FRANZ SUSMAN - KIRCHENHISTORIKER
"Und die Erde wird neu erblühen"



Vom Geist des Mahatma
ein Gandhi-Brevier



Lizenzausgabe für den Bertelsmann Lesering

Ein Wegweiser zur Gesundheit - Gesundheit als Lebensaufgabe

Gandhi war nicht so sehr ein politischer als ein Reformer. Als solcher hat er zeitlebens dem Problem Gesundheit zentrale Bedeutung beigemessen und ihm viel Nachdenken und praktisch-experimentierende Bemühung zugewendet. Es handelte sich für ihn dabei um weit mehr als um die Frage der körperlichen Leistungsfähigkeit. Der Grundsatz "Mens sana in corpore sano", im Westen allzu oft in Richtung auf die "efficiency" verengt, besaß für ihn noch den vollen Sinn einer das Physische und Geistige zugleich umspannenden Einheit des Menschseins. Und da seine Vorstellung vom Menschen durch die religiöse Tradition des Hinduismus unauslöschlich geprägt blieb, war die Frage der Gesundheit für ihn zuletzt weniger eine physiologische als eine ethisch-religiöse Angelegenheit. Man wird den Regeln, die dieser unfanatische Asket über "self-restraint" aufstellte und an sich selbst und seinen Folgern ständig neu erprobte, nicht gerecht, wenn man sie psychologisch zu deuten und auf "Frustrationen" und seelische "Traumen" der Jugendzeit zurückzuführen sucht. Sie sind zuletzt nur aus dem Vollkommenheits-Ideal des spirituellen Menschen, des "Sannyasi", zu erklären und unablösbar von ihrem religiösen Wurzelgrund.

Das heißt nun freilich keineswegs, dass sich ihr Wert und ihr Interesse auf ihren hinduistischen Ursprungsbereich beschränkten. Die Konkretheit von Gandhis sanitärer Theorie und Praxis, die mit der größten Unbefangenheit ihn auch die elementarsten Einzelheiten der Gesundheitspflege gelassener Aufmerksamkeit für wert erachten lässt, bewahrte ihn vor aller Verstiegenheit bloßer spiritueller Forderungen. Alles, was er je zu diesem Thema geäußert hat, bezeugt, dass dieser (nach Churchills verständnislosem Hohnwort) "halbnackte Fakir" - kein weltflüchtiger Höhlenbewohner war, sondern mitten im Leben stand - ein Mann, dem nichts Menschliches fremd war und der, bei aller Strenge seiner Ansprüche an Selbstzucht und Disziplin, doch realistisch die Grenzen seiner Möglichkeiten erkannte. Dies und die rückhaltlose Ehrlichkeit, womit er seine Gesundheitslehre nicht nur predigte, sondern darlebte, gibt dem, was er zu sagen hat ungemeine Autorität.

Dem "Wegweiser zur Gesundheit", worin Gandhi 1921 unter vollpädagogischen Gesichtspunkten seine damaligen Einsichten zusammenfasste, entstammt ein großer Teil der Zitate dieses Kapitels. Sie wurden ergänzt durch Äußerungen aus verschiedenen Lebenszeiten des Mahatma, die davon zeugen, dass mit den Jahren der religiöse Aspekt seiner Gesundheitslehre immer bestimmter die Oberhand gewann gegenüber dem zeitweilig mit Vorrang betonten rationalistischen. Sein letztes Wort war auch hier: selbstlose Ergebung in Gott.

Was ist Gesundheit?

Gewöhnlich wird ein Mensch für gesund angesehen, wenn er sich eines guten Appetits erfreut, munter herumgeht und keinen Arzt braucht. Aber ein bisschen Überlegung wird uns von der Unhaltbarkeit dieser Auffassung überzeugen. Es gibt viele Menschen, die einen guten Appetit haben, munter herumgehen und dennoch krank sind. Sie bilden sich ein, gesund zu sein, aus dem einfachen Grund, weil sie zu bequem sind, um über den Gegenstand nachzudenken.

In Tat und Wahrheit gibt es auf der ganzen weiten Welt überhaupt keinen völlig gesunden Menschen.

Man hat sehr richtig gesagt, dass nur der Mensch als gänzlich gesund betrachtet werden könne, der einen gesunden Geist in einem gesunden Körper habe. Die Beziehungen zwischen dem Geist und dem Körper sind so intim, dass, wenn ein Teil erkrankt, auch der andere darunter leidet. Kein Mann, dessen Charakter nicht rein ist, kann als wirklich gesund angesehen werden. Der Körper, der einen kranken Geist birgt, muss notwendig auch krank sein. Daraus folgt, dass ein reiner Charakter im eigentlichen Sinn des Wortes das Fundament der Gesundheit ist, und wir können sagen, dass alle bösen Gedanken und Leidenschaften nur verschiedene Krankheitsformen sind. So betrachtet, dürfen wir schließen, dass nur der Mensch völlig gesund ist, dessen Körper wohlgeformt ist, dessen Augen und Ohren in gutem Zustande sind, dessen Nase
rein ist von Schmutz, dessen Haut frei ausdünstet, ohne übel zu riechen, dessen Mund ebenfalls rein ist von üblen Gerüchen, dessen Arme und Hände getreu ihren Dienst tun, der weder zu fett noch zu mager ist, und der seinen Geist und seine Sinne ständig unter Kontrolle hat.

Ein völlig gesunder Mensch braucht sich nicht vor dem Tod zu fürchten. Unsere entsetzliche Angst vor dem Tode zeigt, dass wir weit entfernt sind, gesund zu sein. Wir alle aber haben die feste Pflicht, nach einer vollendeten Gesundheit zu streben. Wir wollen daher auf den folgenden Seiten untersuchen, wie sich eine solche Gesundheit erzielen lässt und wie sie, einmal erworben, für immer bewahrt werden kann.

Luft

Von den drei Dingen, die für die Existenz eines Menschen unentbehrlich sind, nämlich Luft, Wasser und Speise, ist die erste das wichtigste. Damit sie allen Menschen ohne Entgelt zugänglich sei, hat Gott sie in so großer Menge erschaffen. Die moderne Zivilisation freilich hat den Genuss frischer Luft etwas kostspieliger gestaltet, denn wenn wir heute frische Luft atmen wollen, müssen wir aus den Städten hinausgehen. Das aber ist mit Kosten verbunden.

Ob nun die frische Luft umsonst zu haben ist oder nicht, eines ist sicher, dass wir ohne frische Luft nicht leben können. Wir wissen, dass das Blut durch den ganzen Körper zirkuliert, in die Lunge zurückkehrt und nach seiner Reinigung den Kreislauf von neuem antritt. Wir stoßen im Ausatmen die durch die Reinigung des Blutes verunreinigte Luft aus und nehmen beim Einatmen wieder Sauerstoff auf, der das Blut reinigt. Dieser Prozess des Ein- und Ausatmens geht unaufhörlich vor sich, und von ihm hängt das Leben des Menschen ab.

Wir sollten vor dem Einatmen von unreiner Luft ebenso sehr zurückschrecken, wie vor dem Trinken unreinen Wassers oder vor dem Essen unreiner Speisen. Im Allgemeinen aber ist die Luft, die wir einatmen, noch mehr verunreinigt als das Wasser, das wir trinken, oder die Speise, die wir essen. Wir sind alle Anbeter des Konkreten. Was wir sehen oder betasten können, halten wir für weit wichtiger als die unsichtbaren und nicht betastbaren Dinge. Da die Luft zu den zweiten gehört, werden wir uns des Schadens nicht bewusst, den wir uns durch das Einatmen von unreiner Luft zufügen. Wie wenige von uns sind sich dessen bewusst, dass die von uns eingeatmete Luft von anderen ausgeatmet worden und daher unrein und giftig ist und sicher nicht weniger ekelhaft als Speise, die erbrochen wurde. Wie seltsam ist es, dass Menschen in geschlossenen Räumen während Stunden zusammensitzen und schlafen und die von ihnen und den Gefährten ausgeatmete tödliche Luft wieder einatmen. Zum Glück ist die Luft leicht und diffus und vermag daher durch die kleinsten Ritzen zu dringen. Auch wo Fenster und Türen geschlossen sind, ist im allgemeinen zwischen den Wänden und dem Dach ein kleiner Zwischenraum vorhanden, durch welchen etwas Luft aus ein dem Freien eindringen kann, so dass die Bewohner des Raumes nicht ausschließlich vergiftete Luft einatmen müssen.

Jetzt verstehen wir, warum so viele Männer und Frauen schwach und krank sind. Es besteht kein Zweifel, dass unreine Luft in neunundneunzig von hundert Fällen der Grund der Erkrankung ist. Es folgt daraus, dass man Erkrankungen am besten vermeidet, wenn man im Freien lebt und arbeitet. Kein Arzt kann es mit der frischen Luft aufnehmen. Auszehrung wird durch den Verfall der Lunge verursacht, dieser aber durch das Einatmen unreiner Luft. Daher sagen die Ärzte, die erfolgreichste Behandlung der Lungenschwindsucht bestehe darin, den Patienten während sämtlicher vierundzwanzig Stunden des Tages der freien Luft auszusetzen.

Wir müssen uns bewusst sein, dass die Luft nicht bloß vermittels der Lunge in unseren Körper gelangt. Ein Teil davon dringt durch die winzigen Öffnungen in der Haut, die wir Poren nennen.

Es ist natürlich wichtig zu wissen, wie die Luft rein erhalten werden kann. Eigentlich sollte jedes Kind, sobald es anfängt zu begreifen, über den Wert der frischen Luft belehrt werden. Wenn sich meine Leser die Mühe nehmen wollen, zu beherzigen, was ich da über die Luft ausführe, das Gelernte dann anzuwenden und zugleich ihren Kindern beizubringen, wäre ich ihnen über die Massen dankbar.

Es gibt nur wenige Leute, die richtig atmen. Viele Leute haben die üble Gewohnheit, durch den Mund zu atmen. Atmen wir bei sehr kaltem Wetter durch den Mund, so bekommen wir den Schnupfen oder ziehen uns eine Halsentzündung zu. Ferner dringen bei dieser Art des Atmens Staubpartikel in die Lunge und richten dort großen Schaden an. Die von uns durch die Nase eingeatmete Luft wird gesiebt und bei diesem Prozess zugleich erwärmt. Daher sollte jedermann lernen, durch die Nase zu atmen, was durchaus nicht schwer ist. Wir brauchen weiter nichts zu tun, als den Mund geschlossen zu halten, ausgenommen wenn wir sprechen. Wer gewohnt ist durch den Mund zu atmen, sollte ihn abends beim Zubettgehen mit einem Tuch zubinden, wodurch er sich zwingen würde, durch die Nase zu atmen. Ferner sollte er täglich, morgens und abends, im Freien je ungefähr zwanzig tiefe Atemzüge tun. Wer dies befolgt, wird erstaunt sein über die rasche Weitung und Kräftigung seiner Brust. Bei diesen Übungen nämlich muss man rasch und tief atmen, und dies führt zu einer Ausdehnung des Brustkorbes.

Nachdem wir atmen gelernt haben, sollten wir uns zur Gewohnheit machen, tagein, tagaus nur frische Luft einzuatmen. Wir haben im Allgemeinen die höchst verwerfliche Gepflogenheit, dass wir uns den ganzen Tag über im Hause oder im Geschäft einschließen und nachts in engen Räumen bei verschlossenen Türen und Fenstern schlafen. Wir sollten so weit wie immer nur möglich im Freien leben. Ist dies unmöglich, dann sollten wenigstens die Fenster und Türen offen gehalten werden.

Bemühen wir uns, die Luft rein zu erhalten und nur frische Luft einzuatmen, dann bewahren wir uns vor mancher schlimmen Krankheit.
Nicht minder wichtig ist, dass wir mit unbedecktem Gesichte schlafen. Wer an Erkältungen leidet, mag den Kopf in ein Tuch einwickeln oder eine Nachtmütze aufsetzen, die Nase aber sollte unter allen Umständen frei bleiben.
Luft und Licht sind so eng miteinander verbunden, dass es sich empfiehlt, ein paar Worte über den Wert des Lichtes zu sagen. Das Licht ist genau so lebensnotwendig wie die Luft. Darum wird auch die Hölle als völlig dunkel dargestellt. Wo das Licht nicht hinkommt, da kann auch die Luft nicht rein sein.

Wasser

Es ist bereits bemerkt worden, dass die Luft das lebensnotwendigste Element ist, das Wasser aber gleich an zweiter Stelle kommt. Ohne Luft kann der Mensch nicht länger als ein paar Minuten leben, während er es ohne Wasser immerhin einige Tage lang aushalten kann. Mit Wasser allein aber und ohne alle andere Nahrung kann sein Leben mehrere Wochen lang fristen. Unsere Nahrungsmittel enthalten mehr als 70 Prozent Wasser, und dasselbe gilt vom menschlichen Körper. Obwohl das Wasser derart unentbehrlich ist, bemühen wir uns nicht im Geringsten, es rein zu erhalten. Epidemien sind ebenso sehr das Produkt unserer Gleichgültigkeit gegenüber der Beschaffenheit des Wassers, das wir trinken, wie gegenüber der Beschaffenheit der Luft die wir atmen. Der Genuss von unreinem Wasser führt sehr oft zu Steinleiden. Wasser ist unrein, entweder weil wir es an einem schmutzigen Ort geholt oder weil wir es selber verunreinigt haben. Wasser, das an einer schmutzigen Stelle entspringt, sollten wir überhaupt nicht trinken. Die Oberläufe der Flüsse sollten für Trinkzwecke, die unteren Teile zum Baden und Waschen bestimmt werden. Wo eine solche Ordnung nicht vorhanden ist, sollten wir das Trinkwasser einer in den Sand gegrabenen Grube entnehmen.

Dieses Wasser ist sehr rein, da es bei seinem Lauf durch den Sand filtriert worden ist. Im Allgemeinen ist es gefährlich, Zisternenwasser zu trinken.

Das Wasser, das in Behältern aufbewahrt wird, ist ebenfalls sehr oft unrein. Soll es rein bleiben, dann müssen wir den Behälter häufig waschen und stets zugedeckt halten. Wir sollten auch darauf sehen, dass sich der Behälter oder Brunnen, dem wir das Wasser entnehmen, in gutem Zustande befindet. Am besten lässt sich der im Wasser enthaltene Schmutz dadurch beseitigen, dass man das Wasser siedet und dann, wenn es sich abgekühlt hat, durch ein dickes sauberes Tuch hindurch in ein anderes Gefäß umgießt.
Das reinste Wasser ist natürlich das Regenwasser, aber auch dieses wird im Allgemeinen verunreinigt, noch bevor es uns erreicht, indem es die in der Atmosphäre schwebenden Stoffe aufnimmt. Völlig reines Wasser wirkt sehr günstig auf unsern Organismus ein. Daher verabreichen die Ärzte den Patienten destilliertes Wasser. Wer an Verstopfung leidet, wird destilliertes Wasser mit merklichem Erfolg trinken.

Man soll nur Wasser trinken, wenn man durstig ist, und auch dann nicht mehr, als nötig ist, um den Durst zu löschen. Der Genuss von Wasser während oder unmittelbar nach den Mahlzeiten ist nicht schädlich. Natürlich sollen wir die Speisen nie mit Wasser hinunterschwemmen. Wollen sie nicht von selber hinuntergehen, dann bedeutet das, dass die Nahrung nicht recht gekaut ist, oder dass der Magen sie nicht benötigt.
Gewöhnlich haben wir keinen Durst und sollen auch keinen haben. Die gebräuchlichen Nahrungsmittel ent-halten einen großen Prozentsatz Wasser, und weiteres Wasser wird ihnen beim Kochen zugefügt. Warum sollten wir uns denn durstig fühlen? Wer nicht Zwiebeln und andere den Durst künstlich reizende Dinge isst, wird selten Wasser trinken müssen. Durst der sich nicht erklären lässt, muss von irgendeinem geheimen Leiden herstammen.

Nahrung

Hier seine Gedanken: (wirklich einfügen? Und wenn, dann mit dem Namen des Denkers) Um Nahrung zu kommen, nehmen wir viel Mühsal und Entbehrungen auf uns. 99,9 Prozent aller Männer und Frauen der Erde essen lediglich, um die Gelüste des Gaumens zu befriedigen. Sie denken beim Essen nicht an die üblen Folgen dieser verwerflichen Gewohnheit. Viele Leute verschlucken abführende und die Verdauung befördernde Pillen und Pulver, um so ganz nach Herzenslust essen zu können.

Wenn ich an meine früheren Jahre denke, reizt mich wohl manches zum Lachen, über vieles muss ich mich schämen. Damals pflegte ich am Morgen zunächst Tee zu trinken, zwei Stunden später folgte das Frühstück, um ein Uhr das Mittagessen, um drei Uhr wiederum Tee, und zwischen sechs und sieben das Nachtessen. Mein Zustand' war dabei kläglich. Mein Körper war mit überflüssigem Fett beladen, und immer hatte ich Arzneiflaschen zur Hand. Um möglichst viel essen zu können, griff ich zu abführenden und stimulierenden Mitteln. Obwohl ich damals in der Blüte meiner Jugend stand, besaß ich nicht ein Drittel meiner heutigen Arbeitskraft. Eine solche Existenz muss als erbärmlich, ja als gemein, sündhaft und verachtungswürdig bezeichnet werden.

Der Mensch ist nicht geboren, um zu essen. Seine wahre Bestimmung ist, den Herrn zu erkennen und ihm zu dienen. Auch ein Materialist wird zugeben müssen, dass wir nur essen sollten, um gesund zu bleiben, und nicht mehr als für diesen Zweck nötig ist. Die Tiere, die ein freies Leben führen, verhungern nie. Sie scheiden sich nicht in Reiche und Arme - solche, die mehrmals am Tag essen, und solche, die nicht einmal eine einzige Mahlzeit erhalten.

Ruhiges Nachdenken wird zeigen, dass Sünden wie Lügen, Stehlen und Betrügen ihren Ursprung in unserer Unterwerfung unter den Gaumen haben. Wer seinen Gaumen beherrscht, wird seiner übrigen Sinne mit Leichtigkeit Herr werden. Wer lügt, stiehlt oder einen Ehebruch begeht, wird von der Gesellschaft verachtet. Merkwürdigerweise aber haftet dem kein Makel an, der Sklave seines Gaumens ist. Als ob es sich hier überhaupt nicht um eine moralische Frage handelte!

Das Schlimmste aber ist, dass wir auf unsere Laster stolz sind. Bei Festlichkeiten betrachten wir es als unsere heilige Pflicht, dem Gaumen zu huldigen. Unterlassen wir es, die Freunde, die wir einladen, mit üppigen Speisen zu füllen, so kommen wir in den Ruf der Schäbigkeit. Während der Festtage müssen wir natürlich ganz besonders reiches Essen haben. Als Weisheit gilt uns, was in Wirklichkeit Sünde ist.
Bevor wir die Frage nach der idealen Ernährung beantworten, haben wir zu erwägen, welche Speisen gesundheitsschädlich sind und daher gemieden werden sollten. Unter dem Begriff "Nahrung" verstehen wir alle die Dinge, die durch den Mund dem Magen zugeführt werden.

Betrachten wir den Bau des menschlichen Körpers, dann kommen wir zum Schluss, dass, die Natur den Menschen bestimmt hat, vegetarisch zu leben. Die Wissenschaft hat den Beweis erbracht, dass Früchte alle Elemente enthalten, die für die Ernährung des Menschen nötig sind. Früchte sind jene Produkte der Natur, die Fleisch und Samen enthalten. Fleisch ist Nahrung, Samen dienen der Fortpflanzung. Wenn man bessere Früchte isst, streut man bessere Pflanzensorten aus.

Die Banane, die Orange, die Dattel, die Traube, der Apfel, die Mandel, die Walnuss, die Erdnuss, die Kokosnuss alle diese Flüchte enthalten einen großen Prozentsatz von Nährstoffen. Die Wissenschaftler vertreten dann die Ansicht, der Mensch brauche seine Nahrung nicht zu kochen. Er kann genau wie alle Tiere sehr wohl von Nahrung leben, die von der Sonnenwärme gekocht worden ist. Gerade beim Kochen werden die nahrhaftesten Stoffe zerstört. Was nicht roh gegessen werden kann, ist von der Natur dem Menschen nicht als Nahrung bestimmt.
Die vielen Stunden, die wir heute für das Kochen verwenden, sind vergeudete Zeit. Lässt sich von unge-kochter Nahrung allein leben, dann sparen wir Zeit, Energie und Geld.

Gewisse Leute werden ohne Zweifel einwenden, es sei ebenso nutzlos wie töricht, die Möglichkeit ins Auge zu fassen, dass der Mensch zur ungekochten Nahrung übergehen werde. Aber wir erwägen hier nicht, was der Mensch tun oder nicht tun wird, sondern lediglich, was er tun sollte. Erst wenn wir wissen, was die ideale Nahrung ist, können wir uns dem Ideal nähern.

Wenn wir sagen, dass die Fruchtnahrung die beste sei, dann erwarten wir damit nicht, dass jedermann sofort zu dieser Ernährungsweise übergehe. Wer es aber tut, wird viel gewinnen.
Es mag nicht unangebracht sein, in diesem Zusammenhang von meinen eigenen Erfahrungen zu berichten. (Besser: In diesem Zusammenhang möchte ich hier von meinen eigenen Erfahrungen berichten)

Während der letzten Monate habe ich nur von Früchten gelebt, und auch auf frische und geronnene Milch verzichtet. Meine Diät besteht gegenwärtig aus Bananen, Erdnüssen, Datteln, Olivenöl und etwas saurer Frucht (z. B. Limetten). Ich kann (besser: will) nicht behaupten, dass mein Experiment ganz erfolgreich war, denn eine Zeitspanne von sechs Monaten ist zu kurz, um zu bestimmten Schlüssen kommen zu können. Das aber darf ich sagen, dass ich selber, während andere Leute von Krankheiten heimgesucht wurden, gesund blieb, und meine physischen wie geistigen Kräfte heute größer sind als zuvor. Ich bin zwar nicht imstande, schwere Lasten zu heben, aber ich verrichte nun körperliche Arbeit mit mehr Ausdauer als früher und ohne Müdigkeitserscheinungen. Auch geistig arbeite ich mehr und zudem mit größerer Entschiedenheit und Beharrlichkeit (als früher). Ich habe die Fruchtnahrung vielen schwächlichen Leuten empfohlen, und stets mit bestem Erfolg.

Nach der Früchtediät ist die vegetarische, rein pflanzliche, die beste

Ich verstehe darunter alle Arten von Küchenkräutern und Zerealien wie auch Milch. Gemüse sind nicht so nahrhaft wie Früchte, da ein Teil ihrer Kraft beim Kochen verloren geht. Ungekocht aber sind Gemüse ungenießbar. (Die Gemüse in Indien schon. Das habe ich selbst erlebt. Hier aber nicht!) Wir wollen nun im folgenden untersuchen, welche Gemüse für uns die besten sind.

Weizen ist die beste Getreideart. (Anmerkung: Das mag für Indien stimmen. Aber bei uns ist Weizen inzwischen so stark mutiert, dass wir ihn nicht mehr gut verwenden können, ohne Schaden zu nehmen. Besser: Dinkel, Hafer, Amaranth, Quinoja) Wir können von Weizen allein leben, denn er enthält sämtliche für die Ernährung notwendigen Stoffe im richtigen Verhältnis. Aus Weizen lassen sich ganz verschiedene Nahrungsmittel herstellen, die alle leicht verdaulich sind.

Das beste Mehl ist dasjenige, das wir in unseren Handmühlen zu Hause aus gut gesiebtem Weizen gewin-nen. Dieses Mehl sollte ohne weitere Siebung verwendet werden. Die daraus gebackenen Brote sind schmackhaft und bleiben lange frisch. Mehl dieser Art ist zugleich ökonomischer, da es viel nahrhafter und somit ausgiebiger ist.
Die andere und leichter herzustellende Weizenspeise ist die folgende: Weizen wird in grobes Schrot zer-mahlen, dieses hierauf gut gekocht und mit Milch und Zucker vermischt. Das gibt ein ebenso schmackhaftes wie gesundes Gericht.

Reis ist als Nahrungsmittel völlig wertlos. Es ist fraglich, ob wir unter Ausschaltung von so nahrhaften Zutaten wie Dhall (eine Erbsenart), Ghi (Butterschmalz) und Milch von Reis allein leben könnten. Von Weizen lässt sich das nicht sagen (besser: von Weizen lässt sich das schon sagen). Auch wer nur von in Wasser gesottenem Weizen lebt, kann sich bei Kräften erhalten.

Die Küchenkräuter werden hauptsächlich ihres Geschmackes wegen gegessen. Sie wirken abführend und helfen somit bis zu einem gewissen Grad das Blut zu reinigen. Im Grunde haben wir in ihnen nur gewisse Spielarten von Gräsern, die sehr schwer verdaulich sind. Wir können nicht zuviel davon essen, ohne dass unsere Eingeweide schlaff werden, unsere Verdauung mangelhaft, wonach wir zu Pillen und Pulvern greifen müssen. Wollen wir überhaupt davon essen, so soll es mit Maß geschehen. Sämtliche Arten von Hülsenfrüchten sind schwer verdaulich. Sie haben den Vorzug, auf lange Zeit hinaus zu sättigen, doch bewirken sie in den meisten Fällen Verdauungsstörungen, Wer schwere körperliche Arbeit verrichtet, wird sie verdauen und so einigermaßen ausnutzen. Wir aber, die wir eine sitzende Lebensweise führen, sollen Hülsenfrüchte nur selten essen.

In Indien werden Gewürze so reichlich verwendet wie sonst nirgends in der Welt. Wie erklärt es sich, dass wir in Indien soviel Masala (indische Gewürzmischung) essen? Um die Verdauung zu befördern und uns dadurch zu ermöglichen, recht viel zu essen. Pfeffer, gewöhnlicher und roter, Kümmel, Koriander und andere Gewürze fördern den Verdauungsprozess und schaffen künstlichen Hunger. Aber es wäre unrichtig, wenn man daraus schließen wollte, dass sämtliche Nahrung völlig verdaut und ins Blut übergegangen sei. Wer zuviel Masala isst, läuft Gefahr, blutarm zu werden und an Diarrhöe zu erkranken. Ich kenne einen Mann, der im schönsten Alter starb, weil er zuviel Pfeffer genossen hatte. Es ist also notwendig, alle Gewürze zu vermeiden.
Was von Masala gesagt worden ist, gilt auch für das Salz. Da unsere Gemüse bereits Salz genug enthalten, ist es unnötig, ihm noch besonders Salz beizufügen. Die Natur liefert soviel Salz, wie für die Erhaltung der Gesundheit notwendig ist. Das Salz, das wir den Speisen zufügen, ist völlig überflüssig.

Ich weiß aus Erfahrung, dass bei verschiedenen Erkrankungen, wie zum Beispiel Hämorrhoiden und Asthma, der Verzicht auf Salz dem Patienten sofort große Erleichterung bringt. Anderseits ist mir kein einziger Fall bekannt, dass jemandem der Verzicht auf das Salz übel bekommen wäre. Ich selber habe seit zwei Jahren auf den Salzgenuss verzichtet, und nicht nur habe ich darunter nicht gelitten, sondern es hat mir in mehr als einer Beziehung gut getan. Ich brauche nun nicht mehr soviel Wasser zu trinken und fühle mich frischer und energetischer. Wer das Salz völlig aufgibt, befindet sich selbstverständlich während einiger Tage unpässlich, bleibt er dabei aber guten Mutes und unverzagt, so wird er auf die Dauer von dem neuen Regime ganz gewaltig profitieren.

Die allgemeine Wertschätzung der Milch als eines wichtigen Nahrungsmittels beruht auf einem Aber-glauben. Die in der Luft lebenden Krankheitsträger dringen im Augenblick, (wo sie das Euter verlässt, und Kontakt mit der Luft hat,) in die Milch ein und vergiften sie, so dass es sehr schwer fällt, Milch völlig rein zu erhalten. In Südafrika zum Beispiel sind für die Molkereien sehr weitläufige Vorschriften ausgearbeitet worden, die sagen, wie die Milch gekocht und kondensiert werden soll, wie die Gefäße zu reinigen sind usw. Dann ist nicht zu übersehen, dass die Reinheit der Milch von dem Gesundheitszustand der Kuh abhängt und dem Futter, das sie frisst. Wäre es also, da der Genuss von Milch mit soviel Gefahren verbunden ist, nicht klüger, überhaupt auf die Milch zu verzichten, besonders wenn uns ganz ausgezeichnete Ersatzmittel zur Verfügung stehen?

Milch lässt sich bis zu einem gewissen Grad durch Olivenöl ersetzen. Ein ganz vorzüglicher Ersatz aber ist die süße Mandel. Die Mandeln werden eingeweicht, dann von den Schalen befreit, gut zerquetscht und mit Wasser vermengt. Das gibt ein Getränk, das die Vorzüge der Milch hat, ohne mit ihren üblen Eigenschaften behaftet zu sein. Sobald wir Zähne haben, sollten wir lernen, von Früchten, z.B. Äpfeln und Mandeln und von geröstetem (viel besser: eingeweichtem oder gekeimten) Weizen zu leben. Obgleich hir nicht der Ort ist, zu erwägen, wieweit sich durch den Verzicht auf Milch Ersparnisse erzielen lassen, darf doch auf diesen Punkt hingewiesen werden. Auch die aus Milch hergestellten Produkte benötigen wir dann nicht länger. Der saure Saft der Limette ist ein hinreichender Ersatz für Buttermilch, und statt Ghi begnügen sich auch heute schon Tausende mit Öl.

Eine genaue Prüfung des Baues des menschlichen Körpers zeigt, dass Fleisch nicht die natürliche Nahrung des Menschen ist. Fleisch bewirkt den Zerfall der Zähne, führt zu Rheumatismen und erzeugt böse Leidenschaften - Zorn zum Beispiel - die, (wie wir bereits gesehen haben), nur eine Art von Krankheit sind. Es ist sehr bezeichnend, dass einige der besonnensten und kultiviertesten Menschen unter den Fleischessenden Völkern für eine rein pflanzliche Diät eintreten.

Zusammenfassend können wir sagen, dass nur wenige Menschen von Früchten allein leben, dass sich aber sehr gut leben lässt bei einer Ernährungsweise, die Früchte, Weizen und Olivenöl enthält, und dass dadurch die Gesundheit ganz außerordentlich gefördert wird. Die Banane nimmt unter den Früchten entschieden den ersten Rang ein. Aber auch Datteln, Trauben. Pflaumen und Orangen, um nur einige Namen zu nennen, sind sehr nahrhaft und können mit dem gerösteten (eingeweichten oder gekeimten) Weizen kombiniert werden.

Die Verwendung von Olivenöl tut der Schmackhaftigkeit des gerösteten Weizens (eingeweichten oder gekeimten) keinen Abbruch. Diese Diät schaltet Salz, Pfeffer, Milch und Zucker aus und ist ebenso einfach wie billig. Zucker um seiner selbst willen zu essen, ist töricht. Wer zuviel Zuckerzeug isst, verdirbt sich die Zähne und schadet seiner Gesundheit. Aus Weizen und Früchten lassen sich ganz ausgezeichnete Gerichte herstellen, die nicht bloss der Gesundheit zuträglich, sondern auch sehr schmackhaft sind.

Wie viel und wie oft sollen wir essen?

Die meisten Ärzte geben zu, dass neunundneunzig Prozent der Menschen mehr essen als nötig ist. Man braucht keine Angst zu haben, dass die Menschen ihre Gesundheit schädigen, weil sie zu wenig essen. Und nur das eine tut Not, die Menge unserer Nahrung zu verringern.

Wie ich bereits erklärt habe, ist es von großer Wichtigkeit, unsere Speisen gut zu kauen. Nur auf diese Weise sind wir imstande, einem Minimum von Nahrung ein Maximum von Nährstoffen zu entziehen. Erfahrene Leute weisen darauf hin, dass die Fäkalien eines Menschen, der nur bekömmliche Speise in geringer Menge isst, fest, glatt und dunkel sind und ohne allen üblen Geruch. Wessen Fäkalien nicht so beschaffen sind, der hat zuviel gegessen und nicht richtig gekaut. Wer an Schlaflosigkeit leidet, wessen Schlaf durch Träume gestört wird (Anmerkung Regina: Vorsicht: als ich monatelang am reinsten aß, hatte ich die klarsten Träume - Wahrträume - und fast jede Nacht, oft visionär…Die Erfahrung sagt, dass Menschen, die gar nicht träumen - die sich also gar nicht erinnern können, schlechte Nahrung zu sich nehmen oder sonstige "Ungewohnheiten" haben wie z.B. Drogen, zu viel Kaffee, Rauchen…, also besser: wirre Träume) , und wessen Zunge am Morgen beim Aufwachen belegt ist, sollte daraus schließen, dass er zuviel gegessen hat. Muss er in der Nacht wiederholt aufstehen und das Wasser abschlagen (besser: Wasser lassen…), so ist das ein Beweis dafür, dass er zuviel Flüssigkeit zu sich genommen hat. Wer solche und andere Tatsachen beachtet, kann dahin gelangen, die für ihn nötige Nahrungsmenge genau festzustellen. Viele Leute leiden an übelriechendem Atem, was beweist, dass sie nicht richtig verdauen. Überernährung führt sehr oft zu Ausschlägen im Gesicht und zu Blähungen. Die Ursache aller dieser Übel ist darin zu suchen, dass wir, um das Kind beim Namen zu nennen, unseren Magen in eine Latrine verwandelt haben und diese ständig mit uns herumtragen. Wenn wir die Sache ganz nüchtern prüfen, dann können wir nicht anders, als uns selber verachten.

Wer sich das Laster der Völlerei abgewöhnen will, der sollte sich geloben, mit Festen aller Art ein für allemal nichts mehr zu tun haben zu wollen. Natürlich sollen wir unsere Gäste bewirten, aber ohne dabei die Gesetze der Gesundheit zu verletzen.

Fasten

Da auch die besten unter im sich zu überessen pflegen, haben unsere weisen Vorfahren häufiges Fasten als eine religiöse Pflicht vorgeschrieben. Vom gesundheitlichen Standpunkt aus betrachtet ist es äußerst empfehlenswert, alle zwei Wochen mindestens einmal zu fasten. Viele unter den frommen Hindus essen während der Regenperiode nur einmal täglich. Diese Gewohnheit beruht auf wichtigen Einsichten. Wenn die Luft feucht und der Himmel verhängt ist, sind unsere Verdauungsorgane nicht so leistungsfähig wie sonst, daher sollten wir auch weniger Nahrung zu uns nehmen.
Wir wollen nun die Frage prüfen, wie oft wir während des Tages essen sollen.

Ungezählte Tausende von Menschen sind in Indien mit zwei Mahlzeiten zufrieden. Wer körperlich schwer arbeitet, isst dreimal des Tages, aber seitdem die englischen Arzneien eingeführt worden sind, hat man sich vielfach auch an vier Mahlzeiten gewöhnt. Es sind in jüngster Zeit in England wie in Amerika verschiedene Vereinigungen gegründet worden, die für zwei Mahlzeiten im Tag eintreten. Diese Leute verfechten den Standpunkt, dass der Mensch morgens überhaupt nichts essen sollte, da ja der Schlaf den Zweck des Frühstücks erfülle. Statt sich an den Tisch zu setzen, sollte er sich vielmehr an die Arbeit machen und erst frühstücken, nachdem er drei Stunden gearbeitet hat. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass wer das Jünglingsalter hinter Sich hat und ausgewachsen ist, täglich nicht mehr als zweimal zu essen braucht.

Bewegung

Bewegung, genau wie die Nahrung, ist nicht bloß für den Körper, sondern auch für den Geist wesentlich. Üben wir den Geist nicht, dann erschlafft er. Geistesschwäche ist tatsächlich auch eine Art von Krankheit. Die Natur hat es so eingerichtet, dass wir uns gleichzeitig physisch und geistig betätigen können.

Die überwiegende Mehrzahl der Menschen lebt von der Feldarbeit. Der Bauer muss acht bis zehn Stunden strenge körperliche Arbeit verrichten, ja manchmal noch mehr, wenn er essen und sich kleiden will. Er wird aber nur dann erfolgreich arbeiten, wenn sich auch sein Geist in gutem Zustand befindet. Er hat alle die ungezählten Einzelheiten des Feldbaues zu überwachen, er muss die Eigenschaften seines Bodens wie der verschiedenen Jahreszeiten, vielleicht sogar die Bewegungen der Sonne, des Mondes und der Sterne kennen. In diesen Dingen dürfte auch der erfahrenste Mann vom Bauern übertroffen werden. Der Bauer kennt seine unmittelbare Umgebung bis in alle Winkel hinein, er versteht, sich nachts nach den Sternen zu orientieren, und er weiß manches zu erzählen von den Wegen der Vögel und der Tiere. Er weiß zum Beispiel, dass es bald regnen wird, wenn eine gewisse Art von Vögeln sich zusammenschart und lärmt. Er versteht vom Himmel und der Erde genau so viel wie ihm bei seiner Arbeit förderlich ist. Da er Kinder aufzuziehen hat, so muss er auch etwas von Dharma Shastra (dem göttlichen und menschlichen Recht) wissen. Und da er unter dem weiten offenen Himmel lebt, so erwacht in ihm ein Gefühl für die Größe Gottes.

Wir haben hier das Leben des Bauern beschrieben aus der Überzeugung, dass sein Leben das natürliche Leben für den Menschen ist. In dem Masse, wie wir von den natürlichen Lebensumständen abweichen, muß auch unsere Gesundheit leiden. Das Leben des Bauern lehrt uns, dass wir mindestens acht Stunden täglich arbeiten und uns körperlich wie geistig betätigen sollten

Aber was sollen wir, die wir keine Bauern sind, tun? Die Betätigung, die mit Kricket und anderen Spielen verbunden ist, genügt nicht. Es muss sich dabei etwas anderes finden lassen. Die gewöhnlichen Leute tun am besten, wenn sie sich in der Nähe des Hauses einen kleinen Garten halten und darin jeden Tag während ein paar Stunden arbeiten. Wer für diese Art der körperlichen Betätigung keine Zeit findet oder keine Lust dazu hat, dem empfehle ich zu wandern.

Mit Recht ist das Wandern als die Königin aller Leibesübungen bezeichnet worden. Der Hauptgrund, weswegen unsere Sadhus und Fakire so kräftig sind, liegt darin, dass sie das Land von einem Ende zum anderen durchziehen, und immer zu Fuß.
Bewegung sollte uns so zum Bedürfnis werden, dass wir schließlich ohne sie nicht mehr auskommen können.

Wir werden uns nur selten bewusst, wie schwach und wertlos unsere geistige Arbeit ist, wenn sie nicht von begleitet wird. Marschieren setzt jeden Teil unseres Körpers in Bewegung und bewirkt eine kräftige Zirkulation des Blutes, denn wenn wir schnell gehen, atmen wir viel frische Luft in die Lunge ein. Zudem erwacht in uns jene Freude an den Schönheiten der Natur, die wir nicht hoch genug einschätzen können. Wer nur eine oder zwei Meilen geht, geht überhaupt nicht. Mindestens zehn oder zwölf Meilen sind nötig. Wer nicht jeden Tag so weit gehen kann, sollte dies wenigstens am Sonntag für tun.
Wer an einem verdorbenen Magen oder einer ähnlichen Krankheit leidet, mache sich auf die Beine. Die heilsame Wirkung wird nicht lange ausbleiben.

Kleidung

Der primitive Mensch hatte keine Kleider. Er ging nackt herum. Seine Haut war abgehärtet und wider-standsfähig, er vermochte die Sonnenhitze wie die Regenschauer zu ertragen und litt nie an Erkältungen und ähnlichen Übeln. Als dann die Menschen der kälteren Zonen immer träger wurden, fingen sie an, ein Bedürfnis nach Kleidung zu spüren. Sie vermochten die Kälte nicht länger auszuhalten, und die Kleidung kam in Gebrauch, bis diese schließlich nicht mehr als Notwendigkeit, sondern als Schmuck und als Kennzeichen der Rasse und des Berufes aufgefasst wurde.

Die Natur hat uns in der Haut eine ganz ausgezeichnete Kleidung gegeben. Die Idee, dass der unbekleidete Körper unanständig sei, ist absurd, denn die allerschönsten Gemälde sind diejenigen, die den nackten Körper darstellen. Wir bedecken unsere Gliedmassen, als ob wir uns ihres natürlichen Zustandes schämten und die weise Anordnung der Natur missbilligten. Je reicher wir werden, um so mehr trachten wir danach, den Staat und den Putz, in dem wir einher ziehen, zu vermehren.

Wir schmücken den Körper auf die allerhässlichste Art und sind dabei stolz auf unsere Schönheit. Wären unsere Augen nicht mit Blindheit geschlagen, dann würden wir einsehen, dass der Körper am schönsten ist in seiner Nacktheit und sich auch nur in diesem Zustand völlig gesund fühlt. Die Kleider beeinträchtigen die natürliche Schönheit des Körpers. Aber die Kleidung allein genügt dem Menschen noch nicht: er muss auch noch Schmuck tragen. Törichter Wahn! Wer möchte behaupten, dass Schmuck die natürliche Schönheit des Körpers auch nur im geringsten zu erhöhen vermöchte? Aber die Frauen setzen sich in diesen Dingen über alle Bedenken der Vernunft wie der Scham hinweg.

Eine durchgehende Kleiderreform fällt keinesfalls leicht, aber wir alle könnten auf den Schmuck und über-flüssige Bekleidung verzichten. Vielleicht werden wir ein paar Dinge, der Konvention zuliebe, behalten. Den Rest aber wegwerfen. Wer von dem Aberglauben frei ist, dass Kleider schmücken, der kann in seiner Kleidung manche Änderung anbringen und damit seine Gesundheit fördern.

Die europäische Kleidung mag zwar ein Schutz sein in den kalten Ländern Europas, ist aber in Indien ganz untauglich. Der Inder, sei er Hindu oder Mohammedaner, kann nur indische Kleider tragen. Unsere Kleidung ist los und offen und hält daher die Luft nicht ab. Und da sie zumeist weiß ist, absorbiert sie die Hitze nicht. In schwarzen Kleidern wird einem heiß, da diese die Sonnenstrahlen aufsaugen.

Es ist in Indien ganz allgemein zur Sitte geworden, den Kopf mit einem Turban zu bedecken. Nichtsdesto-weniger sollten wir soweit wie immer möglich barhäuptig einhergehen. Wir nennen die Schuhe "Beschützer der Füße" und "Feinde der Dornen", womit gesagt wird, dass wir nur Schuhe tragen sollten, wenn wir auf einem dornigen Pfad oder auf sehr heißem oder sehr kaltem Boden zu gehen haben, und dass nur die Fußsohle, nicht aber der ganze Fuß bedeckt sein sollte. Dieser Zweck wird ganz ausgezeichnet erfüllt von der Sandale.

Geschlechtsleben

Frische Luft, reines Wasser und gute Nahrung tragen natürlich viel zu unserer Gesundheit bei. Aber wir können ebenso wenig gesund bleiben, wenn wir unsere Gesundheit immer wieder verausgaben, wie reich, wenn wir unsere Ersparnisse verschleudern. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass Mann wie Frau nur stark und kräftig sein können, wenn sie Brahmacharya üben.

Was bedeutet Brahmacharya? Wir verstehen darunter, dass Mann und Frau enthaltsam sein sollen, mit anderen Worten, sich nicht in Fleischeslust umarmen und ihre Blicke und ihre Träume von allem sinnlichen Begehren freihalten. Die geheime Kraft, die uns Gott verliehen, muss in strenger Zucht gehalten und nicht bloß in körperliche, sondern auch in geistige und seelische Werte verwandelt werden.

Was aber sehen wir? Männer und Frauen, alt und jung d in den Netzen der Sinnenlust verstrickt. Blind vor Begier, wissen sie nicht zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Ich habe Knaben und Mädchen gesehen, die sich unter dem Einfluss der Sinnlichkeit wie Wahnsinnige gebärdeten. Auch ich bin ihr unter ähnlichen Verhältnissen unterlegen, und wie hätte es anders sein können? Um einer schnell vergänglichen Lust willen opfern wir in einem Augenblick, was wir an Lebenskraft aufgespeichert haben. Ist unsere Lust einmal befriedigt, dann befinden wir uns in der allererbärmlichsten Verfassung.

Der Körper schwach und müde und der Geist arbeitsunfähig. Um den Schaden wieder gut zu machen, greifen wir zu den verschiedensten "nervenstärkenden Mitteln" und liefern uns bedingungslos dem Arzte aus, damit er uns die verlorene Kraft wiedergebe und wir wie früher den Lügen huldigen können. So gehen die Tage und Jahre vorbei, bis das Alter anklopft und uns körperlich und geistig entkräftet findet.

Das aber ist nicht der Sinn des Naturgesetzes. Mit den wachsenden Jahren sollte unser Verstand nicht ab-, sondern zunehmen. Je länger wir leben, um so besser sollten wir imstande sein, die Früchte unserer ge-sammelten Erfahrung den Mitmenschen zu vermitteln. Das ist bei jenen der Fall, die wahres Brahmacharya geübt haben. Sie haben keine Furcht vor dem Tode und vergessen Gott auch in der Stunde des Sterbens nicht, noch ergehen sie sich in eitlem Gejammer. Sie scheiden aus dem Leben mit einem Lächeln auf den Lippen und gehen mutig dem Tage des Gerichtes entgegen. Wer so lebt und stirbt, ist ein wahrer Mensch, und von ihm allein darf gesagt werden, dass er seine Gesundheit nicht vergeudet habe.

Anmerkung Regina: am schönsten ist die Liebe, die sowohl die Seele, den Geist, als auch den Körper vereint: die Liebe mit der italienischen Bezeichnung bekannten "Karezza", was so viel bedeutet: einander umsorgen. Hier verzichten beide Partner bewußt auf den Orgasmus, und blühen miteinander in der hingebungsvollen Liebe vollkommen auf. Seit einiger Zeit ist auch der Wissenschaft hinlänglich bekannt, dass der Orgasmus tatsächlich eine Einrichtung der Schöpfung für die Zeugung eines Kindes - in Liebe - gedacht ist. Dass aber ohne Zeugung eines Kindes, der Orgasmus tatsächlich die Biologie der Trennung ist, da bei dieser herkömmlichen Methode, sowohl beim Mann als auch bei der Frau eine Art zweiwöchiger Kater folgt. Man hat für den Moment genug, möchte wieder für sich sein.
Bei Karezza hingegen verhält es sich anders: Es gibt ausgiebige Streichel- und Kuscheleinheiten. Nach der körperlichen Vereinigung überlassen sich beide dem Auf und Ab der Erregung ohne physiologische Auslösung in den Orgasmus. Mann und Frau konzentrieren sich auf das Strömen der sexuellen Energie, bei der Karezza-Vereinigung "Magnetation" genannt. Sobald die Erregung dem Höhepunkt zusteuert, lässt (vor allem) der Mann die Erregungskurve bewußt wieder sinken. In dieser Verbindung verbleiben Mann und Frau eine lange Zeit, spüren und genießen die strömenden Energien, die schlussendlich in einer körperlichen und geistigen Verschmelzung und dem Gefühl des Einsseins gipfeln.

Es gibt hierzu wunderbare Bücher, die man im Internet finden kann, wie z.B.:

Lloyd, J.William: Karezza-Praxis. Liebe als Austausch magnetischer Kräfte. Die Kunst ehelicher Liebe. Der Liebende als Künstler der Berührung.
Autor Dorelli, Cesare A: Karezza. Die ideale Liebesmethode; ihre Technik und ihr ethischer Gehalt
Marnia Robinson: Das Gift an Amors Pfeil
Carmen Reiss: Orgasmus I - Die Biologie der Trennung - warum wir uns entlieben, und wie man verliebt bleibt
Diana und Michael Richardson: Zeit für Weiblichkeit - und - Zeit für Männlichkeit

Wir sind uns kaum der Tatsache bewusst, dass Eitelkeit, Zorn, Furcht und Eifersucht ihre Wurzeln in der Unenthaltsamkeit haben
Wenn wir unseren Geist nicht zügeln und uns täglich einmal oder sogar öfters unbeherrschter als die kleinen Kinder aufführen, so sind wir bewusst oder unbewusst jeder Sünde fähig. Es ist unsere Pflicht, immerfort die Folgen unserer Handlungen zu überdenken, wie gemein und sündig sie auch sein mögen.

Aber der Leser wird vielleicht fragen. "Wer hat je einen Menschen gesehen, der in diesem Sinne ein wahrer Brahmachari gewesen wäre? Würden wir alle Bramacharis, stürbe dann nicht die Menschheit aus und ginge nicht die Welt zugrunde?" Wir wollen hier die religiöse Seite des Problems unberücksichtigt lassen und die Frage allein vom weltlichen Gesichtspunkt aus betrachten. Nach meinem Dafürhalten zeugen die beiden Fragen lediglich von unserer Schwäche und unserer Feigheit. Wir haben nicht Willenskraft genug, um Brahmacharya zu üben, und daher suchen wir unsere Pflicht unter Ausreden zu umgehen. Warum wollten wir, wenn die Befolgung von Brahmacharya den Untergang der Menschheit bedeutete, diesen Untergang beklagen? Sind wir Gott, dass wir uns so sehr um ihre Erhaltung ängstigen? Er, der sie geschaffen hat, wird sie gewiss erhalten.

Wir sollten Brahmacharya ununterbrochen als ein Ideal vor unseren Augen behalten und ihm mit allen unseren Kräften entgegenstreben. Aber was, wenn wir bereits verheiratet sind? Das Naturgesetz erlaubt einen Bruch des Brahrnacharya nur, wenn Mann wie Frau ein starkes Sehnen nach einem Kinde empfinden. Wer, den Willen der Natur befolgend, Brahmacharya während vier oder fünf Jahren nur einmal verletzt, kann nicht ein Sklave der Lust gescholten werden, noch wird seine Lebenskraft deswegen eine starke Verminderung erfahren.

Aber leider sind die Männer und Frauen selten, die ihren fleischlichen Gelüsten nur dann nachgeben, wenn sie ein Kind haben wollen. Die überwiegende Mehrzahl der Menschen ergibt sich dem Geschlechtsgenuss einzig und allein, um der Lust zu frönen, mit dem Ergebnis, dass die Kinder gegen den Willen der Erzeuger auf die Welt kommen. Im Taumel der Brunst denken wir nicht an die Folgen unserer Handlung. Die Männer sind in dieser Beziehung noch mehr zu tadeln als die Frauen. Der Mann in seinem blinden Drange vergisst zu bedenken, dass seine Frau schwach ist und kein Kind gebären kann. Sollten wir in unseren schwachen, lüsternen, verkrüppelten und unvermögenden Kindern nicht eher den Beweis erblicken, dass uns Gott zürnt?

Was gibt es da zu jubeln, wenn ein Elternpaar, das noch im Kindesalter steht, einen Sprössling bekommt? Ist dies nicht eher ein Fluch Gottes? Der Mann und die Frau müssen es sich zur heiligen Pflicht machen, sich von dem Augenblicke der Empfängnis bis zur Entwöhnung des Kindes zu meiden. Wir aber vergessen diese heilige Pflicht und lassen nicht ab, in unserer sorglosen Art den Sinnen zu dienen. Dieses heillose Laster schwächt unseren Geist und bewirkt, dass wir, nachdem wir uns eine kurze Weile elendiglich dahingeschleppt haben, ein frühzeitiges Ende fin-den. Verheiratete Leute sollten sich der wahren Bestimmung der Ehe bewusst sein und das Gesetz des Brahmacharya nur verletzen, wenn sie ein Kind haben wollen für die Fortpflanzung der Menschheit.

Dem aber stehen unter unseren heutigen Verhältnissen große Schwierigkeiten entgegen. Unsere Nahrung, unsere Lebensweise, unsere Art der Unterhaltung wie das Milieu, in dem wir uns bewegen, alles das ist gleich geeignet, unsere Begierde zu erwecken und ständig zu unterhalten. Die Begierde aber ist gleich einem Gift, das sich in unsere Eingeweide einfrisst. Es mag Leute geben, die bezweifeln, dass wir je dieser Sklaverei entrinnen werden. Dieses Buch aber wurde nicht für die geschrieben, die mit dem Zweifel im Herzen herumgehen, sondern nur für diejenigen, denen es ernst ist und die den Mut haben, an ihrer Rettung zu arbeiten.

Aus allem, was ich gesagt habe, geht hervor, dass die, welche noch nicht verheiratet sind, auch weiterhin unverheiratet bleiben sollten. Können sie davon nicht lassen, so soll es so spät wie möglich geschehen. Die jungen Männer zum Beispiel sollten ein Gelübde ablegen, dass sie nicht vor dem fünfundzwanzigsten oder dreißigsten Altersjahr heiraten werden. Die Eltern sollten nicht bloß ihre eigenen Interessen, sondern auch die Wohlfahrt des Sohnes ins Auge fassen. Sie sollten ihre Kastenvorurteile und ihre Auffassung von "Schicklichkeit" über Bord werfen und diese herzlose Unsitte ein für allemal verabschieden. Liegt ihnen das Wohl ihrer Kinder wirklich am Herzen, so sollten sie vielmehr darauf ausgeben, diese physisch, geistig und moralisch zu fördern. Wie könnten wir unseren Söhnen einen schlechteren Dienst erweisen, als wenn wir sie zur Verheiratung zwingen und sie, obwohl sie noch im Knabenalter stehen, mit all den Verantwortlichkeiten und Sorgen der Ehe belasten.

Weiter verlangt das Gesetz der Gesundheit dass der Mann, der seine Frau, oder die Frau, die ihren Mann verliert, bis zum Tode ledig bleiben. über die Frage, ob die jungen Männer und Frauen überhaupt ihren Lebenssaft entweichen lassen sollten, sind sich die Ärzte nicht einig. Das berechtigt uns aber noch nicht zum Sexualgenuss. Ich kann, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, auf Grund meiner eigenen Erfahrung wie derjenigen anderer Leute versichern, dass der Geschlechtsverkehr für die Erhaltung der Gesundheit nicht nur nicht förderlich, sondern geradezu schädlich. Eine einzige Ejakulation ist gleichbedeutend mit dem völligen Verlust der von uns langsam angesammelten körperlichen und geistigen Energie, wobei es lange dauert, bis die Verausgabung wieder gutgemacht ist, wenn sie sich überhaupt je wieder gutmachen lässt. Wie ich bereits ausgeführt habe, lässt sich unsere Lebenskraft nur aufrechterhalten, wenn Luft, Wasser, Nahrung und Gedanken rein sind.

So innig sind die Beziehungen zwischen unserem Gesundheitszustand und dem Leben, das wir führen, dass wir nie und nimmer ganz gesund sein können, wenn nicht auch unser Lebenswandel rein ist. Der kluge Mann, der von den Irrtümern seiner Vergangenheit gelernt hat und sich hinfort eines reinen Lebenswandels befleißigt, wird bald die schönsten Früchte einheimsen. Wer auch nur während dieser Zeit wahres Brahmacharya übt, wird erfahren, dass sein Körper und sein Geist sichtlich erstarken, und um keinen Preis wird er sich von dem einmal erworbenen Schatz wieder trennen.

Ich habe mir wiederholt Fehltritte zuschulden kommen lassen, auch nachdem ich den Wert des Brahma-charva erkannt hatte, und schwer dafür büßen müssen. Scham und Reue erfüllen mich, wenn ich bedenke, wie schrecklich jedes Mal der Gegensatz war zwischen meinem Zustand vor und nach dem Fehltritte. Aber meine früheren Verfehlungen haben mich gelehrt, diesen Schatz unversehrt zu erhalten, und mit Gottes Gnade werde ich ihn auch fürderhin hüten, denn ich habe am eigenen Leibe erlebt, wie ganz unschätzbar die Wohltaten des Brahmacharya sind. Ich wurde in sehr frühen Jahren verheiratet und war als Jüngling schon Vater mehrerer Kinder. Als mir dann schließlich die Augen aufgingen, fand ich mich in den tiefsten Tiefen der Verworfenheit versunken. ich betrachte mich für die Mühen, die mich dieses Buch kostet, hinreichend belohnt wenn auch nur ein Leser, durch meine eigenen Erfahrurigen und Verfehlungen gewarnt, auf den rechten Weg gewiesen wird. Viele Leute haben mir gesagt (und auch ich glaube es), dass ich voller Energie und Enthusiasmus sei und mein 'Geist durchaus nicht der Frische ermangele, ja ich bin sogar der Heftigkeit bezichtigt worden. Weder mein Körper noch mein Geist sind von Krankheit frei. Aber wenn ich mich mit meinen Freunden vergleiche, darf ich mich als völlig gesund und kräftig betrachten, und dies, obwohl ich zwanzig Jahre lang den Sinnen gefrönt habe. Um wie viel gesünder müsste ich sein, wenn ich mich auch während jener zwanzig Jahre eines reinen Lebens befleißigt hätte? Ich bin völlig überzeugt, dass, wenn ich Zeit meines Lebens als ein wahrer Brahmachari gelebt hätte, meine Energie und mein Enthusiasmus heute tausendmal größer wären, zu meinem eigenen Nutzen wie zu dem meines Landes.
Wenn das Gesetz des Brahmacharya so streng ist, was müssen wir dann von jenen halten, die geschlechtliche Befriedigung in illegitimen Verhältnissen suchen?

Das Unheil, das aus dem Ehebruch und der Prostitution erwächst, ist eines der wichtigsten Probleme der Religion und der Moral und kann in einer Abhandlung über die menschliche Gesundheit nicht hinreichend behandelt werden. Ich will hier lediglich darauf hinweisen, dass Tausende, die diese Sünden begehen, mit Syphilis und anderen unnennbaren Krankheiten behaftet sind. Der unbeugsame Beschluss der Vorsehung verdammt glücklicherweise diese Elenden zu einem Leben des qualvollsten Leidens.
Zum Schlusse möchte ich ganz kurz ausführen, wie die verheirateten Leute ihr Brahmacharya bewahren können.

Es genügt nicht, die Gesetze der Gesundheit bezüglich Luft, Wasser und Nahrung zu beobachten. Der Mann sollte nicht mit seiner Frau in ein und demselben Zimmer schlafen. Ein bisschen Nachdenken führt zur Einsicht, dass die Ehepaare lediglich um des Sinnengenusses willen zusammen schlafen. Sie sollten nachts getrennt voneinander schlafen und den Tag in fördernder Arbeit verbringen. Sie sollten Bücher lesen, die sie mit erhebenden Gedanken erfüllen, über das Leben bedeutender Menschen nachsinnen und sich ständig der Tatsache bewusst sein, dass der Geschlechtsgenuss die Wurzel alles Bösen ist. Fühlen sie sich zum Geschlechtsgenuss gereizt, so mögen sie ein kaltes Bad nehmen, damit die Hitze der Leidenschaft sich abkühle und sich in nützliche Betätigung umsetze. Das mag sehr schwer sein, aber wir sind in diese Welt hineingeboren worden, damit wir mit den Schwierigkeiten und Versuchungen ringen und sie schließlich überwinden. Wer nicht willensstark genug ist, wird nie und nimmer des Segens wahrer Gesundheit teilhaftig werden.

Meine sündhaften Gedanken sind verwundet, aber nicht getötet. Hätte ich völlige Herrschaft über meine Gedanken erlangt, so hätte ich nicht an Rippenfellentzündung, Ruhr und Blinddarmentzündung leiden müssen, wie es im Laufe der letzten zehn Jahre geschehen ist. Ich glaube, dass, wenn die Seele sündenfrei ist, auch der Körper, in dem sie wohnt, gesund ist. Das heißt, in dem die Seele zur Freiheit von Sünde fortschreitet, strebt auch der Körper nach Immunität gegen Krankheit. Doch ein gesunder Körper bedeutet in diesem Falle nicht einen kräftigen Körper. Eine mächtige Seele lebt nur in einem zarten Körper. Je mehr die Seele an Stärke zunimmt, desto mehr welkt der Körper. Ein völlig gesunder Leib kann dennoch ausgemergelt sein. Ein kräftiger Körper ist oft krank. Und selbst wenn er nicht krank ist nimmt solch ein Körper leicht Infektionen an, während ein völlig gesunder Leib sich gänzlicher Immunität dagegen erfreut. Reines Blut hat die Fähigkeit alle schädlichen Keime auszustoßen ...

Unser mächtigster Verbündeter bei der Beherrschung der tierischen Leidenschaften ist Ramanama (Wiederholung des Gottesnamens "Rama") oder ein ähnliches Mantra ... Man muss sich völlig in das Mantra verlieren, das man sich wählt. Man sollte nicht dulden, dass einen andere Gedanken während der Rezitation stören ... Das Mantra wird für einen zur Lebensstütze und hilft einem über jede Prüfung hinweg.

Die kennzeichnende Macht dieser Mantras liegt darin, dass sie als Wächter dienen über jemandes persön-liche Reinheit, und jeder eifrig Suchende wird dessen sogleich inne werden. Man muss sich jedoch erinnern, dass das Mantra nicht papageienhaft wiederholt werden darf. Man soll in ihm seine Seele reinigen. Der Papagei wiederholt solche Mantras mechanisch, wir müssen sie mit Verstand wiederholen in der Hoffnung, dadurch unerwünschte Gedanken zu vertreiben, und mit dem vollen Vertrauen in die Kraft der Mantras, dies zu tun. ("Navaiivan", 5.6.24.)

Jede Wiederholung oder Japa, wie sie heißt, hat einen neuen Sinn; jede Wiederholung bringt einen näher und näher zu Gott ... Ich kann Ihnen versichern, dass Sie hier nicht mit einem Theoretiker reden, sondern mit jemandem, der, was er sagt, in jeder Minute seines Lebens erfahren hat - in dem Maße, dass es für das Leben leichter ist aufzuhören als für diesen unaufhaltsamen Prozess. Er ist ein bestimmtes Bedürfnis der Seele... ("Harijan", 25.5.35.)

Ich bin ein Fremdling in Yoga-Übungen. Die Übung, die ich befolge, ist eine, die ich in meiner Kindheit von meiner Amme lernte. Ich hatte Furcht vor Geistern. Sie pflegte mir zu sagen: "Da sind keine Geister. Wenn du dich aber fürchtest wiederhole Ramanama!" Was ich in meiner Kindheit lernte, ist von ungeheurer Be-deutung für mein geistiges Firmament geworden. Es ist eine Sonne, die meine dunkelsten Stunden erhellt. Ein Christ mag den gleichen Trost verspüren bei der Wiederholung des Namens Jesu und ein Moslem beim Namen Allah. All diese Dinge meinen im Grunde dasselbe und erzielen unter gleichen Umständen die gleiche Wirkung. Nur darf die Wiederholung nicht nur ein Lippendienst sein, sondern sie muss Teil des echten Wesens sein. ("Harijan", 5.12.36.)

Mein Begriff von Naturheilung hat, wie alles übrige, eine fortschreitende Entwicklung durchgemacht; und seit Jahren habe ich geglaubt, wenn jemand mit Gottes Gegenwart erfüllt ist und so den Zustand der Leidenschaftslosigkeit erreicht hat, so könne er die Hindernisse gegen Langlebigkeit überwinden. Ich bin zu dem Schluss gekommen, wenn ein Mensch zu vollkommenem, lebendigem Glauben an die unsichtbare Macht gelangt und frei wird von Leidenschaft, dann macht sein Körper eine innere Veränderung durch. Das gelingt freilich nicht durch bloßes Wünschen. Es erfordert ständige Wachsamkeit und Übung, und trotz beidem bleibt das menschliche Bemühen nichtig, wenn Gottes Gnade sich nicht darauf herab lässt. ("Press Report", 12.6.45.)

Die Rezitation des Ramanama als Heilmittel für geistige Leiden ist so alt wie die Berge. Doch das Größere schließt das Geringere ein. Und ich behaupte, dass das Rezitieren des Ramanama auch ein erstklassiges Heilmittel für unsere körperlichen Leiden ist. Ein Naturheiler wird seinem Patienten nicht sagen: "Lass mich kommen, und ich werde dich von deinem Leiden kurieren." Er wird nur von dem allheilenden Prinzip sprechen, das in jedem Lebewesen ist, und davon, wie man sich selbst heilen kann, indem man es erweckt und zu einer wirkenden Kraft in seinem Leben macht. Wenn Indien die Kraft dieses Prinzips begriffe, würden wir nicht nur frei werden, sondern auch ein Land der Gesundheit - nicht das Land der Epidemien und Krankheiten, das wir heute sind.

Die Wirkkraft des Ramanama ist jedoch gewissen Bedingungen und Begrenzungen unterworfen. Ramanama ist nicht eine Art schwarzer Magie. Wenn einer sich überessen hat und von den Nachwirkungen befreit werden möchte, um sich bei Tisch wieder gehen lassen zu können, ist Ramanama nichts für ihn. Ramanama darf nur zu einem guten, nie zu einem üblen Zweck gebraucht werden ... Das Heilmittel bei Überfüllung ist Fasten, nicht Gebet. Gebet darf erst kommen, wenn Fasten sein Werk getan hat. Es kann dazu verhelfen, Fasten leichter zu ertragen. In ähnlicher Weise wird die Übung zu einer sinnlosen Farce, wenn man gleichzeitig seinen Körper mit Medizinen voll stopft… Ramanama reinigt, während es heilt, und bewirkt daher eine Erhebung. Darin liegt sein Nutzen so gut wie seine Beschränkung. ("Harijan", 7.4.46.)

Ramanama hat nichts mit Aberglauben zu tun. Es ist oberstes Naturgesetz. Wer es übt, ist frei von Unwohlsein und umgekehrt. Dasselbe Gesetz, das einen vor übel bewahrt, lässt sich auch zu seiner Heilung anwenden, Eine berechtigte Frage ist warum ein Mensch, der Ramanama regelmäßig rezitiert und ein reines Leben führt, überhaupt je krank werden kann. Der Mensch ist von Natur unvollkommen. Der denkende Mensch strebt nach Vollkommenheit aber erreicht sie nie. Er strauchelt unterwegs, jedoch unwissentlich. Da Ganzheit von Gottes Gesetz verkörpert sich in einem reinen Leben.

Die Hauptsache ist - seine Grenzen zu begreifen. Es dürfte einleuchten, dass man in dem Augenblick erkrankt, wenn man diese Grenzen überschreitet. So sichert etwa eine ausgewogene, unseren Bedürfnissen angemessene Diät einem Freiheit von Krankheit. Wie aber kann jemand wissen, was für ihn die geeignete Diät ist? Man kann sich mancherlei derartige Rätselfälle vorstellen. Der Sinn von alledem ist, dass jeder sein eigener Doktor sein und selbst seine Grenzen herausfinden solle. Der Mensch, der dies tut, wird sicherlich 125 Jahre alt werden. ("Harijan", 19.5.46.)

Meine Naturheilmethode ist nur für Dorfbewohner und Dörfer bestimmt. In ihr ist daher kein Platz für Mikro-skope, Röntgenstrahlen und ähnliches, ebenso wenig für Medikamente wie Chinin, Brechmittel und Penicillin.

Persönliche Sauberkeit und gesunde Lebensweise sind vornehmlich wichtig. Und sie sollen genügen. Wenn jeder sich darin völlig ausbildet, kann er nicht krank werden. Und wenn man alle Naturgesetze befolgt, um Krankheit, wenn sie auftritt, zu heilen, liegt das Hauptmittel in Ramanama. Aber diese Heilung durch Ramanama kann nicht im Handumdrehen allgemeiner Brauch werden. Um. dem Patienten Vertrauen einzuflößen, muss der Arzt eine lebende Verkörperung der Kraft des Ramanama sein. Inzwischen muss all das ergriffen und benutzt werden, was man möglicherweise aus den fünf Elementen der Natur schöpfen kann, Sie sind Erde, Wasser, Äther, Feuer und Luft. Das ist nach meiner Meinung die Grenze des Natur-heilverfahrens. ("Harijan", 11.8.46.)

Ein vollkommener Geist kommt aus einem vollkommenen Herzen - nicht jenem Herzen, das der Doktor mit dem Stethoskop behorcht, sondern aus dem Herzen, das Gottes Wohnung ist. Es wird richtig behauptet Gottes Verwirklichung im Herzen mache es einem unsauberen oder müßigen Gedanken unmöglich, in den Geist einzudringen. Krankheit ist unmöglich, wo Reinheit des Denkens besteht. Solch ein Zustand mag schwer erreichbar sein. Doch erste Schritt im Aufstieg zur Gesundheit ist mit seiner Erkenntnis getan. Der nächste wird getan, wenn der entsprechende praktische Versuch gemacht wird. Diese radikale Änderung in jemandes Leben ist natürlich begleitet von der Beobachtung aller anderen bisher von Menschen entdeckten Naturgesetze. Man kann sich nicht über sie hinwegsetzen mit der Behauptung, ein reines Herz zu haben.
Es kann mit Recht gesagt werden, der Besitz eines reinen Herzens sei genau so heilsam auch ohne Ramanama. Nur kenne ich keinen anderen Weg, um Reinheit zu erlangen.

Und es ist dies der Weg, den die alten Weisen in der ganzen Welt gegangen sind. Sie waren Gottesmänner, nicht Abergläubische oder Scharlatane.
Wenn das die Christian Science ist, habe ich keinen Streit mit ihr. Der Weg des Ramanama ist nicht meine Entdeckung. Er ist vielleicht weit älter als die christliche Zeit…

Chirurgische Operationen sind oft unnötig. Wo sie erforderlich sind, sollen sie ausgeführt werden. Doch ein Gottesmann betrübt sich nicht über den Verlust eines Gliedes. Ramanama ist weder ein empirisches Verfahren noch ein Notbehelf. ("Harijan", 9.6.46,)

Ein Anhänger Ramas kann mit dem Standhaften (Sthitapragnya) der Gita gleichgesetzt werden. Wenn man etwas tiefer eindringt, zeigt es sich, dass ein wahrhaft Gottgläubiger gläubig den fünf Elementarkräften der Natur gehorcht, Wenn er das tut, wird er nicht krank werden. Wenn er es zufällig wird, so wird er sich selbst mittels der Elemente heilen. Es ziemt sich nicht für den Bewohner des Körpers, den Körper auf jede Weise kuriert zu bekommen. Wer glaubt, nichts anderes als Körper zu sein, der wird natürlich bis ans Ende der Erde wandern, um den Körper von seinen Leiden geheilt zu bekommen. Wer aber überzeugt ist, dass die Seele etwas Selbständiges gegenüber dem Körper ist obwohl sie im Körper steckt, dass sie unvergänglich ist im Gegensatz zum vergänglichen Körper, der wird nicht bestürzt sein oder jammern, wenn die Elemente versagen. Im Gegenteil wird er den Tod als Freund begrüßen. Er wird sein eigener Heiler werden, statt nach dem Medizinmann zu suchen. Er wird im Bewusstsein der inwendigen Seele leben und zuerst und zuletzt auf das Wohl dieses Einwohners achten.

Ein solcher Mensch wird mit jedem Atemzug Gottes Namen trinken. Sein Rama wird wach bleiben, auch wenn der Körper schläft. Rama wird immer bei ihm sein, was er auch tue. Den tatsächlichen Tod wird für einen so frommen Menschen der Verlust dieser heiligen Gemeinschaft bedeuten.

Als eine Hilfe, diesen Rama bei sich zu behalten, wird er annehmen, was ihm die fünf Elemente zu geben haben. Das heißt, er wird die einfachste und leichteste Methode wählen, um allen Nutzen zu haben von Erde, Luft, Wasser, Sonnenschein und Äther. Diese Hilfe tritt nicht ergänzend zu Ramanama hinzu. Sie ist nur ein Mittel seiner Verwirklichung. Aber angeblich an Ramanama glauben und gleichzeitig zu Ärzten rennen, verträgt sich nicht miteinander ...

Die Bewahrung der Lebenskraft ist angesammeltem Reichtum vergleichbar, doch es ist allein die Macht des Ramanama, die ihn in einen fließenden Strom stets wachsender geistiger Stärke verwandelt, die schließlich einen Fall unmöglich macht.

Ebenso wie der Körper nicht ohne Blut existieren kann, so bedarf die Seele der unvergleichlichen und reinen Kraft des Glaubens. Diese Kraft vermag die geschwächten körperlichen Organe bei jedermann zu erneuern. Daher heißt es, wenn Ramanama im Schrein des Herzens sei, bedeute das die Wiedergeburt des Menschen. Dieses Gesetz gilt gleichermaßen für jung und alt, Mann und Frau. ("Harijan", 29.6.47)

Die, welche an Selbstzucht glauben, dürfen keine Hypochonder werden... Wie alles samt, was gut ist, erheischt auch die Selbstzucht einen unerschöpflichen Vorrat an Geduld. Es ist durchaus kein Grund zum Verzagen, und es darf kein Brüten geben. Es sollte auch keine bewusste Anstrengung gelebt werden, um üble Gedanken zu verjagen. Dieses Verfahren ist selber eine Art Nachgeben gegen sich.

Vielleicht ist die beste Vorschrift Nicht-Widerstand, nämlich das Vorkommen übler Gedanken zu ignorieren und sich ständig mit den Aufgaben zu beschäftigen, die gerade vor einem liegen. Das setzt das Vorhandensein irgendwelches einen völlig beanspruchenden Pflichtenkreises voraus, der die Konzentration von Geist, Seele und Leib auf sich fordert ...

Üble Gedanken, geschweige denn Übeltaten, sind unmöglich, wenn wir solchermaßen völlig beschäftigt sind. Eifrige Arbeit nach dem Maße unserer körperlichen Fähigkeit ist daher durchaus nötig für die, welche das für den Fortschritt des Individuums wie des Ganzen gleichermaßen unentbehrliche Gesetz der Selbstzucht befolgen wollen. (Self-restraint v. self-indulgence, Vorrede zur 3. Auflage, 1928)

Mögen jene, die nicht aus der Selbstzucht eine Religion gemacht haben, die aber darum ringen, die ver-lorene Selbstkontrolle wiederzugewinnen,... in der Durchsicht dieser Seiten etwas Hilfe finden. Zu ihrer Leitung mögen die folgenden Weisungen von Nutzen sein:

  1. Denkt daran, wenn ihr verheiratet seid, dass eure Frau euer Freund, Gefährte und Mitarbeiter ist und nicht ein Werkzeug geschlechtlicher Lust.
  2. Selbstkontrolle ist das Gesetz unseres Wesens. Daher darf der Geschlechtsakt nur vollzogen werden, wenn beide ihn wünschen, und dies zudem entsprechend den Regeln, über die sich beide bei klarem Bewusstsein einig geworden sind.
  3. Wenn ihr unverheiratet seid, so schuldet ihr es euch selbst, der Gesellschaft und eurem zukünftigen Partner, euch rein zu erhalten. Wenn ihr diesen Sinn für Treue pflegt, werdet ihr in ihm einen unfehlbaren Schutz gegen alle Versuchungen finden.
  4. Denkt immer an die unsichtbare Macht, die, mögen wir sie auch nie erblicken, wir doch alle in uns spüren als einen Wächter, der jeden unreinen Gedanken vermerkt, und ihr werdet in dieser Macht stets einen Helfer finden.
  5. Die Gesetze, die ein Leben der Selbstzucht beherrschen, müssen notwendig von einem Leben der Nachgiebigkeit gegen sich verschieden sein. Daher müsst ihr Ordnung halten in eurem Umgang, eurer Lektüre, euren Erholungen und eurer Nahrung.
  6. Ihr müsst die Gesellschaft des Guten und Reinen suchen. Ihr müsst euch entschlossen der Lektüre Leidenschaft aufpeitschender Geschichten und Magazine enthalten und solche Werke lesen, welche die menschliche Gesittung pflegen.
  7. Ihr müsst ein Buch zu eurem ständigen Begleiter machen, an das ihr euch zur Leitung halten könnt.
  8. Ihr müsst Theatern und Kinos fernbleiben. Erholung ist da, wo ihr euch nicht zerstreut, sondern zusammenholt. ( Wortspiel mit "recreation" und "recreate", was wörtlich "sich selbst neu schaffen" bedeutet. Anmerkung des Übersetzers)
  9. Ihr müsst nicht essen, um euren Geschmack, sondern um euren Hunger zu stillen. Ein sich selbst nachgebender Mensch lebt, um zu essen; ein Mensch mit Selbstzucht isst, um zu leben. Daher müsst ihr enthalten aller aufreizenden Gewürze, des Alkohols, der die Nerven erregt, und der Narcotica, die den Sinn für Recht und Unrecht abtöten. Ihr müsst das Quantum und die Zeit eurer Mahlzeiten regeln.
  10. Wenn Eure Leidenschaft euch zu übermannen drohen, so werft euch auf die Knie und ruft Gott um Hilfe an. Mein unfehlbares Mittel ist Ramanama. Als äußere Hilfe nehmt ein Sitzbad…, und ihr werdet finden, dass sich eure Leidenschaft sofort abkühlt. Bleibt ein paar Minuten darin sitzen, sofern ihr nicht krank seid und Gefahr lauft, euch zu erkälten.
  11. Macht an der freien Luft einen raschen Spaziergang am Morgen und abends, ehe ihr zu Bett geht.
  12. "Früh zu Bett und früh wieder heraus - dabei wird der der Mensch gesund, reich und weise." Das ist ein gutes Sprichwort. Um neun Uhr zu Bett gehen und um vier aufstehen ist eine gute Regel. Geht mit leerem Magen zu Bett. Daher soll eure letzte Mahlzeit nicht nach sechs Uhr nachmittags sein.
  13. Vergesst nicht, dass der Mensch Gottes Vertreter im Dienst an allem, was lebt ist, der dadurch Gottes Würde und Liebe zum Ausdruck bringt. Lasst diesen Dienst eure ganze Freude sein, dann braucht ihr im Leben kein anderes Vergnügen. (ebd. Aus der Vorrede zur 2. Auflage)

Ich bemitleide mich selbst, wenn mich die Leute einen Naishthika Brahmachari nennen. Wie könnte eine solche Bezeichnung auf jemanden zutreffen, der, wie ich, verheiratet ist und Kinder hat? Ein Naishthika Brahmachari würde niemals an Fieber, Kopfschmerzen, Husten oder Blinddarmentzündung leiden, wie ich es getan habe. Ärzte sagen, eine Blinddarmentzündung könne sogar von einem Apfelsinenkern verursacht werden, der in den Eingeweiden stecken bleibt. Aber in einem gänzlich gesunden Körper kann sich ein Apfelsinenkern nicht ständig aufhalten. Werden die Eingeweide geschwächt, so vermögen sie solche Fremdkörper nicht mehr auszustoßen. Meine Eingeweide müssen somit geschwächt gewesen sein, daher kam es bei mir zur Blinddarmentzündung...

Brahmacharya bedeutet nicht, dass jemand eine Frau, selbst seine Schwester, unter keinen Umständen berühren dürfe. Aber es bedeutet, dass sein Geisteszustand während der Berührung so ruhig und gelassen sein muss, wie wenn jemand, sagen wir, ein Stück Papier berührt. Eines Menschen Brahmacharya taugt nichts, wenn er zögern muss, seine kranke Schwester zu pflegen. Er muss bei der Berührung des schönsten Mädchens der Welt ebenso frei von Erregung sein, wie wenn er eine Leiche berührte. Wenn ihr wünscht, dass eure Kinder solches Brahmacharya erlangen, so muss der Entwurf ihres Lebensplanes nicht von euch abhängen, sondern von einem Brahmachari wie mir, so unvollkommen ich auch sein mag. ("Navajivan" 26.2.25.)

  1. Esst mäßig und verlasst stets den Speiseraum mit einem angenehmen Hungergefühl.
  2. Scharf gewürzte und fette vegetarische Speisen müssen vermieden werden. Besondere Fettzutaten sind ganz unnötig, wenn eine entsprechende Beigabe von Milch zu erhalten ist. Ein geringes Nahrungsquantum genügt, wenn weniger Lebenskraft vergeudet wird.
  3. Körper und Geist müssen stets mit sauberen Verrichtungen beschäftigt sein.
  4. Früh zu Bett und früh wieder heraus ist eine Notwendigkeit.
  5. Vor allem setzt ein Leben der Zucht ein intensiv lebendiges Verlangen nach Vereinigung mit Gott voraus. Wenn dieses zentrale Faktum zu einem Herzensanliegen geworden ist, so wird das Vertrauen ständig größer, dass Gott sein Werkzeug rein und in Ordnung halten wird. Die Gita sagt: "Leidenschaften kehren trotz Fasten wieder und wieder zurück, doch selbst das Verlangen schwindet, wenn das Göttliche erblickt wird." Das ist buchstäblich wahr ...

Ich glaube, dass Asanas (Körperhaltungen) und Pranayama (Atemregulierung) in der Übung der Selbstzucht einen wichtigen Platz haben. Doch meine eigenen Erfahrungen in dieser Richtung sind, wie ich leider sagen muss, nicht berichtenswert. Nach meiner Kenntnis gibt es sehr wenig Literatur, die auf konkrete Erfahrung sich gründet. Doch ist das ein Gebiet, das zu erforschen sich lohnt ich möchte jedoch den uner-fahrenen Leser warnen, es zu versuchen oder die Weisungen des erstbesten Hathayogi, der ihm in den Weg kommt, anzunehmen. Er mag gewiss sein, dass ein enthaltsames und gutes Leben völlig ausreicht, jede wünschbare Zucht zu erreichen. ("Young India", 2.9.26.)

Liebe, die auf der Willfährigkeit gegenüber der tierischen Leidenschaft beruht, ist bestenfalls eine Sache der Selbstsucht und zerbricht beim leisesten Druck. Und warum sollte der Geschlechtsakt bei der Menschengattung ein Sakrament sein, wenn er dies nicht ist beim niederen Tier? Warum sollen wir ihn nicht als das ansehen, was er wirklich ist nämlich ein einfacher Akt der Fortpflanzung, zu dem wir unausweichlich getrieben werden, um die Gattung zu erhalten. Nur der Mensch, der in gewissem Grade mit freiem Willen ausgestattet ist, kann das menschliche Vorrecht ausüben, sich selbst zu verleugnen im Dienste eines höheren Zieles, für das er geboren ist, nicht aber seine Tierbrüder. Es ist die Macht der Gewohnheit, die uns denken lässt, der Geschlechtsakt sei nötig und wünschbar zur Befestigung der Liebe, abgesehen von der Fortpflanzung. Es beweisen aber zahllose Erfahrungen im Gegenteil, dass er die Liebe nicht vertieft und keineswegs zu ihrer Erhaltung und Bereicherung nötig ist. Es können in der Tat Beispiele dafür angeführt werden, dass das Liebesband bei Abstinenz stärker geworden ist. Zweifelsohne muss solche Abstinenz ein freiwilliger Akt sein, der zu gegenseitiger moralischer Förderung unternommen wird.

Die menschliche Gesellschaft ist ein ständiges Wachstum, eine Entwicklung in Richtung auf Spiritualität. Ist dem so, dann muss sie auf stets strengere Zucht gegenüber den Wünschen des Fleisches sich gründen. Daher muss die Ehe als ein Sakrament angesehen werden, das den Partnern Disziplin auferlegt, indem es die körperliche Vereinigung auf sie und auf die Fälle beschränkt, in denen beide Partner Fortpflanzung wünschen und dazu reif sind. ("Young India", 16.9.26.)

Wenn einmal die Vorstellung, dass die einzige und große Funktion des Geschlechtsorganes die Zeugung ist, von Mann und Frau Besitz ergriffen hat, wird die Vereinigung zu irgend einem anderen Zweck für eine ebenso verbrecherische Vergeudung des Lebenssaftes unter begleitender Erregung von Mann und Frau gehalten werden wie eine gleich verbrecherische Vergeudung kostbarer Energie. Es ist nun leicht zu ver-stehen, warum die alten Gelehrten solchen Wert auf das Lebensfluidum gelegt, und warum sie so nach-drücklich auf seiner Verwandlung in die höchste Form der Energie zum Wohl der Gesellschaft bestanden haben. Ich erkläre kühn, dass jemand, der eine völlige Kontrolle über seine geschlechtliche Energie erreicht hat, sein ganzes Dasein - das physische, geistige und spirituelle - stärkt und Kräfte bekommt, die durch keine anderen Mittel zu erlangen sind.

Der Leser möge sich nicht dadurch irritieren lassen, dass es nicht viele, ja kaum einen lebenden Vertreter solcher Riesen-Brahmacharis gibt. Die Bramacharis, die wir heute unter uns sehen, sind recht unvoll-kommene Beispiele. Bestenfalls sind sie Anfänger, die Kontrolle über ihren Körper, aber nicht über ihren Geist erlangt haben. Sie sind nicht fest geworden gegen Versuchungen. Das ist nicht deshalb so, weil Brahmacharya so schwer zu erreichen wäre. Sondern die soziale Umgebung steht dem im Wege; und die meisten derer, die eine ehrliche Anstrengung machen, isolieren, ohne es zu wissen, die animalische Leidenschaft von allen anderen Leidenschaften, während die Anstrengung, soll sie Erfolg haben, die Kontrolle über alle Leidenschaften einschließen muss, deren Beute der Mensch ist. Brahmacharya ist durchaus nicht unerreichbar für den durchschnittlichen Mann oder Frau; aber man darf nicht meinen, es erfordere weniger Anstrengung als jene, die ein Durchschnittsstudent aufwenden muss, dessen Herz daran hängt, Meister irgendeiner Wissenschaft zu werden. Erlangung von Brahmacharya indem hier gemeinten Sinn bedeutet Meisterschaft in der Wissenschaft des Lebens. ("Harijan", 21.3.36.)

Der größte Schaden, den die Reklame für empfängnisverhütende Mittel anrichtet, besteht darin, dass sie das alte Ideal verwirft und an seine Stelle eines setzt, dessen Verwirklichung die moralische und physische Vernichtung der Rasse bedeuten muss. Der Abscheu, mit dem die alten Schriften die nutzlose Vergeudung des Lebensfluidum betrachteten, war nicht ein aus Unwissenheit stammender Aberglaube. Was würden wir von einem Haushalter sagen, der die beste Saat, die er besitzt, auf steinigen Acker auswirft oder von einem Grundeigentümer, der auf seinem Feld mit gutem Boden gute Saat unter Umständen auswirft, die ihr Anwachsen unmöglich machen? Gott hat den Mann mit Samen gesegnet der die höchste Keimkraft besitzt, und die Frau mit einem Acker, der reicher ist als die beste Erde, die man irgendwo auf der Welt findet. Es ist sicher verbrecherische Narrheit, dem Mann zu erlauben, sein kostbarstes Besitztum zu vergeuden. Er muss es vielmehr mit mehr Sorgfalt hüten, als er die köstlichsten Perlen in seinem Besitz bewahren wird. Ebenso macht sich die Frau einer verbrecherischen Tollheit schuldig, die in ihrem lebengebärenden Acker den Samen empfängt mit der Absicht, ihn zugrunde gehen zu lassen. Beide, er und sie, werden des Missbrauches jener Gaben schuldig befunden werden, die ihnen gegeben waren, und er und sie werden ihres Besitzes enteignet werden. Der Geschlechtstrieb ist ein feines und edles Ding, Es gibt keinen Grund, sich seiner zu schämen. Aber er ist einzig zum Zeugungsakt bestimmt. jeder andere Gebrauch von ihm ist Sünde gegen Gott und die Menschheit. ("Harijan", 28.3.36.)

Für die Moral sind Ethik und Religion vertauschbare Begriffe. Ein moralisches Leben ohne Beziehung zur Religion ist wie ein auf Sand gebautes Haus. Und Religion, getrennt von Moralität, ist wie "klingendes Erz" nur dazu gut, Lärm zu machen und die Köpfe zu verwirren. Moralität umfasst Wahrheit, Ahimsa und Enthaltsamkeit. Jegliche Tugend, welche die Menschheit je geübt hat, ist zurückführbar auf und ableitbar von diesen drei Grundtugenden. Nicht-Gewalt und Enthaltsamkeit ihrerseits sind ableitbar von der Wahrheit, die für mich Gott ist.

Ohne Enthaltsamkeit richten Mann und Frau sich zugrunde. Seine Sinne nicht unter Kontrolle haben ist wie
das Segeln in einem steuerlosen Schiff, das dazu bestimmt ist am ersten Felsen zu scheitern, mit dem es in Berührung kommt. Daher mein ständiges Drängen auf Enthaltsamkeit ... Wenn gegenseitiges Einverständnis einen Geschlechtsakt moralisch rechtfertigt, sei es in der Ehe oder außerhalb - und nach der entsprechenden Logik auch unter Menschen gleichen Geschlechtes -, dann wird die ganze Grundlage der Geschlechtsmoral aufgegeben, und nichts als Elend und Niedergang steht der Jugend des Landes bevor. ("Hatijan", 3.10.36.)

Der spirituellen Entwicklung sollte bei der Wahl des Ehepartners der erste Platz eingeräumt werden. Dann sollte die Stellung kommen. Familien-Erwägungen und Interessen sozialer Natur sollten den dritten Platz bekommen und die gegenseitige Zuneigung oder "Liebe" den vierten und letzten Platz. Das bedeutet dass "Liebe" allein, wo die anderen drei Bedingungen nicht erfüllt werden, nicht als ausreichender Heiratsgrund angesehen werden kann. Zugleich sollten freilich auch Ehen, bei denen es keine Liebe gibt, selbst dann ausgeschlossen sein, wenn alle anderen Bedingungen völlig erfüllt sind. Geschlechtsverkehr zum Zwecke fleischlicher Befriedigung ist Rückfall in die Tierheit, und es sollte daher das Bestreben des Menschen sein, sich darüber zu erheben. Doch wenn das im Verhalten zwischen Mann und Frau misslingt, so kann das nicht als Sünde oder als Anlass zum Tadel angesehen werden. Millionen auf dieser Welt essen, um ihrem Gaumen zu schmeicheln; in ähnlicher Weise geben Millionen von Männern und Frauen ihrer fleischlichen Lust nach und werden das weiterhin tun und ebenso die unerbittliche Strafe zahlen in Gestalt zahlloser Leiden, mit denen die Natur alle Aussehreitungen dieser Art. heimsucht. Das Ideal des völligen Brahmacharya oder des Brahmacharya unter Eheleuten ist für jene, die einem höheren spirituellen Leben nachtrachten; für ein solches Leben ist es die conditio sine qua non. ("Harijan", 5.6.37.)

Ob es wünschbar ist, jungen Leuten eine Kenntnis über Gebrauch und Funktion der Zeugungsorgane zu geben? Mir scheint es notwendig, ihnen solche Kenntnis bis zu einem gewissen Maße zu geben. Heute sind sie sich oft selbst überlassen und schnappen dann irgendwie Kenntnis darüber auf mit dem Ergebnis, dass sie zu missbräuchlichen Handlungen verleitet werden. Wir können den Geschlechtstrieb nicht eigentlich kontrollieren und unter Beherrschung bringen, wenn wir uns ihm gegenüber blind stellen. Ich bin daher entschieden dafür, dass man jungen und Mädchen über Bedeutung und rechten Gebrauch ihrer Zeugungsorgane belehren soll. In meinem eigenen Leben habe ich versucht, jungen Leuten beiderlei Geschlechts, für deren Ausbildung ich verantwortlich war, diese Kenntnis beizubringen.

Aber die Geschlechtserziehung, für die ich eintrete, muss die Beherrschung und Sublimierung des Ge-schlechtstriebes zum Ziel haben. Eine solche Erziehung sollte automatisch dazu dienen, den Kindern die wesentliche Unterscheidung zwischen Mensch und Tier beizubringen, sie zu der Einsicht zu bringen, dass es des Menschen Vorrecht und Stolz ist mit den Fähigkeiten von Kopf und Herz gleichermaßen ausgestattet zu sein; dass er nicht weniger ein denkendes als ein fühlendes Wesen ist, und dass also der Verzicht auf die Herrschaft der Vernunft über die blinden Instinkte den Verzicht auf das Menschsein bedeutet. Im Menschen belebt und leitet die Vernunft das Gefühl. Im Tier verbleibt die Seele stets im Schlafzustand. Das Herz erwecken heißt die schlafende Seele erwecken, Vernunft wecken und die Unterscheidung zwischen Gut und Böse einschärfen.
Wer soll diese echte Wissenschaft vom Geschlecht lehren? Offenbar jener, der seiner Leidenschaften Herr geworden ist ... ("Harijan", 23.11.36.)

Brahmacharya bedeutet nicht nur physische Selbst-Kontrolle. Es bedeutet völlige Kontrolle über alle Sinne. So ist ein unreines Denken ein Bruch von Brahmachatya, ebenso Ärger. Alle Kraft kommt von der Erhaltung und Sublimierung der Vitalität, die für die Erzeugung von Leben verantwortlich ist. Wird diese Vitalität gespart, statt verschwendet zu werden, so wird sie in schöpferische Energie der höchsten Art verwandelt. Diese Vitalität wird ständig, sogar ohne es zu wissen, durch üble oder selbst durch herumschweifende, ungeordnete, unnötige Gedanken vergeudet. Und da Denken die Wurzel allen Redens und Tuns ist, so entspricht die Qualität dieses der jenes (nicht gut zu verstehen???). Daher ist völlig überwachtes Denken an sich Kraft von höchster Potenz und kann selbst-handelnd werden. Das scheint mir der Sinn des schweigenden Herzens-Gebetes zu sein. Wenn der Mensch nach Gottes Bild gemacht ist, braucht er innerhalb der ihm zugemessenen Sphäre nur etwas zu wollen, und es wird. Aber solche Macht steht dem nicht zu, der seine Energie auf irgendwelche Weise vergeudet ... Der Geschlechtsakt, der nicht bewußtermassen dem Ziel der Zeugung gilt, ist ein typischer Fall plumper Vergeudung; daher ist er im besonderen mit Recht der Verdammung verfallen. Bei jemandem aber, der große Menschenmassen zu gewaltloser Aktion zu organisieren hat, muss die vollständige von mir beschriebene Kontrolle versucht und verwirklicht werden.

Diese Kontrolle ist nicht zu erreichen, wenn Gottes Gnade nicht mithilft. Diese Kontrolle ist nicht mechanisch oder temporär. Einmal erlangt, geht sie nie wieder verloren. In diesem Zustand wird die vitale Energie aufgespeichert ohne irgendeine Möglichkeit, durch die zahllosen Ausgänge zu entweichen. ("Harijan", 23.7.38.)

Wieso die Frau das schwächere Geschlecht ist, kann ich nicht einsehen. Wenn damit gemeint wird, ihr fehle der rohe Instinkt des Mannes oder sie besitze ihn nicht in demselben Maße wie der Mann, mag die Behauptung zugegeben werden. Doch dann wird die Frau, so wie sie ist, zum edleren Geschlecht. Wenn sie schwach ist im Schlagen, so ist sie stark im Ertragen. Ich habe die Frau als die Verkörperung von Opfer und Ahimsa beschrieben. Sie muss es lernen, sich zum Schutz ihrer Ehre nicht auf den Mann zu verlassen. Ich kenne kein einziges Beispiel, dass ein Mann die Tugend einer Frau verteidigt hätte. Er kann das nicht, selbst wenn er wollte... Niemand verliert die Ehre oder Selbstachtung außer mit seiner Zustimmung. Eine Frau verliert ihre Ehre und Tugend dadurch, dass ein Rohling sie betäubt und schändet, so wenig wie ein Mann die seine verliert, wenn ihm ein schlechtes Weib eine einlullende Droge eingibt und ihn zu tun zwingt, was er nicht will ...

Wenn die Gesellschaft nicht durch unsinnige Kriege von Nationen gegen Nationen und noch unsinnigere Kriege gegen ihre moralischen Grundlagen zerstört werden soll, so werden die Frauen ihre Rolle spielen müssen - nicht nach Männerweise, wie es manche zu tun versuchen, sondern nach Frauenweise. Sie werden die Menschheit nicht verbessern, wenn sie mit den Männern in der Geschicklichkeit wetteifern, Leben zumeist ohne Zweck zu vernichten. Möge es ihr Vorrecht sein, den irrenden Mann von seinem Irrtum abzubringen, der in seinen Untergang auch den der Frau hineinziehen wird. ("Harijan", 14.11.36.)

Die besonderen sachlichen Belehrungen, die ich euch während meiner Tour geben möchte, sind: wie ihr das Wasser im Dorf und euch selbst sauber halten könnt; welchen Gebrauch ihr besonders von der Erde machen könnt, woraus eure Körper gemacht sind; wie ihr die Lebenskraft vom unermesslichen Himmel gewinnen könnt, der sich über euren Köpfen ausbreitet; wie ihr eure Lebensenergie aus der Luft stärken könnt die euch umgibt, und welch besonderen Gebrauch ihr vom Sonnenlicht machen könnt. Ich will, heißt das, versuchen, euch zu lehren, wie ihr euer verarmtes Land in ein Goldland verwandeln könnt, indem ihr von den verschiedenen Elementen den rechten Gebrauch macht ... ("Harijan" 26.1.47)

Nicht-Gewalt in Frieden und Krieg
Gandhis Entwurf einer Kongressverfassung,
aufgesetzt am Tag vor seiner Ermordung

Nachdem Indien, obwohl zweigeteilt, durch die vom Indian National Congress empfohlenen Mittel politische Unabhängigkeit erlangt hat, hat der Kongress in seiner jetzigen Gestalt und Form, nämlich als Propaganda Werkzeug und parlamentarische Maschine, sich überlebt. Indien muss noch soziale, moralische und wirt-schaftliche Unabhängigkeit erlangen im Hinblick auf seine siebenhunderttausend von den Städten und Großstädten unterschiedenen Dörfer. Der Kampf um den Vorrang der zivilen vor der militärischen Macht muss stattfinden, damit Indien in Richtung auf die Demokratie sich fortentwickeln kann. Es muss heraus-gehalten werden aus ungesundem Wettbewerb zwischen politischen Parteien und religiösen Körperschaften.

Aus diesen und ähnlichen Gründen beschließt das "All-Indian Congress Committee" die bestehende Kongressorganisation aufzulösen und in eine Vereinigung zum Dienst am Volke (Lok Seva Sangh) zu überführen.

Für diese sollen die folgenden Bedingungen gelten, die, wenn Anlässe es fordern, abgeändert werden können:
Jedes Panchayat von fünf erwachsenen Männern oder Frauen, die Dorfbewohner oder ländlich gesinnt sind, so eine Einheit bilden.
Zwei solcher benachbarter Panchayats sollen eine Arbeitsgemeinschaft unter einem von ihnen gewählten Leiter bilden.
Wenn es hundert solcher Panchayats gibt, sollen die fünfzig Leiter des ersten Grades aus ihrer Mitte eine Leiter zweiten Grades wählen und so fort, wobei die Leiter des ersten Grades gleichzeitig unter dem Leiter des zweiten Grades wirken. Parallele Gruppen von zweihundert Panchayats sollen weiterhin gebildet wer-den, bis sie ganz Indien bedecken, wobei jede folgende Gruppe von Panchayats einen Leiter zweiten Grades nach der Art des erstgradigen wählen soll. Alle Leiter zweiten Grades sollen zusammen für ganz Indien und jeder für seinen betreffenden Bezirk Dienst tun. Die Leiter zweiten Grades können, wann immer sie es für nötig befinden, aus ihrer Mitte einen Führer erwählen, der für eine Dauer je, nach Bedarf allen Gruppen Weisungen und Befehle geben soll ...

  1. jeder Werker soll regelmäßig Khadi tragen, das aus selbstgesponnenem Garn gefertigt oder von der "All-India Spinners Association" beglaubigt ist. Auch muss er Abstinenzler sein. Ist er ein Hindu, so muss er der Unberührbarkeit in jeder Form für seine eigene Person oder seiner Familie abgeschworen haben und muss glauben an das Ideal der Einheit unter den Glaubensbekenntnissen, der gleichen Ehrfurcht und Achtung vor allen Religionen und der Gleichheit der Chancen und Bedingungen für alle, ohne Rücksicht auf Rasse, Glauben oder Geschlecht
  2. Er soll zu jedem Dorfbewohner seines Bezirks in persönliche Beziehungen treten.
  3. Er soll unter den Dorfbewohnern Werker anwerben und ein Register von all diesen führen.
  4. Er soll über seine Tätigkeit von Tag zu Tag Protokoll führen.
  5. Er soll die Dörfer derart organisieren, dass sie sich durch ihren Ackerbau und ihr Handwerk selbst unterhalten.
  6. Er soll die Dorfbewohner in Gesundheitspflege und Hygiene unterrichten und alle Vorkehrungen treffen, um Krankheiten und Seuchen unter ihnen zu verhüten ...
  7. Er soll jene, die noch nicht die gesetzliche Qualifikation besitzen, um das Stimmrecht zu erhalten, ermutigen, sie zu erwerben.
  8. Zu den oben genannten Zwecken und zu anderen, die von Zeit zu Zeit hinzugefügt werden mögen, soll er
    sich üben und ausbilden gemäß den Regeln, die vom Sangh zu angemessener Pflichterfüllung aufgestellt werden... ("Harijan", 15.2.48)

Persönliches und Anekdotisches - Faszination der Einseitigkeit

Heilige pflegen keine bequemen Mitmenschen ihrer Umwelt zu sein. Gandhi, der sich dagegen verwahrte, ein Heiliger zu sein, besaß neben manchen anderen "heiligen" Qualitäten auch die, kein bequemer Mitmensch zu sein. Er, der sich in peinlichster Weise als Opfer kultischer Verehrung der Mitlebenden empfand, würde selbst am lebhaftesten gegen falsche Idealisierung und Harmonisierung seines Bildes durch die Nachwelt protestieren. Er wusste, dass ihm manches abging, was eine Zierde und menschliche Bereicherung eines "normalen" Daseins sein kann, etwa ein intimes Verständnis für die Schöpfungen der Kunst.

Mit souveräner Gleichgültigkeit hat er bei einem Besuch in Rom die vatikanischen Sammlungen durchquert, bis ihn eine Kreuzigungsgruppe fast zu Tränen bewegte. Und als ihm Romain Rolland Lieblingsstücke von Beethoven spielte, antwortete er mit der Offenheit, die nie eine nicht empfundene Bewunderung affektierte: "Das muss schön sein, da Sie mir das sagen". Nein, Gandhi war kein ausge-wogener Idealmensch; er war von genialer Einseitigkeit - wie jeder, der sich als Träger eines zutiefst religiösen Auftrags weiß. Er, der seinen Lebensstil bewusst dem Standard der ärmsten seiner Landsleute anpasste, besaß zudem eine ungeheure Willensenergie, die ihn nicht nur selbst alle Entbehrungen mühelos ertragen, sondern sie auch seinen Nächsten zumuten ließ. Und doch strahlte dieser unschöne Asket auf alle, die mit ihm in Berührung kamen, eine Faszination aus, der sich kaum einer entziehen konnte, Wie die Klarheit und Reinheit seines ruhigen und konzentrierten Blickes sofort den abstoßenden Eindruck der abstehenden Ohren, des zahnlückigen Mundes vergessen ließ, so wurde die äußere Härte seines Gebarens durchglüht vom Feuer einer Liebe, die nicht sentimental, sondern gotterfüllt und wahrheitsbegeistert war. Wo sie verwandte Saiten berührte, da mochte sie Menschen aus ganz anderer Lebenssphäre zu unbedingten Folgern des "Bapu" (Vater) machen.

Bibliografie

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  • Gandhi's Letters to a Disciple. Victor Gollancz Ltd., London. 1951.
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