FRANZ SUSMAN - KIRCHENHISTORIKER
"Und die Erde wird neu erblühen"



Hieronymus:
Seit Jesus ist es nicht gestattet, Fleisch zu essen



Hieronymus wurde 331 in Dalmatien geboren. Er studierte in Rom die Klassiker und machte Reisen durch ganz Gallien. In seinem 40. Lebensjahr ging er in die Wüste von Chalcis in Obersytien, wo er als Einsiedler lebte. Später wurde er in Konstantinopel Schüler von Gregor von Nazians und trat dann selber in Rom als Lehrer der Schrift auf. 382 wurde er Sekretär des Papstes Damasus. Von ihm bekam er den Auftrag, den lateinischen Bibeltext zu überarbeiten. Drei Jahre lang war Hieronymus in Rom der Vorstand eines Kreises mit asketischen Idealen. Diesem Kreis gehörten Frauen des Adels an. Nach dem Tod des Papstes kehrte Hieronymus in den Orient zurück, weil er vom römischen Klerus stark angefeindet wurde. Auch fühlte er sich bei der Papstwahl übergangen.

In Bethlehem gründete er mit Hilfe der berühmten Frauen Marcella und Paula, die ihn von Rom aus begleitet hatten, ein Kloster, wo er im Jahre 420 starb. Hieronymus zeichnete sich durch eine umfassende Bildung aus, die vom Neuplatonismus geprägt war. Vielen war er zu streng.
Auf seine Mahnung hin, kein Fleisch zu essen, antwortete ihm Jovinian, dass es gleichgültig sei, ob man Fleisch äße oder nicht, wenn es nur mit "Danksagung" geschähe; so lehrte es - ja Paulus auch in Timoth. 4,4: Gott hätte vor der Sintflut verboten Fleisch zu essen, es aber nachher wieder gestattet. Daraus könne man folgern, dass es gleichgültig sei, ob man es äße oder nicht.

Hierauf gab Hieronymus ihm sinngemäß zur Antwort:
Ebenso wie nach den Worten unseres Herrn die Ehescheidung anfänglich nicht erlaubt war, später aber, da die Menschen hartherzig geworden waren, von Moses gestattet wurde, ebenso war der Genuss des Tierfleisches bis zur Sintflut verboten, aber: seit der Sintflut gibt man uns die Nerven und den stinkenden Saft des Fleisches unter die Zähne, gleichwie man dem murrenden Volk in der Wüste Wachteln vorwarf.

Die Bischöfe von Capri hießen Wachtelbischöfe, weil sie vom Handel mit Wachteln lebten.
So berichtet Axel Munthe in seinem bekannten "Buch von San Michele"


Jesus Christus, der am Ende der Tage gekommen ist, hat das Ende auf den Anfang zurückgeführt, so dass es uns heute nicht mehr gestattet ist, eine Frau zu verstoßen, noch uns beschneiden zu lassen, noch Fleisch zu essen; wie der Apostel sagt: Röm.14,21 "Es ist besser, du isst kein Fleisch und trinkst keinen Wein. Denn der Gebrauch des Weins hat mit dem des Fleisches angefangen nach der Sintflut."

Der Lebensweg des Hieronymus

Als der etwa zwölfjährige, vermögende Hieronymus im Jahr 357 nach Rom kam, ahnte er kaum, was sich im Reich in den letzten Jahrzehnten ereignet hatte, und auch nicht, welche Rolle er spielen würde. Rhetorik, Grammatik und Philosophie öffneten ihm den Reichtum der Klassik. Er schöpfte Hoffnung, dass der Menschheit geholfen werden könnte, im Namen des rechtschaffenen Denkens.
In Trier entdeckte er, dass der Geist der Griechen auch von vielen, die sich Christen nannten, verstanden und gelebt wurde. Er ahnte nicht, dass kurze Zeit später gerade in Trier zum ersten Mal im Namen des Christentums die edelsten Menschen geköpft würden.

Im Orient lernte der Junge Menschen kennen, die gesund an Leib und Seele waren, weil sie sich an die Erkenntnisse der Weisen hielten. Die vernünftige Lebensweise, die er in Trier und Syrien entdeckte, ermöglichte es ihm, seine Zeit für das Erlernen der orientalischen Sprachen zu nutzen. So wurde er berufen, aus einer Unmenge von alten Schriften die christliche Bibel zusammenzustellen und einheitlich zu übersetzen. Das war wohlgemerkt, nachdem schon Kaiser Konstantin und sein Hoftheologe Eusebius ihre Auswahl von Schriften getroffen hatten.

Von 382 bis Ende 384 war Hieronymus Sekretär des Papstes Damasus. Dieser bestieg den Thron 366, nachdem viele seiner Gegner niedergemetzelt worden waren. In der römischen Synode 382 wurde, - während die blutigen Kämpfe noch andauerten, der so genannte Kanon der Bibel festgesetzt, und der anwesende Hieronymus erhielt den Auftrag den richtigen Text festzulegen. In jenen drei Jahren bekam Rom noch ein letztes Mal einen Philosophen und Lehrer. Wie hundert Jahre zuvor Plotin und Porphyrius lehrte wieder ein echter Sucher die gebildeten Damen Roms, was der Sinn des Lebens sei. Aber in diesen Zeiten war die Situation schon schlechter. Hieronymus hatte den ganzen römischen Klerus gegen sich. Als Damasus am 11.Dezember 384 starb, und Hieronymus bei der Papstwahl übergangen wurde, verließ er die korrupte Stadt und ging in die Einsamkeit Bethlehems. Einige der vornehmen Damen folgten ihm und halfen ihm mit ihrem Reichtum und Einfluss, drei Klöster zu gründen.

In Trier geschah 385 ein Justizmord, der mit dem, der an Sokrates verübt worden war, zu vergleichen ist. Sokrates lehrte die Enthaltsamkeit von blutiger Nahrung und Priscillian lehrte, dass das Blutvergießen das Urverbrechen der Menschheit sei. Würden die Menschen in Frieden unter sich und mit der Tierwelt leben, bräuchte man keine Priester. Aus diesem Grund wurde er mit sechs seiner Gefährten, darunter auch Frauen, geköpft.

Zu eben jener Zeit (um 388) trat in Rom Jovinian auf. Des Mönchslebens überdrüssig, lehrte er, dass man durch die Taufe erlöst würde und es nicht so wichtig sei, wie man lebte. Natürlich hatte er viele Anhänger.

Der Papst Siricius verdammte Jovinian, "diesen Lehrmeister der Ausschweifung" auf der römischen Synode 390 samt seiner Schriften, ebenso wie acht seiner Anhänger. Jovinian ging nach Mailand, um beim Kaiser Theodosius Unterstützung zu suchen. In Mailand stand Ambrosius in hohen Ehren und Jovinian musste bald die Stadt verlassen. Es ist bemerkenswert, dass drei der vier größten Lateinväter mit Jovinian und seinen Lehren zu tun hatten: Ambrosius, Augustinus und Hieronymus. Alle drei wie auch der spätere Gregor der Große lebten und lehrten Ehre furcht vor dem Leben. Genauso taten dies in der modernen Zeit Albert Schweitzer und vor ihm Leonardo da Vinci.
Jovinian muss bald danach gestorben sein, denn Hieronymus schreibt 409 adv. Vigilant. Kap.1, dass er bei Fasanen und Schweinefleisch seinen Geist nicht ausgehaucht sondern ausgespien habe.
Die gelehrten Freunde von Hieronymus in Rom waren bestürzt, dass sich die Lehre eines Jovinian als die christliche Lehre ausbreiten konnte. Pammachius, der Schwiegersohn der hl. Paula und der Freund und Mitschüler von Hieronymus sammelte die Schriften und Pamphlete Jovinians und schickte sie nach Bethle-hem, wo auch schon seine Schwiegermutter Paula weilte. Er bat, diese Schriften gründlich zu lesen und sie zu widerlegen.

Hieronymus trug nun mit großer Gelehrsamkeit nicht nur die Argumente und Zitate aus den Heiligen Schriften sondern vor allem auch aus den Grundsätzen der Philosophen zusammen. Über die Enthaltsamkeit schrieb sehr ausführlich schon einhundert Jahre zuvor Porphyrius. Und er hat am Ende seiner vier Bücher die einzelnen Philosophen, die sich zum Thema des Tiertötens und des Tieressens geäußert hatten, zitiert. Leider sind die letzten Seiten des Buches nicht erhalten.
Hieronymus aber hat sie noch gekannt, denn er geht darauf ein.
Deshalb ist seine Schrift gegen Jovinian auch von höchster Brisanz. Kaum ein heute lebender Mensch hat dieses Buch von Hieronymus gelesen.

Da es lange dauern würde, dass ein Verleger diese bedeutende Schrift der Öffentlichkeit zugänglich machen könnte, bin ich gezwungen , aus dem zweiten Buch den Sinn teils wörtlich teils zusammengefasst wiederzugeben.

Als die Schrift in Rom erschien, wurde sie wegen "des Stils" schwer angegriffen. Auch einige Freunde von Hieronymus kehrten sich von ihm ab. Mit unbarmherzigem Sarkasmus geißelt Hieronymus die Sittenzu-stände in Rom. Daraufhin erschienen Gegenschriften, geschrieben von seinen Neidern, die meinten, sie beherrschten das Thema, doch wurden sie vom größten Kenner der Philosophen eines Besseren belehrt. Man beschuldigte ihn der Übertreibung, wie es in der Geschichte immer das Los der Philosophen war. Pammachius kaufte bei dem allgemein laut gewordenen Unwillen die Exemplare, die er auftreiben konnte, auf. Glücklicherweise sind nicht alle der Bücherverbrennung anheim gefallen, sonst wäre uns die Geschichte Roms noch rätselhafter geblieben.

Ein anderer seiner Freunde, der Priester Domnio, stellte ihm ein Verzeichnis der kritisierten Stellen zu. Darauf schrieb Hieronymus an Pammachius "die Verteidigung der Bücher gegen Jovinian" nebst einem Begleitschreiben, woraus man lesen kann, dass nur seine Einstellung zur Ehe, aber nicht die zur Enthaltsamkeit von der blutigen Nahrung angegriffen wurde.

Die Schrift von Hieronymus wurde Ende 392 oder Anfang 393 in Bethlehem verfasst. Zwei Jahre zuvor war Jovinian aus Rom vertrieben worden.

Kap. 5 des zweiten Buches beginnt folgendermaßen:

"Endlich kommen wir zu den Speisen, und es wird uns als Schwierigkeit entgegengehalten, dass alle Dinge dazu geschaffen seien, um den Sterblichen zum Gebrauch zu dienen (ad hoc esse creata omnia, ut usui mortalium deservirent).

Und wie der Mensch als ein vernünftiges, belebtes Wesen, als ein Bewohner und Inhaber der Welt Gott Untertan ist und seinen Schöpfer ehrt, so seien auch alle lebenden Wesen entweder zur Speise oder Bekleidung der Menschen, zum Pflügen der Erde oder zum Transport der Feldfrüchte und der Menschen selbst erschaffen"

Hieronymus zählt dann auf, wie verschiedene Völker die Tiere für verschiedene Zwecke gebrauchen oder essen um dann zu sagen, daß die Christen sich des Überflusses entledigen müssen.
"Wenn du vollkommen sein willst, so ist es gut, keinen Wein zu trinken und kein Fleisch zu essen. Willst du vollkommen sein, so ist es besser, die Seele als den Leib zu mästen. Wenn du aber schwach bist und an den Kochkünsten Geschmack findest, so entreißt niemand deinem Rachen das leckere Mahl. Iß und trink und, wenn's dir beliebt, stehe auf, tanze mit Israel und singe. 'Lasset uns essen und trinken; denn morgen werden wir sterben'. Mag doch der essen und trinken, der nach dem Essen nichts weiter als die Vernichtung erwartet und mit Epikur spricht : 'Nach dem Tod ist nichts mehr, und der Tod selbst ist das Nichts'. - Wir aber glauben der donnernden Stimme des Paulus 'Die Speise ist für den Bauch und der Bauch ist für die Speise; Gott aber wird diesen und jene vernichten'."


Im Kap.7 beweist er, dass die Gewohnheiten der Völker keinen Beweis für das Naturgesetz liefern können. Einige Beispiele:

In Pontus und Phrygien kauft der Familienvater die weißen und fetten Holzwürmer mir schwarzen Köpfen, die im faulen Holz entstehen, für teuren Preis, um einen leckeren Schmaus vorzubereiten. "Rede nun dem Phrygier und Pontier zu. Heuschrecken zu essen, so hält er das für eine Beleidigung", obwohl bei den Orientalen und den Völkern Lybiens diese Sitte herrscht. Zwinge den Syrer, Afrikaner und Araber, pontische Würmer zu verschlingen, so wird er sie so verächtlich ansehen, wie Fliegen, Tausendfüßler und Eidechsen. Und doch essen die Syrier auch Landkrokodile und die Afrikaner grüne Eidechsen. In unserem Land hält man es für ein Verbrechen, Kälber zu essen. Deshalb hatte auch der Kaiser Valens neulich für den Orient ein Gesetz erlassen, es solle niemand Kalbfleisch essen, aus Vorsorge für den Ackerbau und um die hässliche Gewohnheit des jüdischen Volkes abzustellen, statt Geflügel und Saugferkel Kälber zu essen. Die Troglodyten und Scythen essen rohes Fleisch; die Sarmaten, Quaden, Vandalen halten Pferdefleisch und Füchse für Leckerbissen.
"Was soll ich von anderen Nationen sagen, da ich selbst als Jüngling in Gallien die Attikoten, ein britannisches Volk, Menschenfleisch habe essen sehen, die, wenn sie in den Wäldern auf Schweineherden, Rindvieh- und Schafherden stoßen, den Hirten und den Frauen die Hinterbacken und die Brüste abschneiden und diese allein für einen köstlichen Schmaus halten? (pastorum nates et feminarum et papillas solere abscidere et has solas delicias ciborum arbitrari)".

Jede Nation gibt das für Naturgesetz aus, woran sie eben gewöhnt ist. "Aber gesetzt, es wäre der Genuss von Fleischspeisen allen Nationen gemeinsam, und es sei ohne Unterschied erlaubt, was sich überall findet, was kümmert das uns, deren Wandel im Himmel ist, und die wir mehr als Pythagoras und Empedokles und alle Forscher der Weisheit nicht dem verpflichtet sind, welchem wir durch die natürliche Geburt, sondern dem, welchem wir durch die Wiedergeburt angehören, und das widerstrebende Fleisch, das uns zur Erregung der Sinnenlust hinreißt, durch Enthaltsamkeit (inedia) in Ordnung bringen?
Das Fleischessen und Weintrinken und die Überfüllung des Bauches ist eine Brutstätte fleischlicher Begierde. Deshalb spricht der Komiker: "Ohne der Ceres und des Bacchus Spende friert die Venus".

Die Gier nach Leckerbissen, so führt Hieronymus weiter aus, ist die Mutter der Habsucht. Sie beschwert den Geist mit Fesseln und zieht ihn nach unten. Wegen einer kurzen Befriedigung der Gaumenlust wird Land und Meer durchstöbert.

Wie die alten Philosophen ihre Sinne in Ordnung hielten

Nach der Meinung von Hieronymus, verließen viele Philosophen aus oben genannten Gründen das Getümmel der Städte. Er erwähnt die Pythagoreer, die Platoniker und die Stoiker. Auch Platon, obwohl reich, wählte, um sich der Philosophie widmen zu können, das akademische Landhaus fern von der Stadt sich aus, damit seine Schüler kein anderes Vergnügen hätten, als an den Dingen, die sie lernten.
Wenn also jemand meint, reichlich Speisen und Trank genießen und doch dabei sich der Weisheit widmen zu können, der täuscht sich selber.

Unser Sinn denkt nur an das, was er sieht, hört, riecht, schmeckt und tastet und fühlt sich nur dahin gezogen, wohin ihn sinnliche Lust lockt. Dass der Geist sieht und der Geist hört und wir weder etwas hören oder sehen, sofern der Sinn auf das Gehörte und Gesehene nicht achtet, ist auch schon ein alter Satz. Es ist schwierig, ja unmöglich. in sinnlichen Freuden schwimmend, nicht an das zu denken, was wir treiben. Und ganz vergeblich stellen sich manche, als ob sie unbeschadet ihres Glaubens, ihrer Reinheit und ihrer Geisteslauterkeit das sinnliche Vergnügen genießen könnten, da es doch gegen die Natur ist, die gebotenen Vergnügungen ohne Vergnügen zu genießen.

Die Vernunft muss die Sinne im Zügel halten

Die körperlichen Sinne sind wie Pferde, die ohne Verstand dahin rennen; die Seele aber hält, wie ein Wagenfahrer, die Rennenden am Zügel zurück. Und wie Rosse ohne Lenker plötzlich dahin stürmen, so stürmt auch der Leib ohne die Vernunft und ohne die Herrschaft der Seele in sein Verderben. Daher schreibt Sallust: "Die Seele führt die Herrschaft, der Leib ist mehr der Diener. Das Eine ist uns mit den Göttern, das andere mit den Tieren gemein." Wenn also die Klugheit des Erziehers die Fehler des Jünglings nicht leitet, so geht all dessen Beginnen und Begehren auf mutwillige Streiche.
Ohne vier Sinne können wir leben, nämlich : ohne Gesicht, Gehör, Geruch und Tastsinn; ohne Geschmack aber ist es unmöglich, den menschlichen Leib mit Speise zu ernähren.

Es muß also die Vernunft Beistand leisten

  • um solche und soviel Speisen zu genießen, dass einerseits nicht der Körper beschwert und
  • andererseits auch nicht die Freiheit der Seele erdrückt werde
  • weil man ebenso essen als gehen, schlafen und verdauen und
  • nachher, wenn die Adern angeschwollen sind, das aufflackernde Feuer der sinnlichen Begierde beherrschen muss.

Nehmen wir keine solchen Speisen zu uns, die man schwer verdauen kann oder die man bedauert gegessen zu haben, weil man sie sich mit großer Mühe verschafft und vergeudet hat.

Ein Mahl von Früchten und Gemüse ist (besser ist: erstens und zweitens; weil einerseits und andererseits eher widersprüchliche Aussagen beinhalten soll) einerseits leichter zu beschaffen, andererseits bedarf es keiner Kochkunst und keines Aufwandes und erhält ohne Beschwerde den menschlichen Körper und wird mäßig genossen, - weil eben nicht so begierig verschlungen wird, was den Gaumen nicht kitzelt, - leichter verdaut.

Niemand beschwert sich nämlich durch eine oder zwei und noch dazu gewöhnliche Speisen bis zur Auftreibung des Bauches, die man aber wohl bei den verschiedenartigen Fleischspeisen und dem Kitzel ihrer geschmackvollen Zubereitung empfindet. Wenn die Schüsseln von verschiedenen Wohlgerüchen duften, ziehen sie uns wie Sklaven an, doch davon zu essen, mag auch der Hunger schon gestillt sein. Daher entstehen auch aus der übermäßigen Sättigung die Krankheiten, und viele müssen die ungeduldige Befriedigung der Gaumenlust durch Speien bezahlen, und was schmählich hineigeschluckt, noch schmählicher von sich geben.

Von Hippokrates bis Epikur

Hippokrates lehrt in seinen Aphorismen, dass die fetten feisten Körper, wenn sie über das Maß hinaus stark werden, gern der Gicht und anderen sehr schlimmen Krankheitsgattungen unterworfen seien. Denn es bleibe die Beschaffenheit der Körper nie in demselben Zustand stehen, sondern wachse entweder oder nähme beständig ab, und es könne ein belebtes Wesen gar nicht leben wenn es nicht des Wachstums fähig sei.

Deshalb sagt auch Galenus, ein sehr gelehrter Mann und Dolmetscher von Hippokrates, dass die Athleten, deren ganzes Leben und Kunst in der Mästung bestehe, weder lange leben noch gesund bleiben könnten, und dass ihre Seelen, durch das Übermaß des Blutes und des Fettes wie von einer Lehmschicht deshalb ringsum eingehüllt, an nichts Vernünftiges, an nichts Himmlisches, sondern nur an Fleisch und Fraß und Völlerei dächten.

Diogenes behauptet, dass, wenn Diktatoren auftreten, Städte zerstört würden, auswärtige oder bürgerliche Kriege sich entzündeten und das geschehe nicht durch den einfachen Lebensunterhalt von Gemüse und Früchten, sondern durch Fleisch und Genüsse der Tafel. Diogenes tyrannos et subversiones urbium bellaque vel hostilia vel civilia non pro simplici victu holerum pamorumque, sed pro carnibus et epularum deliciis adserit excitari.

Und - sonderbar! - Epikur, der den Sinnengenuss verteidigt,

spricht in allen seinen Büchern von Gemüse und Früchten und sagt, dass man von gewöhnlichen Speisen leben solle, weil die Beschaffung und Zubereitung von Fleisch und ausgesuchten Mahlzeiten ungeheure Sorge verursache und das Missvergnügen bei ihrer Beschaffung größer sei als das Vergnügen des Genusses, dass aber unsere Körper eben bloß Speise und Trank bedürften. Wo Wasser und Brot sei und dergleichen, habe die Natur genug. Was darüber hinausgehe, gehöre nicht zu Notdurft des Lebens, sondern zum Laster des Wohllebens; Essen und Trinken lösche nur Hunger und Durst, aber keineswegs die leidenschaftliche Empfänglichkeit für Freudengenüsse. Wer Fleisch isst, braucht auch solches was nicht von Fleisch ist, wer sich aber der einfachen Kost bedient vermisst das Fleisch nicht.

Wir können auch nicht nach Weisheit streben, wenn wir auf den Überfluss einer vollen Tafel bedacht sind, was große Mühe und Sorge in Anspruch nimmt. Was die Natur braucht, ist schnell beschafft: Kälte und Hunger kann mit einfacher Kleidung und Speise beseitigt werden. Deshalb spricht auch Paulus: "Wenn wir Kleidung und Nahrung haben, so lasst uns zufrieden sein".

Tafelgenüsse und deren Mannigfaltigkeit nähren die Habsucht. Es ist ein großer Triumph für die Seele, die Welt, weil man sich mit Wenigem begnügt, unter den Füßen zu haben und alle ihre Herrlichkeit, die Schmausereien und die fleischlichen Lüste, um derentwillen man nach Reichtum jagt, mit einfachen Speisen zu vertauschen und einer groben Tunika gleich zu schätzen. Nimm die Üppigkeit in Schmauserei und Fleischeslust weg, und niemand jagd mehr nach Reichtum, der nur zur Befriedigung des Bauches oder der niedrigerer Lust dient.

Wer krank ist, empfängt die Gesundheit nur wieder von schmaler Kost und eingeschränkter Lebensweise,was man magere Diät nennt. Qui aegrotat, non aliter recipit sanitatem, nisi tenui cibo et castiga to victu, quae lepté diaita dicitur. Quibus ergo cibis recipitur sanitas, his et servari potest.Mit den Speisen, mit denen wir die Gesundheit wieder erlangen, kann sie demnach auch bewahrt werden. Niemand möge glauben, dass Gemüse Krankheiten erzeuge - ne quis putet morbos oleribus concitari.
Mögen jene Fleisch für ihre Gesundheit für angemessen halten, welche der Sinnenlust fröhnen und, in der Kotlache der Fleischeslust versunken, unaufhörlich nach Beischlaf lechzen.

Es braucht uns auch nicht zu stören, wenn wir sehen. dass die Anhänger dieser Lebensweise selten sind, weil ebenso wie die guten und treuen Freunde, so auch die Reinen und Enthaltsamen selten sind und die Kraft überhaupt selten ist. Lies von der Enthaltsamkeit des Fabricius, von der Armut des Kurius, und du wirst in einer so großen Stadt kaum nur einige wenige finden, denen du nachfolgen kannst.

Fürchte dich nur ja nicht, - dass, wenn du kein Fleisch issest, die Vogelfänger und Jäger vergeblich ihr Handwerk gelernt haben.

Von Horaz bis Philon

Wir lesen von Menschen die, an Gelenkrheuma und Podagra leidend, dadurch gesund geworden sind, dass sie die gutbürgerliche Küche abgelegt und zu einem einfachen Tisch und zu den Speisen der Armen zurückgekehrt sind. Sie haben sich nämlich von der Sorge, ihr Haus zu repräsentieren, freigemacht, indem sie Abschied nahmen von übervollen Tafeln, die Körper und Seele zugleich aufreiben.

Horaz spottet über die Essgier, die, einmal befriedigt, nur Reue hinter sich lässt: "Fliehe die Lust, die, mit Schmerzen erkauft, nur Schaden dir einträgt - sperne voluptates, nocet empta dolore voluptas."
Horaz macht sich mit beißender Verhöhnung lustig über vergnügungslustige Menschen, die er wie ein dickes, fettes Schwein beschreibt: me pinguem et nitidum bene curata cute vises, quum ridere voles Epicuri de grege porcum.
Schmeerbauch und Vollmondgesicht zeigt meine feiste Gestalt dir, wenn zum lustigen Spaß mich, Schwein Epikurs, du dir anschaust.
Aber auch bei den gewöhnlichen Speisen muss man die Übersättigung vermeiden. Denn nichts stumpft so den Geist ab wie ein voller und stöhnender Bauch, der sich hin und herwälzt und nach oben und unten sich Luft macht - et in ructus et in crepitus ventorum efflatione respirans.

Was ist das für ein Fasten, wenn uns noch der Magen spannt von dem Schmaus des Tages zuvor und unsere Gurgel bloß für den Abtritt bedacht ist, und wenn wir, um den Ruhm längerer Enthaltsamkeit zu erhaschen, so viel verschlingen, als man kaum in der Nacht des darauf folgendes Tages verdauen kann? Das ist doch kein Fasten, sondern Rausch und eine stinkende und Beschwerden verursachende Verdauung.

Dikäarch erzählt in seiner Beschreibung Griechenlands: "Unter Saturn, das heißt im goldenen Zeitalter, da der Erdboden alles reichlich von selber spendete, habe niemand Fleisch gegessen, sondern alle frugibus et pomis - von Früchten lebten, die das Land ohne Anbau hervorbrachte.

Dikäarch war ein Peripatetiker. Geboren vor 340 v.Chr. in Messene (Sizilien) In der "Kulturgeschichte Griechenlands" schilderte er den stufenweisen Abfall, und in den Zeitaltern der Erde beschrieb er die Kugelgestalt der Erde. In den 3 Büchern "über die Seele" beschreibt er die Preisgabe des Unsterblichkeitsglaubens. Seine Schriften sind verloren. Einiges zitiert noch Varro, dem die Rettung des Pytagoreismus auch zu verdanken ist.

In der Biographie von Cyrus behauptet Xenophon, dass die Perser von Gerstengraupe, Kresse, Salz und hausgebackenem Brot lebten.

Über die Einfachheit des Tisches der Lacedämonier haben Xenophon, Theophrast und fast alle Schriftsteller Griechenlands Zeugnis abgelegt. Chäremon (der seit 49 Lehrer Nerons war), ein sehr beredter Stoiker, erzählt, dass die alten ägyptischen Priester die Weltsorgen beseitigten, im Museion lebten, die Natur der Dinge, die Ursachen und die gegenseitigen Wirkungen des Sternenlaufes beobachtet hätten; dass sie von der Zeit an, wo sie sich dem göttlichen Dienst zu widmen begonnen hätten, von Fleisch und Wein sich stets enthalten hätten und zwar zur Erlangung feiner Sinne und der Beweglichkeit des Denkens. Brot aßen sie selten, um den Magen nicht zu beschweren. Und wenn sie aßen, nahmen sie in der Speise einen Hysopstengel, um schwerere Speisen durch dessen Hitze besser zu verdauen. Öl kannten sie bloß im Gemüse, aber auch nur wenig, um den Überdruss und den rauhen Geschmack zu mildern. Was soll ich sagen, spricht er, von dem Geflügel, da sie auch das Ei und die Milch als Fleischspeisen vermieden? Das eine nannten sie flüssiges Fleisch, das Andere Blut mit veränderter Farbe.
Quid loquar,inquit,de volatilibus"cum ovum quoque pro carnibus vitaverint et lac? Quorum alterum carnes liquidas, alterum sanguinem esse dicebant colore mutato.

Die ägyptischen Priester wussten offensichtlich noch, was heute wieder entdeckt wird: "Bevor man Fleisch essen kann, muss ein Tier getötet werden. Das wissen wir alle. Nicht jedem hingegen ist bewusst, dass die so harmlos benannten 'Produkte vom lebenden Tier' stets von Todeskandidaten stammen. Die Hinrichtung, die im erstgenanten Fall vorausgeht, folgt hier - über kurz oder lang nach. Keines der für unsere Ernährung gezüchteten Tiere hat im Regelfall eine auch nur annähernd normale Lebensdauer - von Lebensqualität oft gar nicht zu reden."(K.H. Höppl. im Artikel: "Ohne Schlachthaus keine Butter", S. Bibliogr.

Ihr Lager war aus Palmenblättern, ein aufwärts steigendes und auf einer Seite schräges Bänkchen legten sie auf der Erde als Kissen unter ihr Haupt. Sie aßen nur alle zwei oder drei Tage (wie später die Therapeuten Ägyptens nach Philon).
Essener Josephus im zweiten Buch über den jüdischen Krieg, im achtzehnten der Antiquitäten und in den zwei Büchern gegen Appion beschreibt die drei Religionsgruppen der Juden - die Pharisäer, Saduzäer und Essener. Die letzteren hebt er außerordentlich hervor, weil sie sich von Frauen, Wein und Fleisch ganz enthielten, und tägliches Fasten ihnen zur anderen Natur geworden sei.
Über ihre Lebensweise hat auch Philon, ein sehr Gelehrter Mann, ein eigenes Werk geschrieben ("Vom beschaulichen Leben").

Neanthes aus Cycikum, Asklepiades aus Cypern schreiben: zur Zeit, als Pygmaleon im Orient herrschte, habe man kein Fleisch gegessen.
Auch Eubulus, der die Geschichte des Mithras in vielen Büchern erörtert hat, erzählt: es gäbe bei den Persern dreierlei Magier: die ersten sind sehr gebildet und beredt - sie äßen keine Speise mit Ausnahme von Mehl und Gemüse.
Bei eleusinischen Mysterien ist es ein feierlicher gottesdienstlicher Gebrauch, sich auch des Geflügels, der Fische und einiger Arten der Früchte zu enthalten.
Bardesanes, ein Babylonier, teilt die Gymnosophisten bei den Indern nach zweierlei Religionssätzen ein. Die einen nennt er Brahmanen, die anderen Samanäer. Diese üben eine große Enthaltsamkeit aus: sie essen nur von den Äpfeln der Bäume am Ganges oder von dem ihnen öffentlich angebotenem Reis oder Mehl. Wenn der König zu ihnen kommt, betet er sie öffentlich an, und glaubt, der Friede seines Landes hänge von ihrem Gebet ab.
Euripides erzählt, die Propheten des kretischen Jupiter hätten sich nicht allein des Fleisches, sondern auch gekochter Speisen enthalten.
Xenokrates, ein Philosoph, schreibt über die Gesetze von Triptolemos bei den Athenern, dass nur drei, Gebote im eleusinischen Tempel vorhanden gewesen (besser, ursprünglich: worden) seien: die Eltern zu ehren, die Götter anzubeten und kein Fleisch zu essen - honorandos parentes, venerandos deos, carnibus non vescendum.

wir wissen aus anderen Quellen, dass jenes Gesetz Triptolemos bei den Athenern, meinte :
die Götter nur unblutig zu ehren

Orpheus verabscheut in seinen Gedichten den Genuss des Fleisches. Ich könnte, so Hieronymus, die Enthaltsamkeit von Pythagoras, Sokrates, Antisthenes und der Übrigen zu unserer eigenen Beschämung anführen, wenn es nicht zu weit führte und ein eigenes ganzes Werk dazu erforderlich wäre.

Da ist Antisthenes, der berühmte Lehrer der Rhetorik. Er hat den Sokrates gehört, der (urpsrünglich: und doch) seinen Schülern gesagt haben soll: "Geht und sucht euch einen Meister, ich habe schon einen gefunden". Nachdem er all seinen Besitz verkauft und öffentlich verteilt, behielt er sich nichts anderes als seinen Mantel. Seine Armut und sein arbeitsames Leben bezeugen auch Xenophon im Gastmahl und seine unzähligen Bücher, die teils philosophischen, teils rhetorischen Inhalts sind.

Sein berühmtester Anhänger war jener Diogenes, der, mächtiger als der König Alexander, selbst die menschliche Natur besiegt hatte.

Hieronymus beschreibt dann das genügsame Leben und den bescheidenen Tod von Diogenes, um zu mahnen: "Ich habe bloß das Beispiel eines Philosophen angeführt, damit unsere eingebildeten Pinsel und eitlen Fatzkes, die kaum mit den Fußspitzen eine Spur ihres Schrittes in den Boden eindrücken, die ihre Worte in den Fäusten und ihre syllogistischen Beweisgründe in ihren Fersen sitzen haben, und Armut der Apostel und die Härte des Kreuzes entweder nicht kennen oder verachten, wenigstens die Enthaltsamkeit der Völker nachahmen.