Woher beziehen wir unseren Strom

"Die Ölscheichs der Zukunft"


Veröffentlicht mit der freundlichen Genehmigung der TZ-München www.tz-online.de

Die Ölscheichs der Zukunft!

"Kornkraft statt Kernkraft": Bauern steigen um

Vor wenigen Jahren hatte Familie Reinbold noch 350 Stück Borstenvieh und einige Mastbullen.

Jetzt sind ihre Ställe leer. Die Reinbolds waren ganz normale Landwirte - bis BSE und der gesamte Preisverfall für ihre Produkte die Existenz des Familienbetriebs bedrohte.

"Heute", sagt die resolute Bäuerin Inge Reinbold auf ihrem Hof in der Gemeinde Freiamt nördlich von Freiburg, "heute verfüttern wir den Mais, das Getreide und das Gras von unseren Feldern eben an unsere Bakterien", und lacht. Es habe sich eigentlich gar nicht viel geändert. Nur: Ihre Tiere seien kleiner geworden! Heute betreibt Familie Reinbold eine Biogasanlage.

Fotos: ddp - Auch im Großen rentabel: Eine Biogasanlage drängt in Nordrhein-Westfalen ein Braunkohlekraftwerk in den Hintergrund

Millionen von Kleinstlebewesen zersetzen in zwei unterschiedlichen Tanks die Mischung aus Gülle und Gras und Mais zu einem dickflüssigen Brei, der langsam vergärt. Das so entstehende Biogas ist brennbar und treibt zwei große Generatoren an, die über ein Blockheizkraftwerk Strom und Wärme erzeugen. Statt Fleisch verkaufen die Reinbolds jetzt Energie. Die 700.000 Euro Investitionskosten werden sich in einigen Jahren gerechnet haben, davon ist Inge Reinbold überzeugt.

Die Landwirte sind Energiewirte geworden. Man kann auch etwas platt sagen: Sie sind die Ölscheichs der Zukunft wie inzwischen Tausende anderer Bauern in Deutschland und anderswo. Das Dorf Freiamt mit seinen 4300 Einwohnern gehört zu den Pionieren, die sich schon heute zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie versorgen.

Auf den Schwarzwaldhügeln der Gemeinde sind nicht nur vier Windräder aufgestellt, sondern auch über 100 Solarstromanlagen installiert. Über drei kleine Wasserkraftanlagen wird ebenfalls Ökostrom ohne Klimabelastung gewonnen.

Im Dorf kann man kein schlechtes Wetter: Wenn die Sonne scheint, verdienen Solaranlagen Geld.

Bei Regen freuen sich die Wasserkraft-Erzeuger und bei kräftigen Winden aus Südwest drehen sich die Windkrafträder. Und die Biogasanlage vorn Familie Reinbold ist total wetterunabhängig. Biogas kennt kein Wetter und keine Jahreszeit, hat kein Speicherproblem und steht permanent zur Verfügung, wenn Wärme und/oder Strom gebraucht wird.

Beinahe 14 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen alle Erneuerbare-Energie-Anlagen. In Freiamt bei Freiburg sind die Menschen so frei und erzeugen mit Hilfe der Symphonie der regenerativen Energien Strom und Wärme selbst… Drei Millionen Kilowattstunden Strom verkaufen sie gegen gutes Geld an den baden-württembergischen Energieversorger EnBW.

Das grüne Energiedorf erwirtschaftet ökologischen Strom, aber das Gemeindeparlament ist überwiegend konservativ. Die Grünen sind in diesem grünen Ort gar nicht im Gemeinderat vertreten. Vor drei Jahren wollten clevere Geschäftsleute von außerhalb auf Freiamts Hügeln Windräder installieren. Doch die Bürgermeisterin winkte ab - das Geschäft sollten die Einheimischen selbst machen. Und sie machen es. Das Geld bleibt im Dorf.

Die Freiamter gründeten eine Genossenschaft und betreiben ihre Windräder in Eigenregie. Energie aus der Region für die Region!

Die dezentrale Energieversorgung von Millionen Menschen anstatt der zentralisierten Energieversorgung durch wenige große Energieversorger ist möglich. Auch die Energieversorgung ist demokratisierbar. Bürger, zur Sonne, zur Freiheit!

Keine Bürgerinitiative stört den Frieden mit dem Wind und das Geldverdienen mit umweltfreundlichem Strom. Regional erzeugte Energie belässt nicht nur das Geld am Ort, sondern sorgt auch für Arbeitsplätze beim heimischen Handwerk, das die heimische Region ökonomisch durch ökologische Energieerzeugung stärkt. So kommt zusammen, was zusammen gehört.

Die Bürger in Freiamt sind stolz darauf, sich unabhängig von Gas, Öl und Atomkraft gemacht zu haben.

"Wir sind jetzt energieautonom", kann man im Dorf hören.

Und das geht überall in Deutschland. Die Freiamter haben es vorgemacht.

Allerdings: In jeder Region herrschen andere Bedingungen. Großstädte werden künftig viel Erdwärme nutzen. In Süddeutschland kann mehr Wasserkraft und in Norddeutschland mehr Windenergie produziert werden. Bioenergie und Sonnenkraft steht in allen Regionen der Republik zur Verfügung, Bioenergie freilich mehr in ländlichen als in städtischen Regionen.

Längerfristig kommen noch solar erzeugter Wasserstoff sowie Wellen- und Strömungsenergie der Meere hinzu.

Deutschland ist zu 100 Prozent erneuerbar.

Zur Wärmeerzeugung wünschen sich die Bürger von Freiamt künftig noch ein Holzhackschnitzelkraftwerk, so wie es heute schon im niedersächsischen Jühnde zum Beispiel installiert ist.

Windkraft, Bioenergie und Co. ersetzen Atomstrom spielend

Bis 2023 wird deutlich mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt, als durch den Ausstieg aus der Kernenergie wegfällt

Prognose, Quellen: BEE, BMU, BMWi

Quellennachweis:
TZ - Tageszeitung München www.tz-online.de
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