
Verjüngt euch mit, wie ihr es oft getan,
Als fing' ich heut ein neues Leben an.
Ihr
seid mir hold, ihr gönnt mir diese Träume,
Sie schmeicheln mir und locken alte Reime.
Mir wieder selbst, von allen Menschen fern,
Wie bad ich mich in euren Düften gern!
Melodisch rauscht die Hohe Tanne wieder,
Melodisch eilt der Wasserfall hernieder;
Die Wolke sinkt, der Nebel drückt ins Tal,
Und es ist Nacht und Dämmrung auf einmal.
Im
finstern Wald, beim Liebesblick der Sterne,
Wo ist mein Pfad, den sorglos ich verlor?
Welch seltne Stimmen hör ich in der Ferne?
Sie schallen wechselnd an dem Fels empor.
Ich eile sacht, zu sehn, was es bedeutet,
Wie von des Hirsches Ruf der Jäger stillt
geleitet.
Wo
bin ich? ists ein Zaubermärchenland?
Welch nächtliches Gelag am Fuß der
Felsenwand?
Bei kleinen Hütten, dicht mit Reis bedecket,
Seh ich sie froh ans Feuer hingestrecket.
Es dringt der Glanz hoch durch den Fichtensaal,
Am niedern Herde kocht ein rohes Mahl;
Sie scherzen laut, indessen bald geleeret,
Die Flasche frisch im Kreise weiderkehret.
Sagt,
wem vergleich ich diese muntre Schar?
Von wannen kommt sie? um wohin zu ziehen?
Wie ist an ihr doch alles wunderbar!
Soll ich sie grüßen? soll ich vor ihr
fliehen?
Ist es der Jäger wildes Geisterheer?
Sinds Gnomen, die hier Zauberkünste treiben?
Ich seh im Busch der kleinen Feuer mehr;
Es schaudert mich, ich wage kaum zu bleiben.
Ists der Ägyptier verdächtiger Aufenthalt?
Ist es ein flüchtiger Fürst wie im Ardennerwald?
Soll ich Verirrter hier in den verschlungnen Gründen
Die Geister Shakespeares gar verkörpert finden?
Ja, der Gedanke führt mich eben recht:
Sie sind es selbst, wo nicht ein gleich Geschlecht!
Unbändig schwelgt ein Geist in ihrer Mitten,
Und durch die Roheit fühl ich edle Sitten.
Wie
nennt ihr ihn? Wer ists, der dort gebückt
Nachlässig stark die breiten Schultern drückt?
Er sitzt zunächst gelassen an der Flamme,
Die markige Gestalt aus altem Heldenstamme.
Er saugt begierig am geliebten Rohr,
Es steigt der Dampf an seiner Stirn empor.
Gutmütig trocken weiß er Freud und
Lachen
Im ganzen Zirkel laut zu machen,
Wenn er mit ernstlichem Gesicht
Barbarisch bunt in fremder Mundart spricht.
Wer
ist der andre, der sich nieder
An einen Sturz des alten Baumes lehnt
Und seine langen, feingestalten Glieder
Ekstatisch faul nach allen Seiten dehnt,
Und ohne dass die Zecher auf ihn hören,
Mit Geistesflug sich in die Höhe schwingt
Und von dem Tanz der himmelhohen Sphären
Ein monotones Lied mit großer Inbrunst singt?
Doch
scheinet allen etwas zu gebrechen;
Ich höre sie auf einmal leise sprechen,
Des Jünglings Ruhe nicht zu unterbrechen,
Der dort am Ende, wo das Tal sich schließt,
In einer Hütte, leicht gezimmert,
Vor der ein letzter Blick des kleinen Feuers schimmert,
Vom Wasserfall umrauscht, des milden Schlafs genießt.
Mich treibt das Herz nach jener Kluft zu wandern,
Ich schleiche still und scheide von den andern.
Sei
mir gegrüßt, der hier in später
Nacht
Gedankenvoll an dieser Schwelle wacht!
Was sitzest du entfernt von jenen Freuden?
Du scheinst mir auf was Wichtiges bedacht.
Was ists, dass du in Sinnen dich verlierest,
Und nicht einmal dein kleines Feuer schürest?
"O
frage nicht! denn ich bin nicht bereit,
Des Fremden Neugier leicht zu stillen;
Sogar verbitt ich deinen guten Willen:
Hier ist zu schweigen und zu leiden Zeit.
Ich bin dir nicht imstande, selbst zu sagen,
Woher ich sei, wer mich hierher gesandt;
Von fremden Zonen bin ich her verschlagen
Und durch die Freundschaft festgebannt.
Wer
kennt sich selbst? Wer weiß, was er vermag?
Hat nie der Mutige Verwegnes unternommen?
Und was du tust, sagt erst der andre Tag,
War es zum Schaden oder Frommen.
Ließ nicht Prometheus selbst die reine Himmelsglut
Auf frischen Ton vergötternd niederfließen?
Und konnt er mehr als irdisch Blut
Durch die belebten Adern gießen?
Ich brachte reines Feuer vom Altar;
Was ich entzündet, ist nicht reine Flamme.
Der Sturm vermehrt die Glut und die Gefahr:
Ich schwanke nicht, indem ich mich verdamme.
Und
wenn ich unklug Mut und Freiheit sang
Und Redlichkeit und Freiheit sonder Zwang,
Stolz auf sich selbst und herzliches Behagen,
Erwarb ich mir der Menschen schöne Gunst;
Doch ach! ein Gott versagte mir die Kunst,
Die arme Kunst, mich künstlich zu betragen.
Nun sitz ich hier, zugleich erhoben und gedrückt,
Unschuldig und gestraft, und schuldig und beglückt.
Doch
rede sacht! denn unter diesem Dach
Ruht all mein Wohl und all mein Ungemach:
Ein edles Herz, vom Wege der Natur
Durch enges Schicksal abgeleitet,
Das, ahnungsvoll, nun auf der rechten Spur
Bald mit sich selbst und bald mit Zauberschatten
streitet
Und, was ihm das Geschick durch die Geburt geschenkt,
Mit Müh und Schweiß erst zu erringen
denkt.
Kein liebevolles Wort kann seinen Geist enthüllen
Und kein Gesang die hohen Wogen stillen.
Wer
kann der Raupe, die am Zweige kriecht,
Von ihrem künftigen Futter sprechen?
Und wer der Puppe, die im Boden liegt,
Die zarte Schale helfen durchzubrechen?
Es kommt die Zeit, sie drängt sich selber
los
Und eilt auf Fittichen der Rose in den Schoß.
Gewiß,
ihm geben auch die Jahre
Die rechte Richtung seiner Kraft.
Noch ist bei tiefer Neigung für das Wahre
Ihm Irrtum eine Leidenschaft.
Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,
Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal;
Der Unfall lauert an der Seite
Und stürzt ihn in den Arm der Qual.
Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung
Gewaltsam ihn bald da, bald dort hinaus,
Und von unmutiger Bewegung
Ruht er unmutig wieder aus.
Und düster wild an heitern Tagen,
Unbändig, ohne froh zu sein,
Schläft er, an Seel und Leib verwundet und
zerschlagen,
Auf einem harten Lager ein:
Indessen ich hier still und atmend kaum
Die Augen zu den freien Sternen kehre
Und halb erwacht und halb im schweren Traum
Mich kaum des schweren Traums erwehre."
Verschwinde,
Traum!
Wie dank ich, Musen euch,
Daß ihr mich heut auf einen Pfad gestellet,
Wo auf ein einzig Wort die ganze Gegend gleich
Zum schönsten Tage sich erhellet!
Die Wolke flieht, der Nebel fällt,
Die Schatten sind hinweg, Ihr Götter, Preis
und Wonne!
Es leuchtet mir die wahre Sonne,
Es lebt mir eine schönre Welt;
Das ängstliche Gesicht ist in die Luft zerronnen,
Ein neues Leben ists, es ist schon lang begonnen.
Ich
sehe hier, wie man nach langer Reise
Im Vaterland sich wiederkennt,
Ein ruhig Volk in stillem Fleiße
Benutzen, was Natur an Gaben ihm gegönnt.
Der Faden eilet von dem Rocken
Des Webers raschem Suhle zu,
Und Seil und Kübel wird in längrer Ruh
Nicht am verbrochnen Schachte stocken;
Es wird der Trug entdeckt, die Ordnung kehr zurück,
Es folgt Gedeihn und festes irdisches Glück.
So
mög, o Fürst, der Winkel deines Landes
Ein Vorbild deiner Tage sein!
Du kennest lang die Pflichten deines Standes
Und schränkest nach und nach die freie Seele
ein.
Der kann sich manchen Wunsch gewähren,
Der kalt sich selbst und seinen Willen lebt;
Allein wer andre wohl zu leiten strebt,
Muß fähig sein, viel zu entbehren.
So
wandle du - der Lohn ist nicht gering -
Nicht schwankend hin, wie jener Sämann ging,
Daß bald ein Korn, des Zufalls leichtes
Spiel,
Hier auf den Weg, dort zwischen Dornen fiel;
Nein, streue klug wie reich mit männlich
steter Hand
Den Segen aus auf ein geackert Land!
Dann laß es ruhn: die Ernte wird erscheinen
Und dich beglücken und die Deinen.
Johann
Wolfgang von Goethe
(3.
September 1783)
|
Einer
Hohen Reisenden
Wohin
du trittst, wird uns verklärte Stunde,
Die leuchtet Klarheit frisch vom Angesicht,
Vom Auge Gutheit, Lieblichkeit vom Munde,
Aus Wolken dringt ein reines Himmelslicht.
Der Ungeheuer Schwarm im Hintergrunde,
Er drängt er droht, jedoch er schreckt dich
nicht,
Wie du mit Freiheit unbefangen schreitest,
Das Herz erhebst und jeden Geist erweiterst.
So
wandelst du, dein Ebenbild zu schauen,
Das majestätisch uns von oben blickt,
Der Mütter Urbild, Königin der Frauen,
Ein Wunderpinsel hat sie ausgedrückt.
Ihr beugt ein Mann, mit liebevollem Grauen,
Ein Weib die Knie, in Demut still entzückt;
Du aber kommst, ihr deine Hand zu reichen,
Als wärest du zu Haus bei deinesgleichen.
Doch
schreite weiter, was auch hier sich finde,
Zum Lande hin, dem doch kein andres gleicht,
Wo uns Natur befreit, wie Kunst auch binde,
Der Geist sich stählt, wenn sich das Herz
erweicht,
Vor stillem Schaun so Zeit- als Volksgewinde
Zum Abgrund wallt, zur Himmelshöhe steigt:
Dorthin gehörst du, die du schaffend strebest,
Die Trümmer herstellst, Totes neu belebest.
Führ
uns indes durch blumenreiche Matten,
Am breiten Fluß durchs wohlbekannte Tal,
Wo Reben sich um Sonnenhügel gatten,
Der Fels dich schützt vor mächtigem
Sonnenstrahl;
Genieße froh der engen Laube Schatten,
Der reinen Milch unschuldig würdges Mahl,
Und hier und dort vergönn, an deinen Blicken,
An deinem Wort uns ewig zu entzücken!
Johann
Wolfgang von Goethe
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"Mich
läßt der Gedanke an den Tod in völliger
Ruhe,
denn ich habe die feste Überzeugung,
daß unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer
Natur;
es ist ein fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Es ist der Sonne ähnlich,
die bloß unsern irdischen Augen unterzugehen
scheint,
die aber eigentlich nie untergeht,
sondern unaufhörlich fortleuchtet. "
Goethe
zu Eckermann 1824
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Geheimnis
der Reminiszenz
aus der Gedichtesammlung "An
Laura"
Auch
Goethes Zeitgenosse Friedrich Schiller (1759-1805)
schreibt im Jahre 1782 die folgenden Zeilen an
die Stuttgarter Hauptmannswitwe Frau Vischer,
denen er gleichfalls die Überschrift "Das
Geheimnis der Reminiszenz" gab.
Waren unsre Wesen schon
verflochten?
War es darum, daß die Herzen pochten?
Waren wir im Strahl' erloschner Sonnen,
In den Tagen lang verrauschter Wonnen,
Schon in Eins zerronnen?
Ja, wir waren's - Innig mir verbunden
Warst du in Äonen, die verschwunden;
Meine Muse sah es auf der trüben
Tafel der Vergangenheit geschrieben:
Eins mit deinem Lieben.
Friedrich
Schiller
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Von
Heinrich Schliemann (1822-1896) ist die folgende
Notiz an seine Gattin überliefert, die er
kurz vor seinem Tode auf Altgriechisch verfaßte:
Und
beim Zeus! Ich verspreche Dir
für das nächste Leben wiederum die Ehe.
Heinrich
Schliemann
berühmter Entdecker
der versunkenen Städte Troja und Mykene,
der überzeugt war, einst selbst bei der Schlacht
um Troja mitgekämpft zu haben
|
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An
die Königin von Preussen
zur Feier ihres Geburtstages, den
10. März 1810
Erwäg'
ich, wie in jenen Schreckenstagen
Still Deine Brust verschlossen, was sie litt,
Wie du das Unglück mit der Grazie Tritt
Auf jungen Schultern herrlich hast getragen,
Wie von des Kriegs zerrißnem Schlachtenwagen
selbst oft die Schar der Männer zu dir schritt,
Wie trotz der Wunde, die dein Herz durchschnitt,
Du stets der Hoffnung Fahn' uns vorgetragen:
O Herrscherin, die Zeit dann möcht ich segnen!
Wir sah'n dich Anmut endlos niederregnen -
Wie groß du warst, das ahndeten wir nicht!
Dein Haupt scheint wie von Strahlen mir umschimmert;
Du bist der Stern, der voller Pracht erst flimmert,
Wenn er durch finstre Wetterwolken bricht!
Heinrich
von Kleist
Das
berühmte Gedicht des Heinrich von Kleist,
das er Königin Luise von Preußen
an ihrem 34. Geburtstag, ihrem letzten, überreichte.
(immerhin war eine enge Verwandte des Dichters,
Marie von Kleist, eine der Hofdamen Luises).
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"Siddhartha"
Ausschnitt
"Siddhartha
schwieg und blickte ihn mit dem immer gleichen,
stillen Lächeln an. Starr blickte ihm Govinda
ins Gesicht, mit Angst, mit Sehnsucht. Leid und
ewiges Suchen stand in seinem Blick geschrieben,
ewiges Nichtfinden.
Siddhartha sah es und lächelte.
"Neige dich zu mir!" flüsterte
er leise in Govindas Ohr. "Neige dich zu
mir her! So, noch näher! Ganz nahe! Küsse
mich auf die Stirn, Govinda!"
Während aber Govinda verwundert, und dennoch
von großer Liebe und Ahnung gezogen, seinen
Worten gehorchte, sich nahe zu ihm neigte und
seine Stirn mit den Lippen berührte, geschah
ihm etwas Wunderbares.
Während
seine Gedanken noch bei Siddharthas wunderlichen
Worten verweilten, während er sich noch vergeblich
und mit Widerstreben bemühte, sich die Zeit
hinwegzudenken, sich Nirwana und Sansara als Eines
vorzustellen, während sogar eine gewisse
Verachtung für die Worte des Freundes in
ihm mit einer ungeheuren Liebe und Ehrfurcht stritt,
geschah ihm dieses:
Er
sah seines Freundes Siddhartha Gesicht nicht mehr,
er sah statt dessen andre Gesichter, viele, eine
lange Reihe, einen strömenden Fluß
von Gesichtern, von Hunderten, von Tausenden,
welche alle kamen und vergingen, und doch alle
zugleich dazusein schienen, welche alle sich beständig
veränderten und erneuerten, und welche doch
alle Siddhartha waren. Er sah das Gesicht eines
Fisches, eines Karpfens, mit unendlich schmerzvoll
geöffnetem Maule, eines sterbenden Fisches,
mit brechenden Augen - er sah das Gesicht eines
neugeborenen Kindes, rot und voll Falten, zum
Weinen verzogen - er sah das Gesicht eines Mörders,
sah ihn ein Messer in den Leib eines Menschen
stechen - er sah, zur selben Sekunde, diesen Verbrecher
gefesselt knien und sein Haupt vom Henker mit
einem Schwertschlag abgeschlagen werden - er sah
die Körper von Männern und Frauen nackt
in Stellungen und Kämpfen rasender Liebe
- er sah Leichen ausgestreckt, still, kalt, leer
- er sah Tierköpfe, von Ebern, von Krokodilen,
von Elefanten, von Stieren, von Vögeln -
er sah Götter, sah Krischna, sah Agni - er
sah alle diese Gestalten und Gesichter in tausend
Beziehungen zueinander, jede der andern helfend,
sie liebend, sie hassend, sie vernichtend, sie
neu gebärend, jede war ein Sterbenwollen,
ein leidenschaftlich schmerzliches Bekenntnis
der Vergänglichkeit, und keine starb doch,
jede verwandelte sich nur, wurde stets neu geboren,
bekam stets ein neues Gesicht, ohne daß
doch zwischen einem und dem anderen Gesicht Zeit
gelegen wäre - und alle diese Gestalten und
Gesichter ruhten, flossen, erzeugten sich, schwammen
dahin und strömten ineinander, und über
alle war beständig etwas Dünnes, Wesenloses,
dennoch Seiendes, wie ein dünnes Glas oder
Eis gezogen, wie eine durchsichtige Haut, eine
Schale oder Form oder Maske von Wasser, und diese
Maske lächelte, und diese Maske war Siddharthas
lächelndes Gesicht, das er, Govinda, in eben
diesem selben Augenblick mit den Lippen berührte.
Und, so sah Govinda, dies Lächeln der Maske,
dies Lächeln der Einheit über den strömenden
Gestaltungen, dies Lächeln der Gleichzeitigkeit
über den tausend Geburten und Toden, dies
Lächeln Siddharthas war genau dasselbe, war
genau das gleiche, stille, feine, undurchdringliche,
vielleicht gütige, vielleicht spöttische,
weise, tausendfältige Lächeln Gotamas,
des Buddha, wie er selbst es hundertmal mit Ehrfurcht
gesehen hatte. So, das wußte Govinda, lächelten
die Vollendeten.
Nicht mehr wissend, ob es Zeit gebe, ob diese
Schauung eine Sekunde oder hundert Jahre gewährt
habe, nicht mehr wissend, ob es einen Siddhartha,
ob es einen Gotama, ob es Ich und Du gebe, im
Innersten wie von einem göttlichen Pfeile
verwundet, dessen Verwundung süß schmeckt,
im Innersten verzaubert und aufgelöst, stand
Govinda noch eine kleine Weile, über Siddharthas
stilles Gesicht gebeugt, das er soeben geküßt
hatte, das soeben Schauplatz aller Gestaltungen,
alles Werdens, alles Seins gewesen war. Das Antlitz
war unverändert, nachdem unter seiner Oberfläche
die Tiefe der Tausendfältigkeit sich wieder
geschlossen hatte, er lächelte still, lächelte
leise und sanft, vielleicht sehr gütig, vielleicht
sehr spöttisch, genau, wie er gelächelt
hatte, der Erhabene."
Herman
Hesse
Hermann
Hesse (1877 bis 1963) Nach seiner Indienreise
1911 spielt die Reinkarnation in seinen Romanen
eine herausragende Rolle, sie wird zum Motor
von Lebensgeschichten und Schicksalen.
Ausschnitt aus "Siddharta" von 1922
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Brief
an die Nichte Stella Rydholm
2. Januar 1925
Selma
Lagerlöf (1858-1940), bekannte sich in einem
Brief an ihre Nichte Stella Rydholm (2. Januar
1925) zum Glauben an die Reinkarnation:
Ich würde freilich
wünschen, daß sie
(die Menschen) an Stelle dessen
(des Christentums) sich auf die Reinkarnation
verlassen könnten, aber es dauert wohl lange,
ehe das ein allgemeiner Glaube wird.
(Zitiert
nach Bock, Übersetzer nicht bekannt.)
Selma
Lagerlöf, Selma Ottiliana Lovisa
schwedische
Schriftstellerin
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Der
Fall des Polizisten Lanfranco Davito
Der
Polizist Lanfranco Davito* (12.12.1902) erkannte
1939 spontan einen Mann, der ihn vor sehr langer
Zeit in einem Stammeskrieg mit einer Keule getötet
hatte. Dadurch wurden auch viele weitere Detailerinnerungen
an diese urtümliche Inkarnation ausgelöst.
Auch andere Vorleben waren ihm erinnerlich:
-
als
Geheimkämmerer von Ramses II. Auf Betreiben
der Priester wurde er lebend eingemauert
-
als
Häuptlingssohn in Kleinasien, der in einer
römischen Arena von wilden Tieren getötet
wurde
-
als
Begleiter von Kolumbus auf dessen erster Amerikafahrt
(1492)
-
als
Franzose (um 1700) in Bordeaux, der auf der
Flucht wegen Totschlags in einem Schneesturm
in den Alpen umkam.
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Auszug
aus dem Mathnawi von Rumi
Die
mystische Interpretation der Sufis zeigt sich
einigermaßen unverschleiert in der (insbesondere
persischen) klassischen Literatur der islamischen
Welt. So findet sich beispielsweise im Buch Mathnawi
(das auch als der persische Quran
bezeichnet wird) des persischen Dichters und Sufi-Meisters
Dschalal ad-Din Rumi (1207-1273), genannt Moulana
(unser Meister), auf dessen Lehren
der Mevlevi-Derwischorden zurückreicht, folgendes
Gedicht:
Ich
starb als Mineral und wurde Pflanze,
Ich starb als Pflanze und wurde Tier,
Ich starb als Tier und wurde Mensch.
Warum soll ich mich fürchten?
Wann wurd ich weniger durch einen Tod?
Noch einmal werd ich sterben als ein Mensch,
Nur um dann aufzusteigen mit der Engel Segen.
Doch auch vom Engelsdasein muss ich weitergehen
Dschalal
ad-Din Rumi
persischer
Dichter und Sufi-Meister
Quelle: Wikipedia-Reinkarnation
Das
Lied der Liebe
Wie
eine Woge kommt mein Körper an und geht.
Schau ganz genau hin:
eine Million Wellen, eine See.
Rumi
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Immer
wieder steigst du hernieder
Immer
wieder und wieder steigst du hernieder
in der Erde wechselnden Schoß,
bis du gelernt im Licht zu lesen,
dass Leben und Sterben eins gewesen
und alle Zeiten zeitenlos.
Bis
sich die mühsame Kette der Dinge
zum immer ruhenden Ringe in dir sich reiht -
in deinem Willen ist Weltenwille.
Stille ist in dir - Stille - und Ewigkeit.
Manfred
Kyber
deutscher
Schriftsteller, Theaterkritiker, Dramatiker,
Lyriker und Übersetzer deutschbaltischer
Herkunft,
der vor allem durch seine ungewöhnlichen
Tiergeschichten bekannt geworden ist.
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Jeder
Jäger wird einmal ein Hase
Jeder
Jäger wird einmal ein Hase, früher oder
später, denn die Ewigkeit ist lang.
Wilhelm
Busch
(1832-1908)
Zeichner und Dichter
Spruchweisheiten und Gedichte
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nicht
ein Hauch von Seele wird vergehen
Nicht
ein Atom des Körpers wird vergehen
und nicht ein Hauch von Seele.
Sobald der Nordwind
den Saum des Geistes zusammenrafft,
wird sich der Ostwind erheben
und ihn entfalten.
Khalil Gibran
(1883-1931)
libanesisch-amerikanischer Maler,
Philosoph und Dichter.
aus: sämtliche Werke
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|
Ich
liebe mein Leben
Ich liebe mein Leben in wachsenden Ringen
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn
ich kreise um Gott, den uralten Turm
ich kreise jahrtausende lang;
und ich weiß noch nicht:
bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang
Rainer
Maria Rilke
Schriftsteller
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Angeline
Zola
Emile
(1840
- 1902 Paris) Französischer Schriftsteller
und Journalist.
Zola gilt als einer der großen französischen
Romanciers des 19. Jahrhunderts und als
Leitfigur der gesamteuropäischen
literarischen Strömung des Naturalismus.
|
Eines
Tages - es ist schon fast zwei Jahre her - fuhr
ich mit dem Fahrrad bei Orgeval in der Nähe
von Poissy entlang. Plötzlich sah ich am
Wegesrand ein Haus, mit dem ich in dieser einsamen
Gegen nicht gerechnet hatte. Ich stieg ab, um
es näher zu betrachten.
Unter
einem grauen Novemberhimmel, im alten Wind, der
die toten Blätter vor sich herwehte, stand
inmitten eines großen Gartens mit vielen
alten Bäumen ein schlichter Ziegelbau. Am
Haus selbst war nichts Ungewöhnliches zu
bemerken; was mir jedoch sofort auffiel und was
jeden Betrachter unangenehm berühren musste,
war der Zustand der Verwahrlosung, in dem sich
das Anwesen befand. Einer der beiden Flügel
des Gartentors war aus den Angeln gehoben und
lehnte am Zaun. Jemand hatte die Worte "Zu
verkaufen" auf ein riesiges, vom Regen verwaschenes
Schild geschrieben. Das machte mich neugierig,
und ich trat trotz des leisen Unbehagens näher.
Das
Haus musste schon seit dreißig, wenn nicht
vierzig Jahren unbewohnt sein. Die Ziegel der
Gesimse und Einfassungen hatten sich unter der
Schneelast vieler Winter gelockert; in den Löchern
wuchsen Moos und Flechten. Mehrere Risse durchzogen
die Fassade und ließen das solide, aber
ungepflegte Gebäude vorzeitig alt und verrunzelt
aussehen. Der Frost hatte die Stufen der Freitreppe
gespalten, und in den Zwischenräumen wucherten
Brennesseln und Brombeerbüsche - wer diese
Schwelle übertrat, befand sich schon mitten
in der traurigsten Verlassenheit.
Der
Eindruck der Trostlosigkeit rührte aber vor
allem von den Fenstern her: Sie waren ohne Vorhänge,
nackt und von glaugrüner, verwaschener Farbe;
die Scheiben, die vorbeikommende Lausbuben zerschmettert
hatten, gaben den Blick auf die leeren, öden
Zimmer frei. Sie sahen wie tote, offene Augen
in einem leblosen Körper aus.
Der
große Garten, der das Haus umgab, war völlig
verwildert. Pflanzen schossen überall ins
Kraut, so daß man die Abgrenzungen der Blumenbeete
kaum noch sah; eingesäumte Wege waren unkenntlich,
Wäldchen so groß wie Urwälder
geworden. Das ganze wirkte wie ein verwahrloster
Friedhof, von hundert Jahre alten Bäumen
überschattet, zwischen denen der raue, heulende
Herbstwind das Laub hin und her trieb.
Ich
weiß nicht, wie lange ich das stand und
mich der dumpfen, mit Angst gepaarten Melancholie
hingab, die das haus in mir wachrief. Schließlich
siegte in mir ein gewisses Mitleid für den
armseligen Zustand des Gebäudes und der Wunsch,
mehr über das Anwesen und seine einstigen
Besitzer zu erfahren. Ich trat auf die Straße
und erblickte gegenüber an einer Weggabelung
eine Art Gasthaus, wo ich wohl etwas zu trinken
bekommen konnte. Ich war entschlossen, die Leute
dort zum Sprechen zu bringen.
Im
Lokal war nur die Wirtin, eine alte Frau. Sie
stellte ein Glas Bier vor mich hin und klagte
über das schlechte Geschäft. Ihr Wirtshaus
sei so abgelegen, jammerte sie, dass am Tag kaum
zwei Radfahrer vorbeikämen. Sie redete und
redete. Sie erzählte, dass sie Madame Toussaint
heiße, aus Vernon komme und vor vielen Jahren
zusammen mit ihrem Mann diesen Gasthof übernommen
habe. Das Geschäft sei eine Zeitlang gut
gegangen, aber seit ihr Mann nicht mehr lebe...
Als
ich sie in einer kleinen Atempause auf das nahegelegene
Grundstück ansprach, wurde sie misstrauisch;
sie starrte mich an, als wollte ich ihr ein unanständiges
Geheimnis entlocken.
"Ich
verstehe, Sie meinen das verwilderte Haus da drüben,
das Spukhaus, wie es hier in der Gegend genannt
wird... Darüber kann ich Ihnen leider nicht
viel sagen, mein Herr, das war vor meiner Zeit.
An Ostern bin ich dreißig Jahre hier, aber
diese Dinge haben sich schon vor fast vierzig
Jahren ereignet. Das Haus sah schon verwahrlost
aus, als wir herzogen. Sie wissen ja, wie das
so ist - ein Winter folgt auf den anderen, niemand
kümmert sich, und das einzige, was sich da
noch bewegt, sind die losen Dachziegel..."
"Aber
warum verkauft man das Grundstück dann nicht?"
fragte ich. "Warum? Was weiß ich...
es wird so viel geredet."
Vielleicht
machte ich einen vertrauenerweckenden Eindruck
auf sie; auf jeden Fall brannte sie darauf, den
Klatsch loszuwerden. So erzählte sie mir
zunächst, dass kein Mädchen aus dem
Ort sich nach Einbruch der Dämmerung in das
alte Haus wage, denn angeblich spuke es dort.
Ich erwiderte, ich sei erstaunt, dass sich so
nahe an Paris solche Gerüchte halten könnten.
Die Wirtin zuckte mit den Schultern, als sei ihr
die ganze Geschichte gleichgültig, aber ich
merkte, dass sie im Grunde ebenfalls Angst hatte.
Sie
fuhr fort: "Vielleicht spukt es ja wirklich
dort. Tatsache ist jedenfalls, dass es für
das Haus schon viele Interessenten gab, und die
waren alle schneller wieder draußen, als
sie gekommen sind. Man sagt, sobald jemand das
Haus betritt, geschehen seltsame Dinge: Die Türen
fallen krachend ins Schloß, als ob sie ein
unsichtbarer Wind zugeschlagen hätte, aus
dem Keller dringt ein Schreien, Stöhnen und
Schluchzen; und wenn man genau hinhört, kann
man eine Stimme so verzweifelt "Angeline!
Angeline!" rufen hören, dass einem das
Blut in den Adern friert. Sie glauben mir nicht?
Sie können fragen, wen Sie wollen. Jeder
wird Ihnen das bestätigen."
Allmählich
interessierte mich die Sache, und ich bekam selbst
eine Gänsehaut. Ich fragte: "Und wer
war diese Angeline?"
Sie
antwortete: "Ach, wissen Sie, das führt
zu weit. Außerdem weiß ich, wie gesagt,
nicht viel darüber."
Schließlich
erzählte sie mir dann doch, was sie wusste:
"Im Jahre 1858, mitten im Zweiten Kaiserreich,
als Napoleon III, seine Triumphe feierte, starb
die Frau des Herrn von G., der ein wichtiges Amt
in der Staatsverwaltung innehatte, und hinterließ
eine etwa zehnjährige Tochter namens Angeline,
ein Wunder an Schönheit und ein Ebenbild
ihrer verstorbenen Mutter. Zwei Jahre später
heiratete Herr von G. wieder, und zwar die Witwe
eines Generals, ebenfalls eine berühmte Schönheit.
Seit dem Tag der Hochzeit soll eine erbitterte
Feindschaft zwischen Angeline und ihrer Stiefmutter
bestanden haben. Die eine war gekränkt darüber,
dass ihr Vater ihre Mutter so schnell vergessen
und durch diese fremde Frau ersetzen konnte; der
anderen war es ein Greuel, ständig das Ebenbild
ihrer Vorgängerin vor sich zu sehen und auf
Schritt und Tritt mit ihr verglichen zu werden.
Das Haus gehörte der zweiten Frau von G.;
angeblich hat sie eines Abends, als ihr Mann seine
Tochter leidenschaftlich umarmte, in ihrer grenzenlosen
Eifersucht der jungen Angeline einen solchen Schlag
versetzt, dass sie mit gebrochenem Nacken tot
zu Boden sank. Aber es kam noch schlimmer: Um
seine zweite Frau vor einer Anklage zu bewahren,
vergrub der Vater Angeline im Keller des Hauses;
dort ruhte sie jahrelang, während man vorgab,
sie sei zu einer Tante gefahren. Ein Hund, der
immer an der gleichen Stelle den Boden aufkratzte,
hat dann angeblich eines Tages die Leiche des
Mädchens entdeckt, aber das Verbrechen wurde
aus innenpolitischen Gründen lange vor der
Öffentlichkeit geheimgehalten. Und heute?
Herr und Frau von G. sind längst eines natürlichen
Todes gestorben, aber Angeline spukt, so heißt
es, immer noch jede Nacht im Haus herum, weil
die düstere Stimme aus dem Jenseits nicht
aufhört, sie zu rufen.
Ich
bin überzeugt davon, dass die Geschichte
wahr ist", beendete Madame Toussaint ihre
Schilderung, "so sicher wie zwei und zwei
vier ist."
Stumm
und mit wachsendem Staunen hörte ich zu,
ungläubig - und doch fesselte mich das Seltsame,
Gewalttätige an diesem dunklen Familiendrama.
Ich erinnerte mich dunkel, den Namen des Herrn
von G. schon einmal gehört zu haben, und
es war damals auch von einer zweiten Heirat und
von irgendeinem familiären Unglück die
Rede gewesen.
War
das Ganze also wahr? Es klang wie eine klassische
Tragödie, voller Leidenschaften bis hin zum
Wahnsinn: das schöne Mädchen, die böse
Stiefmutter, das grausame Verbrechen, der Vater,
der seine Tochter wie einen Hund im Keller verscharrt.
All die Emotionen, der Horror - fast zu schön,
um wahr zu sein. Ich musste unbedingt weiter nachforschen.
Andererseits: Was hatte es für einen Sinn,
die Geschichte anzuzweifeln? Ob wahr oder nicht,
sie war als volkstümliches Schauermärchen
eindrucksvoll genug.
Als
ich wieder auf mein Rad stieg, sah ich noch einmal
zum Spukhaus hinüber. In der Abenddämmerung
sah es mit seinen leeren Fenstern wie ein Totenschädel
aus, und die alten Bäume stöhnten im
Herbstwind.
II
Ich
weiß nicht, warum; aber die Geschichte ließ
mich nicht mehr los. Ich musste bei Tag und Nacht
daran denken - das wurde mir geradezu zum intellektuellen
Problem. Vergeblich sagte ich mir, dass dergleichen
Legenden auf dem Land überall erzählt
werden und dass die ganze Sache mir eigentlich
gleichgültig sein konnte. Trotzdem verfolgte
mich der Gedanke an das unglückliche Mädchen,
das seit nunmehr vierzig Jahren Nacht für
Nacht von einer geheimnisvollen Stimme durch die
leeren Zimmer dieses verlassenen Hauses gelockt
wurde.
In
den nächsten zwei Wintermonaten stellte ich
einige Nachforschungen an. Wenn von der Sache
auch nur das Geringste nach außen gedrungen
war, hatten die Zeitungen ganz sicher etwas darüber
gebracht. Daher suchte ich im Zeitungsarchiv der
Pariser Nationalbibliothek nach den alten Jahrgängen,
aber ich fand nicht eine Zeile über diesen
oder einen ähnlichen Vorfall. Dann fragte
ich einige Zeitzeugen und ein paar Mitarbeiter
der Staatsverwaltung, die Herrn von G. noch kannten,
aber ich erhielt lauter unklare und widersprüchliche
Aussagen. Schließlich verlor ich den Mut
und wollte aufgeben - obwohl mir die Geschichte
im Grunde immer noch keine Ruhe ließ, da
brachte mich eines Tages der Zufall auf eine neue
Spur.
Ich
besuchte damals alle zwei bis drei Wochen den
alten Dichter V., den ich mochte und dessen Werk
ich bewunderte. Er starb im vergangenen April
im Alter von siebzig Jahren.
Seine
letzten Jahre verbrachte der gelähmte alte
Mann in einem Lehnstuhl in seinem Arbeitszimmer
in der Rue d'Assas, von dem aus man den Jardin
du Luxembourg sehen konnte. Dort verbrachte er
träumerisch die ihm verbleibende Zeit, so,
wie sein ganzes Leben eher ein betrachtendes als
ein aktives gewesen war: geliebt und gelitten
hatte er vor allem in der Phantasie. Selbst sein
Gesicht als alter Mann mit den weißen Löckchen
und den blassen Augen hatte noch etwas kindlich
Unschuldiges. Ich möchte nicht behaupten,
dass er ausschließlich frei Erfundenes erzählte;
aber man wusste nie so recht, wo für ihn
die Wirklichkeit aufhörte und der Tagtraum
begann. Mit diesem charmanten, ganz in sich selbst
ruhenden Greis unterhielt ich mich gern; er sprach
meine Gefühle an und ließ mich dabei
oft ganz neue Einsichten gewinnen.
Eines
Tages saß ich wieder einmal in seinem kleinen
Zimmer am Fenster. Wir sahen aus dem gut geheizten
Raum, in dem ein helles Kaminfeuer brannte, auf
den frostigen, schneebedeckten Jardin Du Luxembourg
hinab und tauschten unsere Gedanken aus. Ich weiß
nicht, mehr, wie ich darauf kam, aber plötzlich
erzählte ich ihm von dem alten Haus und seiner
seltsamen Geschichte, die mich nach wie vor gefangen
hielt - von der zweiten Ehe des Herrn von G.,
von der eifersüchtigen Stiefmutter, der hübschen
Angeline, die das Ebenbild ihrer Mutter war, und
ihrem schrecklichen Ende.
Der
alte Dichter hörte mir ruhig und traurig
lächelnd zu; als ich geendet hatte, starrte
er minutenlang schweigend auf die Schneedecke
des Parks hinaus. Dann lief ein leichtes Zittern
über seinen Körper. "Ich habe Herrn
von G. und seine Familie gut gekannt. Seine erste
Frau war von einer bezaubernden Schönheit,
und auch die zweite war außerordentlich
attraktiv. Ich habe sie beide sehr verehrt und
insgeheim leidenschaftlich geliebt. Seine Tochter
Angeline jedoch war die Schönste von allen
- jeder Mann wäre ihr später zu Füßen
gelegen. Aber im übrigen war die Sache nicht
ganz so, wie Sie glauben..."
Ich
war völlig überrascht. Würde ich
jetzt endlich die ganze Wahrheit erfahren?
Aufgeregt
rief ich: "Mein Freund, Sie wissen gar nicht,
was Sie mir für einen Dienst erweisen! Endlich
komme ich wieder zur Ruhe! Schnell, reden Sie,
sagen Sie mir alles!"
Aber
erhörte mich nicht. Sein Blick verlor sich
in der Ferne. Als er schließlich sprach,
klang es wie in Trance, so, als hätte er
alles, was er sah, soeben selbst erfunden.
Er
sagte: "Angeline war erst zwölf, als
es passierte - aber ihre Seele, ihre Gefühle
waren schon die einer erwachsenen Frau. Sie war
es, die eifersüchtig auf ihre Stiefmutter
war. Sie konnte es nicht ertragen zu sehen, wie
ihr Vater tagtäglich diese fremde Frau in
den Armen hielt. Für sie war es ein schrecklicher
Verrat - weniger an ihrer toten Mutter als an
ihr selbst. Jede Nacht hörte sie die Stimme
ihrer Mutter, die sie aus dem Grab rief; und eines
Tages, als sie vor Sehnsucht nach ihrer verstorbenen
Mutter ganz krank war und das alles nicht mehr
ertragen konnte, bohrte sich dieses zwölfjährige
Mädchen einen Dolch ins Herz."
"O
Gott", entfuhr es mir, "das ist ja entsetzlich!"
Ohne
meinen Ausruf wahrzunehmen, fuhr der Dichter fort:
"Und nun das Frauen, mit dem der Vater und
die Stiefmutter Angeline am nächsten Morgen
in ihrem Bett fanden - blutüberströmt,
das Messer bis zum Heft in der Brust! Sie wollten
an diesem Morgen nach Italien fahren und kamen,
um sich von Angeline zu verabschieden; außer
ihnen war nur die alte Dienerin im Haus, die das
Mädchen mit erzogen hatte. Da Herr und Frau
von G. Angst hatten, der Tod ihrer Tochter könnte
ihnen zur Last gelegt werden, baten sie die Dienerin
zu schweigen und vergruben die Leiche mit ihrer
Hilfe - aber nicht im Keller, sondern in einem
Gewächshaus hinter dem Gebäude, am Fuße
eines riesigen Orangenbaums. Erst als Herr und
Frau von G. gestorben waren, lüftete die
alte Dienerin das Geheimnis."
Der
eigenartige Ton, in dem der alte Mann dies sagte,
veranlasste mich, seinen Bericht zu prüfen.
Ich fragte: "Halten Sie es für möglich,
dass die Kleine jede Nacht, in der die mysteriöse
Stimme sie ruft, als Gespenst erscheint?"
Er
sah mich an und lächelte nachsichtig.
"Was
heißt als Gespenst erscheint'? Natürlich
kann ihre Seele jederzeit wieder dort erscheinen.
Das ist bei allen Menschen so. Warum sollte die
Tote denn nicht mehr ihr Elternhaus bewohnen,
in dem sie einst glücklich war, in dem sie
aber auch so sehr leiden musste? Die Stimme, die
nach ihr ruft, beweist nur, dass ihr Leben noch
nicht wieder begonnen hat - denn ich bin überzeugt
davon, dass alles wiederkehrt, nichts geht verloren,
auch die Liebe und die Schönheit nicht. Angeline!
Eines Tages wird sie wiedergeboren - von Sonne
und Blumen umgeben..."
Diese
poetische Sicht der Dinge war leider nicht dazu
angetan, mir meine zweifel und meine Unruhe zu
nehmen. Mein alter Freund V., der Dichter, phantasierte
wohl mehr, als er wusste. Aber vielleicht hatte
er als Dichter ja auch eine seherische Begabung...
Ich
gab mir einen Ruck, lächelte und frage: "Ist
das, was Sie mir da erzählt haben, wirklich
die Wahrheit?"
Jetzt
lächelte er auch. "Aber sicher. Ist
das Unendliche nicht immer wahr?"
Es
war das letzte Mal, dass ich ihn sah. Kurz nach
unserem Gespräch verließ ich Paris.
Ich sehe ihn heute noch vor mir, wie er an jenem
Nachmittag mit ruhigem, träumerischem Blick
auf die weiße Schneedecke des Jardin du
Luxembourg starrte; er war sich seiner Visionen
so sicher, und da saß ich und versuchte
krampfhaft, diese Geschichte zu rekonstruieren
und ein Zipfelchen Wahrheit festzuhalten.
III
Achtzehn
Monate gingen ins Land. Während dieser Zeit
war ich beruflich viel unterwegs gewesen, hatte
einigen Kummer, aber auch eine Menge Erfreuliches
erlebt - stürmische Zeiten, die uns bisweilen
viel zu schnell in eine unbekannte Zukunft fortreißen.
Trotzdem hörte ich in regelmäßigen
Abständen immer wieder von Ferne - und doch
in mir selbst - den langgezogenen Schrei "Angeline!
Angeline!" Die Ungewissheit über das,
was damals passiert war, nagte an mir und ließ
mich nicht zur Ruhe kommen.
Eines
Abends im Juni radelte ich bei herrlichem Wetter
zufällig wieder den abgelegenen Weg zum Spukhaus
entlang. War es wirklich ein Zufall, oder hatte
ich einem unbewussten Verlangen stattgegeben,
als ich von der großen Straße auf
diesen Weg abbog? Es war kurz vor acht Uhr, aber
an einem langen Sommertag wie diesem war es noch
hell. Die Luft war lau; ein Sonnenuntergang wie
aus dem Bilderbuch lag über dem friedlichen,
nach Bäumen und Sträuchern duftenden
Land.
Als
ich das Grundstück sah, hielt ich staunend
an und stieg ab - sie wie damals vor eineinhalb
Jahren. Zögernd trat ich näher. Das
war doch nicht möglich - das konnte nicht
dasselbe Grundstück sein!
Rund
um den Garten waren neue Mauern hochgezogen worden,
und ein schönes neues Gartentor leuchtete
in der Abendsonne. Das Haus selbst, das hinter
den dichten Bäumen und Büschen kaum
noch zu sehen war, hatte ein junges, fröhliches
Aussehen bekommen. Ich dachte nach: War dies die
vom Dichter prophezeite Auferstehung? Hatte Angeline
die klagende Stimme, die nach ihr rief, erhört?
War sie auf die Welt zurückgekehrt?
Minutenlang
stand ich da und überlegte, was das alles
wohl zu bedeuten hatte. Plötzlich hörte
ich in wenigen Metern Entfernung schlurfende Schritte.
Ich fuhr zusammen, aber es war nur Madame Toussaint,
die Wirtin, die gerade ihre Kuh von einer nahegelegenen
Kleeweide abholte.
Ich
deutete auf das Haus und sagte: "Die da haben
anscheinend keine Angst vor Gespenstern, was?"
Jetzt
erkannte sie mich. "Guten Abend, mein Herr",
sagte sie und hielt ihr Tier an. "Na ja,
es gibt eben Leute, denen graut vor gar nichts.
Das Grundstück da ist jetzt schon mehr als
ein Jahr verkauft. Ein Künstler, der Maler
B., hat es günstig erworben. Sie wissen ja,
diesen Künstlern ist alles zuzutrauen."
Im Weggehen meinte sie noch achselzuckend: "Mal
sehen, wie die Sache endet."
Ausgerechnet
der Maler B., der die hübschesten Frauen
von Paris portraitierte, wohnte hier! Ich kannte
ihn flüchtig; wir hatten einander schon des
öfteren die Hand geschüttelt - in den
Foyers der Theater, in Museen und Galerien, wo
man sich eben so trifft. Und plötzlich verspürte
ich das heftige Bedürfnis einzutreten, mich
ihm anzuvertrauen, ihn zu bitten, mir zu sagen,
was er vom Geheimnis dieses Hauses wusste.
Ohne
lange zu überlegen und ohne auf meine vom
Radfahren leicht verstaubte Kleidung zu achten
(die ja inzwischen fast überall toleriert
wird), lehnte ich mein Fahrrad an einen alten
moosbewachsenen Baum und klingelte. Ein Hausdiener
öffnete, ließ mich in den Garten, nahm
meine Visitenkarte entgegen und bat mich zu warten.
Meine
Überraschung wuchs, als ich mich umsah. Man
hatte die Fassade restauriert; es gab weder Risse
noch kaputte Ziegel. Die mit Rosen geschmückte
Eingangstreppe war eine Zierde des Hauses und
heiß den Gast willkommen. Hinter den Fensterscheiben
leuchteten freundliche weiße Gardinen, der
Garten war gepflegt, die Blumenbeete liebevoll
hergerichtet, und die alten Bäume sahen im
Glanz des Abendrots richtig verjüngt aus.
Der
Diener kam zurück und bat mich in einen Salon.
Er sagte, Monsieur sei in den Nachbarort gefahren,
werde aber bald wieder zurück sein. Ob ich
solange warten wolle? Selbstverständlich
wollte ich, und wenn es Stunden dauerte!
Ich
wappnete mich mit Geduld und sah mir die vornehme
Einrichtung des Zimmers an. Sie bestand aus einem
dicken Teppich, zwei Ledersesseln, einem breiten
Sofa und schweren Vorhängen an Türen
und Fenstern. Die Stoffe waren so üppig,
dass ich gar nicht bemerkte, wie schnell es draußen
Nacht wurde. Auf einmal war es auch im Salon dunkel;
niemand brachte eine Lampe; man hatte mich wohl
vergessen.
Ich
weiß nicht, wie lange ich da saß und
über Angelines tragisches Schicksal nachachte.
War das Mädchen ermordet worden? Oder hatte
sie sich tatsächlich selbst das Messer ins
Herz gestoßen? Bei diesen Gedanken überkam
mich alsbald eine schleichende Angst, die durch
das düstere Haus und die völlige Dunkelheit
des Raumes noch verstärkt wurde. Zuerst war
es nur ein Schauer, ein leichtes Unwohlsein, dann
Herzklopfen, und schließlich ergriff mich
ein lähmendes Gefühl, das man Todesangst
nennen, aber mit Worten nicht beschreiben kann.
Anfangs
hörte ich nur ein leises, undeutliches Rumpeln,
das aus dem Keller des Hauses kam, dann schwere
Schritte, Seufzer und ein ersticktes Schluchzen.
Die Geräusche kamen immer näher; es
war, als würde das ganze Haus vom Keller
her mit einer stetig steigenden Flut von entsetzlicher,
namenloser Trauer überschwemmt.
Auf
einmal drang der grausige Schrei durch Türen
und Wände: "Angeline! Angeline! Angeline!"
gellte es durch s Haus, und ein kühler Grabeshauch
wehte mich an. Eine der beiden Türen des
Salons wurde aufgestoßen; Angeline trat
ein und durchquerte den Raum. Sie bemerkte mich
nicht, aber ich sah sie im Schein des Lichtes,
das von der Vorhalle durch die offene Tür
in den Salon fiel. Es war Angeline, wie ich sie
mir vorgestellt hatte - ein leichenblasses, bildhübsches
Mädchen von zwölf Jahren, ganz in Weiß
gekleidet, mit schulterlangen blonden Haaren.
Sie lief stumm und leeren Blickes an mir vorbei
und verließ den Salon durch die zweite Tür.
Die Stimme rief ihr von neuem nach: "Angeline,
Angeline, Angeline!" und verlor sich in der
Weite.
Mit
standen die Haare zu Berge, und ich war noch wie
gelähmt, als endlich die Tür auf ging
und der Diener mit der Lampe eintrat. Gleich darauf
kam auch Herr B., begrüßte mich mit
einem herzlichen Händedruck und bat mich
um Verzeihung dafür, dass ich so lange auf
ihn warten musste.
Ich
übte mich nicht in falschem Heldentum, sondern
erklärte ihm unumwunden und immer noch am
ganzen Leibe zitternd, was mir soeben widerfahren
war.
Zunächst
war er bestürzt, dann aber lachte er herzlich
und beeilte sich, mich zu beruhigen: "Ich
nehme an, Ihnen ist nicht bekannt, mein Lieber,
dass ich ein Vetter der zweiten Frau von G. bin.
Es ist mir ein Rätsel, wie man auf die Idee
kommen konnte zu behaupten, meine Kusine hätte
Angeline ermordet. Sie hatte ihre Stieftochter
in ihr Herz geschlossen und war über ihren
Tod genauso verzweifelt wie der Vater! Das einzige,
was an all den Gerüchten stimmt, ist, dass
Angeline in diesem Haus gestorben ist - aber nicht,
weil man sie umbrachte, und auch nicht, weil sie
selbst Hand an sich legte, sondern sie starb an
einem plötzlichen schweren Fieber. Ihre Eltern
fassten eine tiefe Abneigung gegen dieses Haus,
das ihnen soviel Unglück beschwert hatte,
und zogen weg.
Für
den Rest ihres Lebens stand das Haus leer, und
es blieb auch nach ihrem Tod jahrelang unbewohnt,
weil umfangreiche Erbstreitigkeiten seinen Verkauf
hinauszögerten. Ich selbst hatte schon seit
vielen Jahren ein Auge auf das Haus geworfen;
ich wartete nur auf meine Gelegenheit. Wir leben
nun bereits über ein Jahr hier, und ich schwöre
Ihnen, wir haben bis jetzt noch keinen Geist gesehen."
"Und
was ist mit Angeline?" wandte ich ein, und
ein leises Schauern ergriff mich wieder. "Sie
war doch eben noch hier bei mir im Salon. Eine
Stimme rief nach ihr, sie kam herein, lief quer
durchs Zimmer und ging dort wieder zur Tür
hinaus."
Er
starrte mich ungläubig an. Ich befürchtete
schon, er zweifle an meinem Verstand. Aber dann
lachte er wieder jenes herzliche Lachen eines
glücklichen Mannes.
"Jetzt
verstehe ich, mein Lieber", sagte er, "die
Sache ist einfach: Ich habe eine Tochter; sie
ist zwölf Jahre alt, und ihr Patenonkel,
der verstorbene Herr von G., hat sie zum Andenken
an seine Tochter Angeline genannt. Ich nehme an,
ihre Mutter hat sie gerufen, und da ist sie eben
zufällig durch dieses Zimmer gelaufen. Das
ist alles."
Er
ging zur Tür, offnete sie, und von ihm kam
nun der Ruf: "Angeline! Angeline! Angeline!"
Da
war das Kind - gesund und munter und bildhübsch
stand es vor uns, ein elfengleiches Wesen im weißen
Sommerkleidchen mit schulterlangen blonden Haaren,
das schon die ersten Knospen holder Weiblichkeit
trug und das ganze Leben noch vor sich hatte.
Ich
musste an die Worte des Dichters denken: Nichts
geht verloren, alles kehr irgendwie wieder, auch
die Schönheit und die Liebe', hatte er gesagt.
Und wirklich, dieses Mädchen hier war die
auferstandene, zum Leben erweckte Angeline - so,
wie sich in jeder Tochter die Mutter wiederfindet,
die Liebende von morgen, im ewigen Reigen der
Blumen und der Sonne.
Das
und kein Gespenst war der eigentliche Zauber jenes
Hauses, das heute, in der Fremde des endlich wiedergefundenen
Lebens, so jung aussah wie dieses Mädchen.
|
|
Gottes
Wille ist so stille
Lorbeer
Jakob
(1800
- 1864) Österreich/Ungarn. Lorbeer
war österreichischer Musiker und
christlicher Neuoffenbarer und Visionär,
der sich als Schreibknecht Gottes
bezeichnete.
|
Gottes
Wille Ist so stille, daß ihn Viele überhören,
Und nur Jene, die begehren Solchen zu vernehmen,
Werden nach und nach erkennen, daß sich
Gottes Wille
nur in heil'ger Stille Jenem treulich offenbaret,
der mit Sehnsucht auf ihn harret.
Viele
Brüder Singen Lieder. das ist schon der Bessern
Sitte;
Selten doch aus deren Mitte, wird wohl Einem kaum
gelingen, In die Geisterwelt zu dringen.
Darum will Ich's wagen, euch den Weg zu sagen;
Doch auch Allen wohl verkünden: Geisterwelt
ist schwer zu finden.
Tief
im Herzen, Wo nicht Schmerzen, liegt die Geisterwelt
verborgen.
Nur durch's Beten, Fasten, Sorgen für den
Geist durch's ganze Leben
Könnt ihr diesen Schleier heben; Dann wird
offen werden Jedem hier auf Erden,
Daß in euch die Geister wohnen, aller Monde,
Erden, Sonnen.
Gott
als Sonne Ist die Wonne, haucht das Leben in die
Wesen;
Doch der Geist nur kann es lesen, Er allein kann
Geister sehen,
Gottes Bild in sich erspähen. Dringt in euch,
ihr Alle Auf dem Erdenballe! -
Leben nur wird Leben finden, Tod die Seinen ewig
binden! -
Keiner
glaube, daß die Traube nur durch Sonnenkraft
gedeihe.
Es bedarf da höh'rer Weihe, um dies Rätsel
zu ergründen;
Nur der Geist wird's euch verkünden; daß
in allen Früchten Geister, Geister richten,
Den Geschmack, Geruch gestalten, Farbe selbst
wird durch ihr Walten.
All'
Gebilde, Noch so milde, Ist ein Werk der Geisterheere,
Sei's auf der Erd, in Luft, im Meere, ja in allen
Schöpfungsräumen
Wohnen Geister in den Keimen, - sucht, ihr werdet's
finden!
Ja in euch ergründen, Welchen Weg die Geister
gehen, wie sie Erden, Sonnen drehen. -
Nicht
am Rande, löst die Bande, euren Geist dann
zu befreien, und dem Tod das Leben weihen.
Sehet - ewig ist verloren, der im Geist nicht
neugeboren;
Dieses kurze Leben muß die Zweifel heben.
Wollt ihr dieses sicher finden, müßt
ihr früh den Geist ergründen.
All's Bewegen, alles Regen kommt von einem geist'gen
Leben;
Ruhe selbst ist nur ein Streben zweier Kräfte
nach Bewegung;
Kommt zu Einem eine Stärkung, muß die
Schwäche weichen.
O ihr armen Reichen, geistig lahm und lebend Steifen,
könnt auch Das ihr nicht begreifen!?
Ihr
wollt leben ohne Streben nach des Geistes-Lebens
Himmel ewig so in eurem Tümmel!
Merkt denn: Nur die Kraft wird siegen und dem
Tod nicht unterliegen;
Die da überwunden, ewig auch entschwunden
Aus der reinen Lebensphäre, ihr Besteh'n
wird zur Chimäre.
O
ihr Freunde Der Gemeinde, die nach hellem Schauen
ringet!
Wohl euch, Jedem, dem's gelinget In die Geisterwelt
zu dringen,
Wo die Engel Weisheit singen, wo kein Denken trüget,
Niemand euch belüget;
Wo der Geist im klarsten Schauen alles wird auf
Liebe bauen. -
Auf
zum Streite! Ich's geleite Jedem, der schon hat
begonnen
Stark zu kämpfen, bald werd' kommen Ich,
ein starker Held zu richten
Diese Welt, und All's zu schlichten; was da krumm
auf Erden Muß gerade werden.
Berge werden alle weichen, und den Tälern
völlig gleichen.
Lorbeer
Jakob
aus
"Psalmen und Gedichte" (017,01-11)
|
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ZITATE
zu Reinkarnation / Leben nach dem Tod
Das
Leben kann nur in der Schau nach rückwärts
verstanden - und nur in der Schau nach vorwärts
gelebt werden.
Sören Kierkegaard
Dieter
Duhm (*1942) zitiert in seinem Vortrag »Befreiung
von der Besetzung« (2004) auch Claude AnShin
Thomas (*1947)
"Ich dulde in mir keine Feindschaft mehr!
Das ist meine Antwort auf all die grauenhaften
Dinge, die ich gesehen habe:
Ich dulde in mir keine Feindschaft mehr, auch
nicht gegenüber den Tätern!"
Claude AnShin Thomas
(*1947), Veteran des Vietnamkriegs und Soto-Zen-Priester
"Je
weiter man zurückblicken kann, desto weiter
wird man vorausblicken ...",
Sir Winston Churchill
"Blicke
in dein Inerstes... Da drinnen ist eine Quelle
des Guten,
die niemals aufhört zu sprudeln, so lange
du nicht aufhörst danach zu graben...",
Marc Aurel
"Es
ist sehr wichtig, sich darüber klar zu werden,
dass ein enormes Kraftreservoir in uns schlummert
und nur darauf wartet, von uns benutzt zu werden."
Norman Vincent Peale
"Wenn
wir unsere Lieben nicht in Fleisch und Blut vor
uns sehen,
heißt das nicht im geringsten, dass sie
nicht mehr leben.
Im Gegenteil, sie leben, ebenso wie wir für
immer leben werden."
Norman Vincent Peale
"Es
konnte den Anschein haben, als sei die Philosophie
an die Künstler übergegangen; als gingen
von ihnen die neuen Impulse aus. Als seien sie
die Propheten der Wiedergeburt. Wenn wir Kandinsky
oder Picasso sagten, meinten wir nicht Maler,
sondern Priester; nicht Handwerker, sondern Schöpfer
neuer Welten, neuer Paradiese."
Hugo Ball
"Wer
sein ganzes Leben lang gewohnt war, sich selbst
und andere zu täuschen, sei es bewußt
oder unbewußt, bei dem nützt auch die
Konfrontation mit der absoluten Wahrheit nach
dem Tod nichts. Er torkelt blind weiter, von Wiedergeburt
zu Wiedergeburt."
Monika Hauf
"Wir haben bereits angesprochen, daß
der Unterschied zwischen dem Buddhismus und dem
Christentum bereits bei der Vorstellung von Gott
beziehungsweise den Göttern beginnt..."
"Aufgrund dieser unterschiedlichen Gottesvorstellung
kann der Christ davon überzeugt sein, der
Kreuzestod Christi habe ihn vor dem Höllenfeuer
gerettet, während der Buddhist mit gleicher
Sicherheit weiß, daß die einzig mögliche
«Erlösung» aus ihm selbst kommen
muß. Nur seine eigenen Anstrengungen befreien
ihn aus dem Rad der Wiedergeburt."
Monika Hauf
"Sinn
und Zweck des Todes ist es, sich in eine neue
Gestalt mit einer neuen Position in Raum und Zeit
«hineinzudenken»."
Deepak Chopra
"Die
Wiedergeburtslehre verspricht der Glaubenskern
einer «postmaterialistischen Gesellschaft»
zu werden, eine kulturübergreifende Einheitsreligion,
die irgendwie alles mit allem in Einklang bringt:
Religion und Wissenschaft, Mystik und Aufklärung,
Ost und West, gerade noch rechtzeitig zum Aufbruch
ins «Neue Zeitalter». Einen «Wendepunkt
in der Geschichte der Menschheit» nannte
schon Friedrich Nietzsche «die Lehre von
der Wiedergeburt»."
Harald Wiesendanger
"Wenn
man einmal den Tod erlebt hat, wie ich es getan
habe, dann weiß man in Innersten: es gibt
gar keinen Tod. Man geht immer nur weiter von
einem zum nächsten - wie man weitergeht von
der Grundschule zur Oberschule zur Hochschule."
Zitat aus Raymond A.
Moody
"Die
Reinkarnation und die in ihr enthaltene Gnade,
alle Fehler wieder ausgleichen zu können,
gibt uns die Kraft, auf dem mühsamen und
oft einsamen Weg nach oben durchzuhalten."
Pieter Barten
"Geniesse
die Minute, solange sie glüht!
Der Frühling verwelkt und die Liebe verblüht.""
Emanuel Geibel
"Der
Augenblick ist so kostbar wie das Leben eines
Menschen."
Friedrich Schiller
"Werd'
ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! Du bist so schön!"
Johann Wolfgang von Goethe
"Es
gibt Augenblicke, in denen eine Rose wichter ist
als ein Stück Brot"
Rainer Maria Rilke
"Jeder
Tag ist ein kleines Leben."
Arthur Schopenhauer
"Das
Publikum beklatscht ein Feuerwerk, aber keinen
Sonnenaufgang."
Christian Friedrich Hebbel
"Willst
du dich am Ganzen erquicken,
so musst du das Ganze im Kleinsten erblicken"
Johann Wolfgang von Goethe
"Nie
stille steht die Zeit,
der Augenblick entschwebt,
und den du nicht benutzt,
den hast du nicht gelebt."
Friedrich Rückert
"Nicht
in die ferne Zeit verliere dich.
Den Augenblick ergreife. Der ist dein."
Johann Christoph Friedrich von Schiller
Ich
bin von der Reinkarnation überzeugt, seit
ich 26 Jahre alt war. Was einige für eine
besondere Gabe oder ein Talent zu halten scheinen,
das ist nach meiner Ansicht die Frucht langer,
in vielen Leben erworbener Erfahrung. Wir alle
werden viele Male wiedergeboren, leben viele Leben,
sammeln Erfahrungen und entwickeln uns weiter.
Die scheinbar intuitive Gabe ist in Wirklichkeit
das Produkt langer Erfahrung aus mehreren Reinkarnationen.
Henry
Ford (1863 - 1943) zur Reinkarnation
Grabspruch
des Erfinders des Blitzableiters: Hier ruht der
Leib des Buchdruckers Benjamin Franklin als Speise
für die Würmer, gleich dem Einband eines
alten Buches, aus dem der Inhalt herausgenommen
und seiner Aufschrift und Vergoldung beraubt ist.
Aber das Werk selbst wird nicht verloren sein,
sondern es wird wieder erscheinen in einer neueren,
schöneren Ausgabe, durchgesehen und verbessert
von dem Verfasser.
Benjamin
Franklin (1706 - 1790) zur Reinkarnation
Die
moderne westliche Menschheit befindet sich auf
einem Schiff, das aus so grossen Mengen von Eisen
und Maschinen besteht, dass es die Nadel des Kompasses
auf sich selbst ablenkt, so dass dieser den Weg
nicht mehr weisen kann. In dieser Situation hilft
es nicht, noch klügere Ingenieure auf die
Kommandobrücke zu holen. Man muss sich nach
den Menschen umsehen, die noch wissen, nach den
Sternen zu navigieren.
Werner
Heisenberg (1901 - 1976) zur Reinkarnation
Johann
Wofgang von Goethe (1749 - 1832) zur Wiedergeburt
"Wenn einer 75 Jahre alt ist, kann er nicht
fehlen, dass er mitunter an den Tod denke. Mich
lässt dieser Gedanke in völliger Ruhe,
denn ich habe die feste Überzeugung, dass
unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer
Natur; es ist ein Fortwirkendes von Ewigkeit zu
Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die selbst
unsern irdischen Augen unterzugehen scheint, die
aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich
fortleuchtet."
(2.5.84 an Eckermann)
"Ich
bin gewiss, wie Sie mich hier sehen, schon tausendmal
dagewesen und hoffe wohl noch tausendmal wiederzukommen."
(25.1.1813 an Johann
Daniel Falk)
"Jede
Geburt ist Wiedergeburt."
Wilhelm
Busch
Die
Lehre von der Wiederverkörperung ist weder
widersinnig noch nichtssagend. Zweimal geboren
zu werden ist nicht wunderbarer als einmal. Auferstehung
ist das Eins und Alles der Natur." Voltaire
(1694 - 1778) zur Wiedergeburt
Reinkarnation
und Karma bilden einen wundervollen, ganz unvergleichlichen
Weltmythos, gegen den wohl jedes andere Dogma
kleinlich und borniert erscheinen muss.
Richard
Wagner (1813 - 1883) zur Reinkarnation
Der
ganze Frühling ist mir ein Bild der Unsterblichkeit,
der Schönheit, der Auferstehung, und mein
Zug dahin ist vor dem Herrn der Natur eben so
untrüglich, als der Zug des wandernden Vogels,
der Gang der untergehenden Sonne.
Johann Gottfried Herder (1744 - 1803) zur Reinkarnation:
Alles
was mich die Wissenschaft bisher gelehrt hat,
bestätigt meinen Glauben in eine spirituelle
Wiedergeburt nach dem Tod. Ich glaube an eine
unsterbliche Seele. Die Wissenschaft hat bewiesen,
dass sich nichts in Nichts auflösen kann.
Das Leben und die Seele können sich deshalb
unmöglich in Nichts auflösen und sind
deshalb unsterblich.
Werner
Von Braun zur Reinkarnation:
Ich
könnte mir gut vorstellen, dass ich in früheren
Jahrhunderten gelebt habe und dort an Fragen gestossen
bin, die ich noch nicht beantworten konnte: dass
ich wiedergeboren werden musste, weil ich die
mir gestellte Aufgabe nicht erfüllt hatte.
Wenn ich sterbe, werden - so stelle ich es mir
vor - meine Taten nachfolgen. Ich werde das mitbringen,
was ich getan habe.
Carl Gustav Jung (1875 - 1961) zur Reinkarnation:
Bevor
ich mit Sterbenden zu arbeiten begann, glaubte
ich nicht an ein Leben nach dem Tod. Jetzt glaube
ich an ein Leben nach dem Tod, ohne den Schatten
eines Zweifels.
Elisabeth
Kübler-Ross (1926 - 2004) zum Thema Reinkarnation
und Sterben
Lebe
so, wie wenn Du nochmals leben könntest -
dies ist Deine Pflicht. Denn Du wirst in jedem
Falle nochmals leben!
Friedrich Nietzsche zur Reinkarnation:
Nimmer
vergeht die Seele, vielmehr die frühere Wohnung
tauscht sie
mit neuem Sitz und lebte und wirkt in diesem.
Alles wechselt, doch nichts geht unter.
Der große Philosoph,
Mathematiker und Astronom Pythagoras - (ca. 582
496 vor Christus)
Müssen
wir, weil die Schildkröte einen sicheren
Gang hat, die Flügel der Adler beschneiden?
Edgar Allen Poe, 1809
- 1849
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Abschieds-Szene
eines guten Geistes
Abschiedsszene
eines guten Geistes von seinem Leichnam
Jakob Lorber
Vorwort.
Dieses Liedchen ist gut
und wahr; daher sollte es wohl recht beherziget
werden.
Es giebt zwar schon ähnliche Lieder in guten
Reimen; aber es klebt ihnen noch so manches Irdische
an,
darum sie auch minder zu beachten sind. Dieses
aber ist geistig wahr und rein; darum soll es
auch beachtet
sein von Jedermann; denn es stellt wirklich eine
Abschiedsszene eines guten Geistes von seinem
Leibe dar.
Ganz
besonders aber sei dieses Liedchen dem Töchterchen
J. Des A. H. W.
Zu ihrem Leibes=Geburtstage beschieden, damit
sie in dieser Kleingabe ersehen möchte, um
wie Vieles
der Geist besser ist, als der dem Tode anheimfallende
Leib! Sie soll aber darum etwa nicht sterben oder
einen Tod befürchten, sondern nur daraus
den hohen Wert des Geistes vor dem Leibe erschauen.
Amen!
01]
In armen Stübchen ruht die Leiche.
Die Freunde steh'n um sie herum und seh'n noch
einmal an das bleiche Gesicht, und weinen, trauern
stumm. -
02]
Wohl trocknen sie die heißen Zähren,
doch nicht versiegt der Wehmut Strom;
Denn bald soll'n sie gar hart entbehren Den, der
da war so gut und fromm!
03]
Als sie doch aus der Trauerkammer Zurück
sich zieh'n in's Schlafgemach,
Und da sie hält ihr tiefer Jammer vom Schlafe
los und trauernd wach; -
04]
Da zuckt herab ein heller Schatten Zur Bahre hin
in Mondesstrahl;
Denn eh' den Leichnam sie bestatten, will er ihn
seh'n zum letzten Mal.
05]
"So hab' ich dich (spricht er) verlassen,
Hab' wie ein Kleid dich abgelegt;
Ich kann ja kaum die Wonne fassen, in der mein
Sein sich nun bewegt.
06]
"Ich - nun ein freies, rein'res Wesen, Bin
leicht geflügelt, hell und klar.
Ein neu' Gewand ist mir erlesen viel hehrer, als
Dies alte war. -
07]
"O Tod! Wie doch so sanft gelinde Hast du
im Schlummer mich entrückt,
O - wie ich mich nun seligst finde und über
jeglich Maß entzückt.
08]
"Wie macht mich der Gedank' nun bangen, daß
nur auf eine kürz'ste Rast
Der Leib mich wieder könnt' umfangen mit
seiner schweren todten Last!
09]
"Wie zogst du mich zu todten Freuden, Leib,
gegen meinen Willen hin,
Wie mußt' d'rum oft mit dir ich leiden für
schlecht'sten Lohn, für Tod's Gewinn!
10]
"Doch fühl' ich jetzt ein Mitleidsbeben
und muß hier einen Dank dir weih'n;
War matt auch unser einig's Leben so konnt' ohn'
dich ich doch nicht sein.
11]
"Du gabst mir wohl auch manche Wonnen, so
sie, die nun der Schlaf umhüllt,
Des Hauptes seelenvolle Sonnen entzückte
zarter Schönheit Bild; -
12]
"Wenn süße Tön' das Ohr umflossen,
die Hand gedrückt des Freundes Hand,
Wenn meine Arm' ein Glück - umschlossen und
selbst die Lippe Lieb' empfang. -
13]
"Doch nun bist du allein geblieben, so sink'
denn auch allein zur Gruft;
Denn ich hab' All's ja schöner Drüben,
dort in der Himmel reinster Luft! -
14]
"Nur Eins stört Meinen sel'gen Frieden
und macht mir ein wehmütig Herz;
Die, welche ich beließ hienieden, ergeben
sich zu sehr dem Schmerz!
15]
"Ich hör' sie mächtig um mich weinen,
der süße Schlaf sie stärket nicht,
Wie gern doch möcht' ich euch erscheinen
umstrahlt von hellstem klarstem Licht!
16]
"Wie gern möcht' ich euch All's entdecken,
Welch' eine Wonne mich umfleußt!
Doch würdet ihr gar sehr erschrecken; - Ihr
fürcht't ja den verklärten Geist!
17]
"So will ich harren denn zur Schwelle, ganz
heimlich nur nach euch hinseh'n
und fließt um euch des Schlafes Welle mit
leis'sten Tritt zu euch dann geh'n!
18]
"Da werd' zu eurem Haupt ich treten, umwehen
es mit sanftem Hauch,
Euch segnen, liebend für euch beten, denn
das ist da der Segens=Brauch."
Zu
finden auch auf:
www.j-lorber.de/jl/psal/gedichte.htm
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